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Kritik

tau zum Ersten

Hamburg

Erstmal: Offenlegen, dass Fixpoetry zu dieser neuen Literaturzeitschrift, tau, deren erste Nummer eben erschien ist, ein doppeltes Naheverhältnis hat, nämlich zum einen über die Person Jonis Hartmann, und zum anderen über die Verortung in Hamburg (wobei: eher unwahrscheinlich, ob letzteres mehr als ein bloß atmosphärisches Phänomen ist).

Dann: Fragen, was für Signale bzw. Impulse die Herausgeber*innen (laut Impressum verfasst als GbR) mit "tau" setzen wollen. Es gibt "Tau von etwas haben", und es gibt Tau als das morgendliche Kondensat auf Wiesen, das ohne Regen (dh. sichtbares Ereignis) den Wasserkreislauf aufrecht hält. Zögen wir das zusammen, hätten wir ca. "von selbst wirksame Ahnung", oder "unscheinbare, aber wirkmächtige Kompetenz". Das wird's sein. Die 184 vortrefflich designeten Seiten (ermunternd leuchten die Zwischentitel!) versammeln hauptsächlich Autoren der nichtmehrganz-aberschonnocheher-jungen Generation, sagen wir mitte-ende Achtziger geboren, wobei: Es handelt sich eher um ein zufällig wirksames Netzwerk als um eine vorsätzliche Spielvorgabe, denn nicht nur gibt es Ausnahmen, die nicht weiter als solche auffallen, sondern gerade einer dieser Ausnahmen ist es, der wir eine etwas explizitere programmatische Ansage entnehmen. Denn zum Abschluss finden wir einen Text von Franz Jung (1888-1963) abgedruckt, der sowohl in der Art seiner Welthaltigkeit als auch in seiner Formbetontheit bruchlos ins Jahr 2018 passt, soweit das in "tau" zu überblicken ist. "Nichts Neues unter der Sonne" also, tau? Ist das so gemeint?

Was wir nicht finden, ist so etwas wie eine methodisch/poetologische Aufeinanderordnung der Texte, stattdessen – Ansage! – gleichberechtigt die Texte, ohne Erwähnung der Gattungen im Verzeichnis. Einzig das Gespräch mit dem bildenden Künstler Sebastian von Papp, der Fotos von "dreidimensionalen Grafiken" beisteuert, ist irgendwie hervorgehoben. "Keine Königsdisziplin hier", tau?

Wie es ja überhaupt, gerade bei einer neuen Zeitschrift, verfehlt erscheint, so viele kleine Einzelrezensionen wie abgedruckte Texte zu schreiben – besser Muster suchen, Literaturbegriffe, Kanonstiftungskanonen … hätten wir die entsprechende Software, oder unbegrenzt gratis Praktikantenstunden zum Verbraten, so würde ich vorschlagen, Wortarten in "tau" zu zählen, Konkreta vs. Abstrakta, Mehr- vs. Einsilber, so Zeug. Da dem aber nicht so ist, sei eine unsystematische, "gefühlsmäßige" Beobachtung gestattet: Dass nämlich den vierzehn Texten eine sorgfältig inszenierte (also: nicht "in Echt" gleichgültige) Geste der Gleichgültigkeit gemeinsam zu sein scheint, einer Coolness, die daraus resultiert, nicht um jeden Preis Bedeutung produzieren, reproduzieren oder auch nur generieren zu müssen, sondern auch in sich bzw. im inneren des Kunstliteraturspiels rumliegen bleiben zu dürfen. Mir gefällt dieser Gestus prinzipiell, aber als alleiniger roter Faden erscheint er ein bisschen dünn (ein Eindruck, der ihm dann wiederum gut zu Gesicht steht: "Uns doch egal, was der denkt; wir müssen hier nicht um jeden Preis … usw. usf.")

Anspieltipps: Stephan Roiss, dessen Texte je in den einzelnen Zeilen so tun, als besäßen sie narrative "Naturgemäßheit", und die uns damit von jeder dieser Zeilen zur Nächsten wieder aufs Glatteis reiner semantischer Felder führen. Franz Jungs erwähnte Prosa vom "Torpedokäfer", Typologie narzisstischer Todessehnsucht. Johannes Witeks sehr unterhaltsame "Konzeption eines Salzburger Lokalkrimis" (auch für sie gilt: "nicht um jeden Preis" … und das macht sie super).

 

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Mitwirkende
Herausgeber: Jonis Hartmann, Nathalie Keigel, Sascha Preiß, Marie-Alice Schultz,
Gestaltung: Steffen Budke
Bilder: Sebastian von Papp
AutorInnen: Ghayath Almadhoun, Mirko S. Bozić, Lütfiye Güzel, Lars Henken, Franz Jung, Jessica Kasimir, Melanie Khoshmashrab, Sascha Kokot, Mariusz Lata, Angela Lehner, André Patten, Leen Pil, Andreas Reichelsdorfer,  Stephan Roiss, Sebastian Andreas Rouget, Mercedes Spannagel, Johannes Witek
Übersetzer: Larissa Bender, Sead Porobić, Henrike Schmidt

 

Jonis Hartmann (Hg.) · Sascha Preiß (Hg.)
tau • zeitschrift für literatur / heft 1/2018: akute langwaffen
tau kaufen
2018 · 184 Seiten · 10,00 Euro
ISBN:
978-3-9819486-0-8
ISSN:
2568-8380

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