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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Der Rrrumäne

Hamburg

Bei Guggolz, dem bemerkenswerten Verlag mit einem Programm aus Seltenheiten, Fundstücken und auf Deutsch stets noch zu entdeckenden Klassikern anderer Sprache, ist in einem hübsch gestalteten Hardcover aus rumänischen Farben, der Rumäne schlechthin erschienen, zumindest im Drama und um die Jahrhundertwende herum, aber letztlich doch so etwas wie der Übervater der rumänischen absurden Literatur: Ion Luca Caragiale. Der sowohl von Ionesco als Vorbild genannte und laut Nachwort auch von Generationen von Rumänen aller Schichten als quasi Nationaldichter des Rumänischen verehrte Autor galt lange als unübersetzbar, zu tief im Musikalischen der Sprache sei sein Spiel mit dem Rumänischen gegangen. Oder aber in 50er Jahre Produktionen der DDR veröffentlicht als "Kämpfer gegen das Junkertum", sogar als Schullektüre, und mit Seiten aufgeladen, die alle anderen in den Schatten gestellt haben.

Und jetzt dies: Eva Ruth Wemme holt mutig alles raus mit ihrer Neuübersetzung. Die Textauswahl Humbug und Variationen, die sich hauptsächlich auf das spätere Skizzenhafte, Parodistische und Miniaturenhafte von Caragiales Werk stützt, punktet mit allerlei Wagnissen und Sprachverbiegungen, die deutlich machen, wie sehr Caragiale seiner Zeit insgesamt voraus war. Die teilweise in Privatidiomen vorgetragenen Tiraden, Kampfschriften und Lamentos seines Alter Egos Onkel Iancu, oder dem Bartleby-artigen Mitica, den Kollegen Lake und Make und allen Popescus sprühen vor Wortwitz und Einfallsreichtum. Da Caragiale sich zeitlebens als Journalist betätigte, sind viele seiner hier versammelten Schriften auf entweder damaliges Tagesgeschehen, Politikfälle oder Jahrhundertwende-Rumänismen gemünzt, sodass es bei einigen Texten oft schwerfällt, stärkeres Mitfühlen aufkommen zu lassen, doch wird auch bei ihnen schnell klar: Caragiale hat zu Lebzeiten vieles gewagt, Genres gesprengt, Neues erfunden und alles und jeden mit seinem Spott derart stichfest überzogen, dass, so sagt das Nachwort, es den meisten seiner Leser nicht klar war, dass sie hier selbst auf die Schippe genommen werden. Caragiale imitiert Sprechweisen und Sprichworte, Larmoyanzen und Schuldzuweisungen, um sie in typisch bohèmistischen Verrenkungen als Absurditäten zu feiern. Nicht nur Ionesco, auch Cioran, Pastior oder Tanase scheinen hier, bei Caragiale, mal gebadet zu haben.

Interessant sind vor allem seine ständig wechselnden Textkonstruktionen und die damit einhergehenden Möglichkeiten, mit dem Inhalt oder der Fachsprache zu experimentieren. In Telegramme wird genau jenes Schreiben aufs Korn genommen, ein köstlicher Quatsch oder Humbug, wie Caragiale sagen würde – das "Genre" taucht ständig auf, inklusive den Humbürgerinnen und -bürgern oder auch als Zeitungsfeuilleton, unterschrieben mit "Ein Partisan von Ihnen" beispielsweise –, in Markt wird eine an Perec vorausdeutenden Liste an Sprachspielen vorgelegt, "was es nicht alles gibt". Klassische Miniaturen nehmen Daniil Charms oder Urmuz vorweg. Schilderungen von Bukarester Salons und Kaffeestuben beißen vor Spott.

Der Saal ist übervoll.
Ich erklimme die Tribüne, den Rücken zu einer Wand, auf der die neun Musen in pittoresken landestypischen Trachten abgebildet sind. Hätte ich das vorher gewusst, wäre ich auch in balladesker Hirtentracht mit dreierlei Flöten gekommen – eine vom Hollerbusch, welche klinget mit Feuersbrunst, eine von Bein, welche klinget schön und fein, eine von Buchenholz, welche klinget mit Liebesstolz – ein Nationalapollo.
Madam Parigoldi gibt mir aus der ersten Reihe ein graziles Zeichen mit ihrem Handschuh – will heißen: Wir sind bereit dir zuzuhören: Bitte sehr, Onkel Iancu, fang an!

In einigen der scheinbar improvisierten Texte von Caragiale kommt ein Element der Unbekümmertheit hinzu, das geradezu an gewisse Stimmen von heute erinnert, wie Johannes Witek zum Beispiel:

Und hier kommt also eine Novelle. Bis jetzt habe ich noch nie ernsthafte Literatur gemacht, und ich schwöre, ich habe keinerlei Ausbildung für so etwas; dieses Mal habe ich mich dazu entschlossen. Denn zur obigen Theorie muss es auch ein Beispiel geben, und ich habe mir also die Novelle ausgesucht, grade in Mode, dieses Genre.
Hier mein Werk:

Woraufhin ein ziemlich abgedrehter Text mit deutlicher Sozialkritik im Gewand des Absurden folgt. Und aus der angesprochenen Sammlung Telegramme:

Zeitung Aurora Romania    Bukarest
Heut nette Sache passirt auf unser Marktplatz. Madam Atenasia P, Name wird verschwiegen, wo Ehrenbürger-Gatten verlassen hat wegen Romanse mit impertinentem Vorstadttyp, traf dort unglücklichen Ehemann, auf offener Straße richtig Lektion in Moral erhalten, Öffentlichkeit zugestimmt. Dies herzlos Weib schamlos mit starken Schlägen gedroht, wo Komplizenschaft mit Präfekturdirektor.
Korrespondent

Verehr. Premierminister   Bukarest
Wieder holt angegriffen Ohrfeigen Fußtritte Unabhengichkeitsplatz derselbe Gauner Direktor skandalöß in Begleitung Grobianen. Situation wird unertreglich. Stadt Zustand Belagerung. Panik herrscht unter Bürger.
Costachel Gudurau
Anwalt, ekzetera

Staatsanwalt Ger. X...
Wiederhole telegrafische Anordnung. Untersucht umgehend Vorfall Direktor Präfektur und Costachel Gudurau in Zentralcafé sowie Unabhängigkeitsplatz und berichtet eiligst.
Jusitzminister

Verehr. Premierminister   Bukarest
Machen Sie, dass Angriffe gegen mein Brud Costachel aufhörn infame Verbrechabande helligten Tag unter persönlicher Führung von Direktor Raul Grigorascu. Beschwerde vor Thron.
Iordachel Gudurau
Kroßgrundbesitzer, Wahl, Koll. I, ehem. Senator

Eine scharfe und lohnende Lektüre ist Caragiales Humbug und Variationen. Nicht alles ist unzeitlos, doch weniges genügt, um sofort einzusehen, dass hier eine Wiege des Absurden wiederbelebt worden ist, zu Zeiten, wo an Aufbruch zu denken noch Jahre bis Jahrzehnte zu warten vergönnt war. Liebevolle Ausstattung freut die Bibliophilen zudem.

Ion Luca Caragiale
Humbug und Variationen
Übersetzung: Eva Ruth Wemme. Nachwort: Eva Ruth Wemm & Dana Grigorcea
Guggolz
2018 · 431 Seiten · 24,00 Euro
ISBN:
978-3-945370-16-2

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