Der Untergang hat schon begonnen
Das Wichtigste, was zu tun wäre: neue Fragen zu stellen, diesen ausgewalzten Filz der Quasi-Antworten, auf dem wir uns turnend amüsieren, von der Weltoberfläche zu nehmen, damit wir wieder einen klaren Blick auf unsere wirklichen Herausforderungen bekommen. Es scheint, als habe Neil Postman mit seinen frühen Warnungen Recht behalten: die Welt wird immer gleichgestrickter bunt und trivialer. Wir haben uns von der textgeprägten Kultur zur bildgeprägten hin verändert und viele nehmen Literatur nur noch als Beipackzettel wahr. Die Wahrheit von Sätzen, ihre fundamentale Ladung und ihr bedeutungsvoller Spin, sind aber im Begriff in neue Räume vorzudringen und was einmal ein langsames, papiernes Geschehen war, ist heute uneinholbar schnell als ein spaceship unterwegs. Was geschieht mit der Literatur in dieser Umbruchszeit?
Das von Thomas Kraft und Norbert Niemann herausgegebene Buch „Keine Lust auf Untergang. Gegen eine Trivialisierung der Gesellschaft.“ untersucht genau diese Frage und viele, die sich aus ihr herleiten lassen. Wir gewinnen ein umfassendes Bild der Rolle der sogenannten „anspruchsvollen Literatur“ in der Gesellschaft und ein Bild dieser Gesellschaft dazu. Das kein trostreiches ist und längst Grund zu Besorgnis.
Den Herausgebern ist zu danken, daß sie ernstzunehmende Stimmen eingesammelt haben, die dem sinkenden Schiff noch einmal etwas zurufen. Was aber letzten Endes vielleicht für die Katz sein wird. Teile des Literaturbetrieb sind heute selbst in ihren Nischen so filzig, milchig und unerwachsen und dabei zusehends nach genau den hype-erzeugenden Mustern strukturiert, die man im Trivialen kritisiert, daß für viele die einzige Art eine eigene, ungefilterte Literatur zu machen die völlig outarke ist.
Eines nicht so fernen Tages wird es Blogs geben, die ihren Autor ernähren, weil ihm die selbst gewachsene Popularität Side-Jobs vermittelt, die bislang nur das erschienene Buch eröffnen kann. Noch hat das gedruckte Buch einen Nimbus und das Geschriebene im Internet rangiert ob der unlektorierten und unzensierbaren, jedermann möglichen Nutzbarkeit in der Nähe der Beliebigkeit, aber der identitätssuchende und kultverliebte Teil der Gesellschaft wird als Reaktion auf die mediale Breitwandverköstigung mit rasch wechselnden Hypes (überall liest man über das gleiche Buch, man solle es lesen) früher oder später eine Literatur nachfragen und erzeugen, die es nur und ausschließlich im Netz gibt und die trotzdem gut ist! Es wird neue Qualitäten geben, die sehr nah am Menschen und dem Mainstream völlig unangepaßt und hochgradig individuell sind. Dieser Prozess ist im Gange – gerade weil der Literaturbetrieb funktioniert ohne bis an die Wurzeln gesund zu sein, wird der an ihm Erkrankte die basics für sich zurückentdecken wollen und müssen. Verstrickungen kann man lösen, Verfilzungen ausschneiden. Dann steht man zwar alleine da und womöglich nackt – aber gesund.
Der Literaturbetrieb hat Filter vorgeschaltet, was er in sich aufnehmen möchte und was nicht. Und entsprechend verhalten sich die Autoren. Sie gestalten ihren Lebenslauf entsprechend (studieren in Leipzig oder Hildesheim), gestalten ihre Texte entsprechend (erarbeiten sie, statt sie zu schreiben) und plazieren sie entsprechend. Es kommt nicht mehr darauf an, daß ihre Texte gelesen werden, sondern wo sie stehen. Wer sie verlegt. Wer von ihnen Kenntnis erlangt. Welche Jury und welcher Kritiker.
Eine Kultur, die solche Abläufe erzeugt und stillschweigend für normal hält, hat etwas von einem Prinzeßchen, dem die Erbse drückt. Ich mag nur das und das und das haben und man pudre mir das Näschen, damit ich schmucke bin.
Aber die Welt ist – direkt daneben - voller Dreck und Elend und Falschheit. Der Mensch ist irre und unklar. Wirr im Kopf und wirr in den Handlungen. Völlig verlaufen hat er sich. Und es ist unter anderem Aufgabe der Literatur auch das darzulegen.
„Keine Lust auf Untergang“ setzt dort an. Und es ist erstaunlich, wie klar viele Autoren die Situation sehen und beschreiben. Stimmige Analysen und traurige Erkenntnisse – die allesamt eigentlich nicht entmutigen, sondern gerade weil sie schreibend vorgestellt werden, die Hoffnung zurücklassen, das Schreiben könne noch immer, wozu es erfunden wurde: sich der großen Erzählung, dem Geschehen der Welt, nähern und am Ende etwas bewirken.
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