Anzeige
Komm! Ins Offene haus für poesie
x
Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

solang me no läbt

Hamburg

Franz Hohler ist „unaufhaltsam fleißig“ und hat ein facettenreiches Werk vorzuweisen. Neben seiner Arbeit als Kabarettist arbeitete er für Radio und Fernsehen und publizierte viele Bücher: Romane, Erzählungen, Kinderliteratur. Er wurde mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, u.a. 2013 mit dem Solothurner Literaturpreis. In seiner Laudatio hat Hans Ulrich Probst ihn gar als „helvetisches Kulturgut“ bezeichnet. Es ist durchaus vorstellbar, dass Hohler diese Zuschreibung erheiterte. Vermutlich gibt es kaum jemanden in der Schweiz, der mit dem Namen Franz Hohler keine Erinnerung an amüsante Stunden, an Leseerfahrungen, Gehörtes oder Gesehenes verbindet, wie es Nora Gomringer in ihrem Nachwort zum vorliegenden Band anspricht.

Der vielseitige, in Zürich lebende Künstler hat aber immer auch Gedichte geschrieben und bisher drei Bände seiner Poesie publiziert. 1988 erschien die erste Lyriksammlung mit dem Titel „Vierzig vorbei“, die mittlerweile vergriffen ist. 2006 folgte „Vom richtigen Gebrauch der Zeit“ und 2017 schließlich sein dritter Gedichtband „Alt?“.

Am ersten März dieses Jahres beging Hohler seinen 75. Geburtstag, ein Umstand, den er, wie er auf seine „Hausseite“ schreibt, „zu meinem eigenen Erstaunen“ zur Kenntnis nahm. Aus diesem Anlass schenkte ihm der Luchterhand Verlag einen Sammelband, der fast fünf Jahrzehnte lyrischen Schaffens umspannt, nicht nur die drei bisherigen Veröffentlichungen vereint, sondern auch etliche verstreut publizierte und einige unpublizierte Gedichte enthält. Im Titel „Sommergelächter“ klingt an, welche Art von Gedichten uns erwarten: leichte, luftige, lockere Texte, manche davon „Seifenblase[n] voller Glück“, die einen „Blick / für die Schwächen der Zeit“ haben und Hohlers Gabe zeigen, noch in schlimmeren Momenten die „Freude am Leben“ aufleuchten zu lassen, oft grundiert mit leiser Wehmut.

Botschaften sind es
des Lebens
und der Zerbrechlichkeit

schreibt Hohler. Er weiß vom „Gewicht der Welt“ und bekennt

ich war nie ein Revolutionär
ich war eher ein Spötter und Stauner

Häufig sind seine Gedichte Momentaufnahmen, fassen Beobachtungen im Alltag, Liebesbezeugungen und Überlegungen in Worte oder erzählen kleine Geschichten. Hohler hält gleichsam inne, zeigt auf, bildet ab, lässt uns an seinen Gedanken, seinen Seelenzuständen und seiner „private[n] Weltgeschichte“ teilhaben. Und er verteilt Botschaften – Lebens- und Altersweisheiten. Hier blickt ein Mensch nüchtern und abgeklärt, manchmal fatalistisch auf die Welt, der um die eigene Kleinheit und Machtlosigkeit weiß, dem aber die Ironie selten abhanden kommt. Der Dichter ist offen und neugierig, bewahrt sich den staunenden Blick eines Buben, der sich auf Entdeckungsreisen begibt, kleinen und großen Dingen gleichermaßen Aufmerksamkeit zukommen lässt und hellsichtige Erkenntnisse gewinnt, die zu Herzen gehen. Eindringlich plädiert er für Achtsamkeit mit sich selbst, anderen Menschen und der Welt.

