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Kritik

Wenn Worte stolpern

Hamburg

Der letzte Satz des Klappentextes mit der Biografie von Özlem Özgül Dündar lautet: „gedanken zerren ist ihr literarisches Debut.“. Ich lese diesen Satz wieder und wieder. Er ist kaum zu glauben. Ich werde ruhig. Ich beginne zu lächeln. Es ist kaum zu glauben, dass es Bücher wie dieses gibt. Dass es sich dabei auch noch um einen Debutband handelt, macht richtig froh. Das ist Literatur. So sollte Literatur sein. Kein Wort zu viel. Keinerlei Beliebigkeiten. Die Form nicht als Spielerei, sondern als Ausdruck ihres Inhalts. Und der Inhalt als etwas aus der Form Hervorgegangenes.

gedanken zerren ist in drei Kapitel unterteilt, die einzelnen Kapitelüberschiften beginnen jeweils mit „wenn ich“: „wenn ich springe von einem zum anderen“, „wenn ich mich dir antaste“ und „wenn ich n gehöre“. Und jedes der drei Kapitel enthält dann je vierzehn Gedichte. Damit ist schon auf den ersten Blick etwas sehr deutlich zu erkennen: Wir haben es hier mit einem von der ersten bis zur letzten Seite als ein Ganzes durchkonzipierten Gedichtband zu tun.

Die Form der Gedichte ist überaus bemerkenswert. Man stelle sich zwei unsichtbare Glaswände vor, im Abstand von jeweils vier Zentimetern, und in diesen Zwischenraum zwängt sich das Gedicht, wobei die einzelnen Worte gegen die Wände anrennen oder auch gegen sie gedrückt werden. Wände, die zwar unsichtbar sind, aber dennoch nicht einen Millimeter weichen, was dazu führt, dass die Worte nachgeben müssen, aufbrechen und geteilt werden. Die verwendeten Mittel sind denkbar gering, der dadurch erzeugte Effekt ist aber ungeheuerlich. Denn auch die Sprache der Gedichte stolpert, stottert und ringt mit sich und der Unsagbarkeit der Dinge. Sie bricht auf, schürft sich auf, verschluckt sich und bleibt stecken. Inhalt und Form drücken damit das Gleiche aus und sind untrennbar miteinander verbunden, da der Inhalt die Form bedingt und die Form den Inhalt.

Zur Sprache der Gedichte gehört auch die durchgehende Kleinschreibung, der völlige Verzicht auf Interpunktionen und die Verwendung von den Abkürzungen „u“ und „n“ für „und“ bzw. „nicht“. Die Gedichte haben keinerlei Angst vor Wiederholung und beweisen Mut zur Lücke. Das Großartigste an gedanken zerren ist vielleicht gerade, dass darin Dinge ausgelassen und nicht gesagt werden, und zwar so deutlich nicht gesagt werden, dass sie dennoch zu verstehen sind. 

Der Gedichtband drückt eine Selbstwerdung und –findung aus, stellt die Frage nach der eigenen Identität. Am Anfang steht die Suche nach dem Selbst:

u  wenn  ich  beginne mich  s
elbst  zu suchen zwischen  bi
ldern zwischen den worten z
wischen  den  sätzen  die me
in  mund  spricht                 […]                    

Wer bin ich? Was bin ich? Was macht mich aus? Bin ich meine (Körper-)Teile? Oder - cogito ergo sum – bin ich vielleicht doch meine Gedanken?

[…]                       zwischen  den
zellen da spielt sich mein gei
st  ab da  ist mein gedanke d
en  ich jetzt denke              [...]

Die Gedichte von Özlem Özgül Dündar kreisen suchend in einem Zwischenraum, sie ringen mit sich und mit der sie umgebenden Welt. Sie haben etwas zu sagen. Sie wollen etwas sagen, kämpfen dabei aber gegen sich selbst an und begehren auf gegen die (Un-)möglichkeit der Kommunikation mit anderen.

