Von zarter und genauer Skepsis
„Seine Essays haben Volker Demuth den Ruf eines so scharfsinnigen wie sprachmächtigen Zeitdiagnostikers eingetragen.“ befindet der Klappentext und weiter ist zu erfahren: Harald Hartung schrieb dereinst über Demuths ersten Gedichtband in der FAZ, er sei „ein Poet von zarter und genauer Skepsis. Er sieht mit eigenen Augen und findet eigene Metaphern. Er hat die Gabe des ersten Blicks. Vielleicht auch deshalb, weil er weiß, was alles schon gesehen wurde." - Diagnostik und Blick fallen hier zusammen. Die Anschauung löst Echos aus, Worte entstehen und Begriffe finden dazu. Das Gedicht ist ein Versuch diese Worte zu installieren, irgendwo, man weiß es noch nicht, es gibt eine Handvoll Material und das andere muss kommen. Aus der Luft oder von den Bäumen, aus den Sinkkästen der Zeit und von den Impulsen des möglichen Satzes. Volker Demuth arbeitet immer schon mit Konstellationen und Installationen, weist dabei der Sprache und was sonst aus den Dingen kommt die Hauptrolle zu, die sich, einmal installiert, ihr Script selber schreiben. „Die Lyrik operiert – möglicherweise als einzige Sprachform unserer Zeit – mit einer Sprache, die nicht beengt. Die Wörter in einem Gedicht sind nach allen Seiten offen.“, sagt er.
Ich mag nicht lange drum herum reden: Demuth gehört zu den wichtigsten Poeten Deutschlands und nicht nur der Jetztzeit. Die Entwicklungen, die seine Lyrik in den letzten Jahren genommen haben, spiegeln ein unbeirrbar lebendiges Auskundschaften der Wechselwirkungen in poetischen Räumen, das schließlich zu seiner bemerkenswert intensiven dichterischen Präsenz geführt hat. Volker Demuth beherrscht es wie derzeit kaum ein anderer welthaltige Poesie zu entwerfen, die nicht von den wenigen, selbst provozierten Extrasystolen des Experiments lebt, sondern in ihrem Puls alle Fundamentalkräfte, Symetrien und Invarianzen im energiereichen Spiel so auslebt, daß die dabei entstehenden Texte eine wundervoll formenreiche Eleganz annehmen. Er hat eine Art klar und aufmerksam zu sein und begrifflich den poetischen Raum aufzubauen, die einzigartig ist. Seine sprachmächtigen replacements zünden unangestrengt, da wird nichts hervorgewürgt und aus den Fingern gesogen; die Bilder, auch die ungewöhnlichsten, sind organischer Teil des größeren Raums, da ist der Mond „in den Eileiter einer / Stadtnacht gesprungen“, da sind Tage „dürre Rippen eines / von Schuhstößen verscheuchten Straßenköters...“
Dieses Mal sind es lange Gedichte, die Geschehen und Orte erzeugen, an denen es Auflassungen gibt. Demuths Lapidarien sind um solche Auflassungen herumgebaut, die neben dem Stein auch den Menschen hervorbringen und sein hervorgepreßtes Sein. Der wichtigste Fund ist die Möglichkeit und das Strömen der Zeit, das zwar am Ort geschieht, aber ihm dadurch, daß es ihn nicht verläßt, Räumlichkeit gibt. So hat jeder Mensch seinen eigenen Raum. Das wissen viele nicht, daß sie in etwas leben, das sie sich selber erzeugen. Die Möglichkeiten, die wir uns geben oder nehmen, sind unsere Räume. Jedes Textgeschehen im Menschen ist ein Raum, den er sich selber gibt. Zu lesen wie in Lapidarien - wie auftauchende Steine, Steinbrüche, darunterliegende oder darin eingeschlossene Relikte, archäologische Funde und zu werfende Steine - so poetisch verwebt und in einen Fluß gebracht, wie bei Volker Demuth, ist das Lesefreude pur und reinstalliert das Vertrauen in das Können der Sprache. Ich habe in den letzten Monaten kaum eine Lyrik gelesen, die ähnlich ichfrei und trotzdem anwesend, ähnlich sprachmächtig und trotzdem stimmig Räume entwirft und belebt.
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