Die kleinen Pfade zwischen uns
Der neue Band Barfuß der georgischen Lyrikerin Bela Chekurishvili setzt fort, was sie mit Wir, die Apfelbäume begonnen hat. Beide sind bei Wunderhorn erschienen, mit interlinearen Übersetzungen von Lika Kevlishvili und Schlussübertragungen von Norbert Hummelt. Chekurishvilis Gedichte sind unterwegs, unbehaust. Sie versuchen, einen Status zu umreißen und fallen dabei in ihre Vergangenheit. Archaisch anmutendes wie Opferrituale oder bestimmte Düfte/ Küchenselbstverständlichkeiten aus dem Kaukasus vermischen sich mit den Tauben (in Bonn) und dem Zwischenmenschlichen in Rekonstruktion wie im Akuten.
DIE FREMDE
Von deinem Balkon aus wirst du sehen,
wie der Rabe
die Walnuss herab wirft,
sie ist noch grün und noch nicht reif,
schlägt an den Zaun, doch bricht nicht auf,
und dann rollt er sie auf die Straße,
hin und wieder klopft er drauf,
hüpft und schiebt sie vor sich her,
du wirst es von deinem Balkon aus sehen,
und wenn du dein Zimmer jetzt verlässt,
dann fliegt ein Rabenjunges aus dem Baum herab
und landet auf dem Hoftor,
hockt und zögert,
soll es mir den Weg frei geben
und der rollenden Walnuss folgen
oder soll es warten, bis du auf dem Balkon erscheinst,
denn die Fremde hier, das bin doch ich
In vier Abschnitte unterteilt, läuft Barfuß durch Gras, Fotos, über Asphalt und Glatteis. Stets scheinen die Gedichte weniger ein Ganzes komponieren zu beabsichtigen, als denn von neuem anzufangen, sich auf eine aktuelle Reise begeben zu wollen. Im Gepäck ist etwas, das umher geworfen wird, unterstes zuoberst liegen kommt und das eine oder andere Neue mit hinzu nimmt. Und schließlich geht es weiter, das Dichten als Performance:
So habe ich Georgien verlassen,
ging nicht zum Heiligtum, ich trug kein Schaf dorthin und
keine Kerze,
und die Performance ziehe ich mit dem Gedicht hier durch,
das ist ja schließlich auch ein altes Ritual,
Silbe mit Silbe zu verschwistern,
mit Wörtern zu spielen, bis sie knistern.
Hummelts Übertragungen fließen und streuen vielfach Endreime herein, wie als eine Konvention scheints. Gerade dieses formale Gewand, das nicht unbedingt Sprache an sich in den kritischen Blick nimmt oder Umwälzungen schlechthin, sondern eher so-zu-sein hat aus innerer Notwendigkeit heraus, lassen Chekurishvilis Gedichte eigen und tatsächlich wie von weit gereist erscheinen. Liedhaft und inhaltlich fokussiert schreiben sie etwas fort, in das sich dann wiederum das Skypen oder die FB-Messenger-Grüne-Lampe des Jetzt schaltet.
Barfuß besitzt Überraschungen und lässt sich nicht hetzen oder kirre machen. Man mag mitgehen oder auch nicht, Spuren sind vorhanden und es ist weniger das einzelne herausragende Gedicht als vielmehr das ruhige, kontinuierliche Neuansetzen mit jedem neuen Gedicht, das den Körper dieses Bands ausmacht.
DAS VERSTUMMEN
Die Strickleiter dort, da klettert man gewiss zum Mast hinauf,
da können wir den Möwen in die Flügel fassen und uns den
Winden überlassen,
aber in Wahrheit ist sie ein Seil, uns aus der belagerten Stadt zu
bringen,
da muss man wohl ganz still beim Klettern sein?
Wenn's so ist, halt dich fest an mir und sag nichts.
[...]
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