Vergleicht man die drei Gedichtbände fällt die Konsistenz in Themenwahl und Sprache auf. Ein durchgängiges Thema ist das Altern. Schon das erste Gedicht „Zwischenhalt“ handelt vom Lebensgefühl eines 33-jährigen, der innehaltend Bilanz zieht und Zukunftspläne abwägt. Und im Titelgedicht des ersten Bands heißt es:

Da wären wir also
40 und mehr
und sehen mit leichtem Erstaunen
was wir geworden sind
und was nicht

Neuerlich zieht einer Bilanz über das, was im Leben passierte, was man erreichte und was „auf der Strecke“ blieb, und lässt auch Platz für den kleinen „Verdacht der Sinnlosigkeit“ allen Tuns. Der Titel seines letzten Buchs „Alt?“ trägt schon im Titel die Frage, wann man eigentlich alt ist. Denn eines Tages beginnt man sich selbst und das Umfeld genauer und mit Vorbehalt zu beobachten:

Täuschst du dich
oder zittert manchmal
die Hand ein bisschen
wenn du den Suppenlöffel hältst?

Auf einmal wird man zu einer Seniorenweihnacht eingeladen, bemerkt das Mitleid im Blick eines jungen Verkäufers, in dem Herablassung mitschwingt, entdeckt erste Unzulänglichkeiten, Probleme mit der Merkfähigkeit und wird mit der eigenen Endlichkeit konfrontiert:

Wird die Sparlampe
die du im WC einschraubst
Brenndauer 10 000 Stunden
länger halten als du?

Das zweite Thema von Hohlers Texten ist die Vergänglichkeit jedes Lebens. Er hat zahlreiche Nachrufe für Freunde, Kollegen, aber auch ihm wenig Bekannte verfasst, darunter ein Gedicht für „Frau Amberg“, eine Taxichauffeuse, die ermordet wurde, oder einen Text über das Ableben eines indischen Mädchens, das von einem Vater betrauert wird.

Dritte Konstante ist das politische Engagement Hohlers. Wir begegnen dem Aktivisten, der gegen ein Schweizer Atomkraftwerk demonstriert und die Zerstörung der Natur beklagt, der dem Artensterben, der Rettung eines Schmetterlings und dem Gesang einer Amsel die gleiche Aufmerksamkeit zukommen lässt, wie der Relativität jeder Rechtsprechung, den Vorbehalten gegen sogenannte „Experten“ oder den Besonderheiten der Schweiz.

Als vierte Konstante sind Hohlers Übersetzungen zu erwähnen. Ausgangspunkt werden ihm ganz unterschiedliche Texte etwa von Vergil, Horaz und Sappho, aber auch Gedichte italienischer, rumänischer, französischer und russischer Autoren, die er ins Schweizerdeutsche überträgt – als Nichtschweizerin vermag ich mich dieser Sprache nur anzunähern und kann die Qualität dieser Übertragungen, die manchmal ziemlich frei zu sein scheinen, eigentlich nicht beurteilen.

Nicht alle Texte dieses Sammelbandes überzeugen als Gedichte. Oft sind sie Prosa oder prosaähnlich und nahe an der gesprochenen Sprache, die von Hohler in Verse gebrochen wird. Seine lyrische Sprache ist einfach, manchmal geradezu schlicht, zuweilen rutscht sie ins Platte. Nora Gomringer beschreibt es als „das Sprechen im Einfachen“, das Hohlers poetischer Ton sei. Hohler ist keiner, der mit Sprache experimentiert, dessen Anliegen das Tüfteln mit Sprache und elaborierte Spracharbeit ist. Ihm geht es um Inhalt.  Er möchte zugänglich sein, von seinem Publikum verstanden werden und beherrscht die Kunst der behutsamen Zuspitzung:

Vom richtigen Gebrauch der Zeit

Ich habe dich
heute Morgen
nicht zum Bahnhof begleitet
ich hatte so viel zu tun
und brauchte sie dringend
die halbe Stunde.

Doch kaum warst du weg
saß ich da
und war
eine ganze Stunde lang traurig.

Franz Hohler
Sommergelächter / Die Gedichte
Luchterhand
2018 · 352 Seiten · 20,00 Euro
ISBN:
978-3-630-87584-2

Fixpoetry 2018
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge