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Kritik

Zerschossene Träume

Hamburg

Nachdem ich letztens die Sinn und Form dank ihres Löcherfüllungspotentials für meine insgesamt lückenhafte Lesegeschichte gelobt hatte und nun die Leipziger Edit ins Haus (regulär gekauft, nebenbei bemerkt, ohne, wurde kostenlos zur Verfügung gestellt‘ Disclaimer) geflattert kam und der Stift schon eineinhalb Seiten in die Edit-Besprechung reingeschrieben hatte, bis ich es bemerkte: dann, sagte ich mir, soll es halt so sein.

Edit feiert Geburtstag. Nummer 75, das ist ein humoriger Effekt der Zählung. Ich hätte gesagt, dass jedes Edit-Heft eine Null-Nummer ist, dass das den Reiz der Zeitschrift ausmacht, a-Historizität? Null-Nummer, das ist übrigens ein Terminus Technicus, soviel Latein muss sein, die Geburtsnummer eines neuen Magazins. Denn bei vielen der ‚typischen‘ Edit Texte könnte der Impuls des einen oder andren Leserinsassen sein: echt - das drucken die? So was habe ich doch auch mal geschrieben und ich Idiot habe es weggeworfen? Man kann viele der Texte, das Experiment der ‚großen Geste‘ nennen, aus subjektiver Autorenbrille ist das zulässig und oft vergnüglich, wenn auch die gewählte Textform schon seit wahrscheinlich 70 Jahren von allen 20-jährigen Autoren ausprobiert wurde, und wenn man auch, mit leichtem Unbehagen, feststellen muss, dass die aktuellen Autoren fast alle gut in den 30ern sind. Wenn etwa Lyriker eine Zeile aus Celans Todesfuge – Sakrileg! – in ihren Text einbauen, vermutlich ohne zu ahnen, dass das schon dutzendfach von (größtenteils schlechten) Autoren ausprobiert wurde und, wenn der lyrische Alkohol das Blut verlassen hat, wie bei fast jeder Mutprobe bei Licht betrachtet wenig bleibt. Außer dem üblichen ‚war keine gute Idee‘.

Das Heft beginnt mit einem stilistisch wohl gezielt an Baldwin angelegten Reportage-artigen Text des kongolesischen (Tram 83) Autors Fiston Mwanza Mujila „Ich war nicht schwarz“ Oder: – ich will nicht der Schwarze sein, der dein Weltbild stützt. Ich mache mein Ding, kämpf mich durch wie andre auch: so macht es der Text, der wie so oft in dem Genre stärker vom ‚tell‘ als vom ‚show‘ lebt, die Beschreibung des Nachtarbeiter-Lebens bildet die human-interest Klammer um die Reflexionen des so-seins: ich bin nur schwarz, insofern die Umgebung mich dazu macht. Wie es nächtliche Selbstgespräche so gerne tun, werden viele Themen angetippt, alles in allem dürfte die Arbeit ein ziemlich zustimmendes Nicken auslösen, was Baldwin etwa ja bei weitem nicht immer beschieden war.

Danach folgt, das ist bei Edit gelegentlich so, ein Text, der sich so bemerkbar macht, wie wenn man beim Überholen auf der Autobahn aus Versehen in den zweiten Gang schaltet. Maren Kames Gedicht luna luna knirscht sich ins Getriebe:

es platzte
es stank
ich sank
ich ging aus

Das ist auf Seite zwei, hier ist ‚wahnsinnig rastlos‘ schon vorbeigezischt, in den wipfeln hat es wild gerauscht, sie, genoss / und litt / zeitgleich / immerzu / ich lachte / harsch / ich klebte / mir eine / gans aus pappmaché‘. Ein Text, in dem die alten Beatniks durch die Ritzen lugen, in dem pseudo-authentisches Assoziieren im ‚ich verstoße gegen jede Regel‘ Gestus über die Textflächen hüpft. Eine Idee, ein Ziel, ein pack-an wäre nett, aber ich fand keinen, außer ins Gedicht geholtes Lamentieren über Ideenlosigkeit.

ein flugschar kormorane wäre jetzt gut
ein sturz, die andeutung eines fortkommens
-      aber es bleibt fad.

wie zur überprüfung
sehe ich auf meinen schuh.
es ist wirklich nur einer.
es ist so traurig.

schnief.

Wäre gemein, wenn ich das geschrieben hätte, aber da sie es selber sagt ...

Das Zweit-Genannte, die Sache mit dem Celan-Einbau: ‚Mein Bruder sagte: Schwarze Milch der Frühe, wir trinken dich in der Nacht.‘ hat Athena Farrokhzad gewagt; ein Text, der wie so oft bei an seiner ins Großartigste geblähten Selbstbezüglichkeit leidet, das steht im Leipziger Erwartungsbogen für die Textbewertung wohl ganz oben: „Dir gab sie den Namen einer Kriegerin, um dich für den Winter zu rüsten.“

Nun gut, die Athena im griechischen Winter. Wo am Anfang noch die Vorstellung am Leben blieb, hier sei immerhin noch der Schuh, der drückt, am Bein geblieben: das zertröpfelt im Fortgang der Rede. Es blieb mir nur der meiner Boshaftigkeit geschuldete Verdacht, dass das ganze Werk neben dem Spott über hohen Ton (ist es Spott? – es blieben Zweifel) sich am Ende auf die Erkenntnis reduziert, dass es keine gute Idee ist, entstehende Gedichte im Familienkreis zu diskutieren. Eine Stelle, die für Spott spricht:

            Meine Großmutter sagte: Im Frühling wuchs die Minze
            Entlang der Bäche in Marghacho
            Erzählst du davon in dem Gedicht das du schreibst

            Meine Großmutter sagte: Rotznäsiger Köter
            Komm her ich nehme deine Maße und stricke dir einen Pullover

Aber wie ist es nun mit Sequenzen wie dieser:

Mein Vater sagte: Zeig mir den der seine Sprache aufgibt
Und ich zeige dir den der nie eine Sprache hatte

Mögen das feinere Finger als meine in Eins zusammenstricken.

Zurück zur Prosa, jung, wild, provokativ, unkorrekt: Technisch auf ansprechenderem Niveau hat Carsten Tabel im Jugend-Jargon Vier halbe Amerikaner in eine Kurzgeschichte gepackt. Ronya Othmann verschränkt in ihrem ‚Mein Herbarium‘ kurze Pflanzen-Beschreibungen - mit Urlaubserinnerungen im kurdischen Teil von Syrien - mit Berichten von ihrem Verlassen-Werden von ihrer Freundin - mit den Giftgasangriffen auf Kurden unter Saddam - mit den deutschen Leopard-Panzern, auf denen die Türken in die kurdischen Gebiete Syriens einmarschieren - mit Rosa Luxemburgs Herbarium-Notizheften – und aus dem literarischen Anfang wird ein unglücklich überfrachtetes Lamento mit dem hilflos-beflissenen Ende „Das Herbarium ist mir ein Trost, ein Refugium ist es nicht.“

Die zweite Hälfte des Hefts entschädigt für den holprigen Start: Saskia Vogels souveräner Essay über die Entwicklung der Pornographie, ausgelöst durch Hugh Hefners Tod ist eine solide verfasster Abriss über ein Feld, das selten mit biographischem Bezug bearbeitet wird.

Von Unica Zürn fanden Gedichte ihren Weg ins Heft. Und Tristan Marquardt erschloss sich eine Stelle, an der er tatsächlich der Poesie-Begriff mit dem finalen Mut des Berufsgermanisten, so weit ich es überblicke, erstmals in neue Reiche gedehnt hat: seine sekundär-poesie erschließt den (MHD) parzival, erzählt ihn referierend, episodisch anhand von Wörtern, Phrasen, bringt eigene Übersetzungen von kleinen Ausschnitten, das Lexem als Keim und Klammer einer prosa-nahen poetischen Form.

Als Rausschmeißer hat Thomas Köck, Theater-Jungstar, Dozent na wo wohl?, viel Platz bekommen, um seine ‚postheroische schuldenkantate‘ nach langem prologischen Anlauf und diverser Höhenflüge durch obenliegende Etagen des Trump-Towers auf dem finalen ‚everything about mediocrity kills me‘ landen zu lassen. Ein Narrativ über ein unübersetzbares Buch mit zeitloser Grammatik mündet nach leichtfüßigen erkenntnistheoretischen Beschwörungen in eine Philippika gegen die Lichtverschmutzung (im direkten wie im übertragenen Sinn). Hier gibt einer Weisheit in großen Löffeln von sich, springt kosmopolitisch ins Englische, das setzt sich im Fortgang bald fest und dem eh schon wenig regulierten Schaffensstrom wohl noch weniger Widerstand entgegen. Das Trumpsche Kind in seiner Reflexionshöhe (68 ster Stock, fifth avenue) kann sich der Spekulation nicht erwehren und so wird das Langgedicht den heutigen Kindern der Großstadt-Zeit wohl in helles Licht tauchen, was die um die 35 – jährigen Literaten zu sagen haben, an fehlender Übersetzbarkeit müssen sie hier jedenfalls nicht scheitern.

Edit No 75 | Papier für neue Texte
Edit e.V.
2018 · 128 Seiten · 7,00 Euro

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