Das Aufbrechen der Worte in den Gedichten findet seine Entsprechung im (Auf-)brechen des Körpers.

[…]     wenn  der  körper   bri
cht im fall sich befindet wen
n dir der  halt wegbricht u  d
u  dir n  mehr  zu  helfen  wei
ßt  deine  teile in zwei geteilt
losgelöst  liegen eins  verlore
n  liegt u das andere  

Einerseits hat das etwas sehr Schmerzvolles, Gewalttätiges, Existenzbedrohendes. Andererseits kann erst durch dieses Öffnen und Aufbrechen etwas zutage treten, zum Vorschein kommen, was ansonsten hinter den Worten verborgen liegt. Damit gelingt Özlem Özgül Dündar, was nur großer Literatur gelingt: Das Unsagbare zu sagen, bzw. gerade nicht zu sagen, aber dennoch erfahrbar zu machen.

Am Beginn des Bandes richtet sich der Fokus ganz auf das eigene Selbst. Aber im neunten Gedicht taucht dann ein Du auf und, einmal da, bleibt es das dann auch und ist in jedem nun folgenden Gedicht der ersten beiden Kapitel als Gegenüber da. Das Gedicht „sie verhalten sich“ in dem wir erstmals dem Du begegnen, beschreibt auf sehr sachte Weise, wie sich zwei Menschen näher kommen. Diesem zarten Anfang folgt dann jedoch ein Sprechen und sich Versprechen, die Worte stolpern, werden nicht verstanden und es kommt zu Verletzungen, Blicke werden zu Schlägen, Worte treffen, hemmen, verkrampfen, bis der Verstand letztendlich das Gespräch verlässt und sich nicht nur der Blick, sondern auch der ganze Körper unter den Worten des anderen beugt. An dieser Stelle endet das erste Kapitel, worüber man beinahe froh ist, weil die aufbrechende stockende Gedichtform und Sprechweise richtiggehende Abgründe zwischen den einzelnen Worten in den Gedichten aufreißt.

„wenn ich mich dir antaste“ lautet dann der Titel des zweiten Kapitels und er verrät uns schon, dass es weiter geht oder von Neuem los mit den zwischenmenschlichen Verwicklungen. Nun hat sich aber etwas grundlegend verändert, wie uns schon die Kapitelüberschrift zeigt, denn jetzt setzt das Ich auch Handlungen und tastet sich dem Du an.

Das dritte und letzte Kapitel hat dann eine gewisse Sonderstellung im Gedichtband inne. Hier werden Themen wie Erinnerung, Tod und Entwurzelung in Gedichtform verhandelt.

In Heimito von Doderers Strudelhofstiege ist das Verständnis der eigenen Erinnerungen und die Entschlüsselung von anfangs noch sehr vagen Empfindungen, die z.B. ein bestimmter Geruch auslöst ein ganz essentieller Bestandteil der Menschwerdung Melzers. Man denke auch an die Erinnerungsflut, welche der Duft einer sich in einem Teelöffel Kamillentee auflösenden Madeleine beim Protagonisten von Marcel Prousts A la recherche du temps perdu auslöst. Es geht also nicht zufällig um Erinnerung im dritten Kapitel von gedanken zerren, sondern Erinnerung wird hier als Teil dessen thematisiert, was das Selbst ausmacht.

gedanken zerren ist ein Gedichtband, der zeigt, was Literatur wirklich kann. Ich ziehe meinen Hut vor einer großen Dichterin, vor Özlem Özgül Dündar: mögen diesem ersten noch viele weitere Gedichtbände folgen und möge sie selbst bei jedem einzelnen von ihnen ebenso selbstkritisch und fordernd bleiben, wie bei diesem.

 

Özlem Özgül Dündar
gedanken zerren
Elif Verlag
2018 · 12,00 Euro
ISBN:
978-3-946989-07-3

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