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Kritik

Gegen das Klischee der Romantik

"In der Nacht träumte mir, ich liege im Sterben und alle Menschen haben die Erde verlassen. Da kommt eine kleine Schlange mit hellgrünen Augen zu mir herangekrochen und fängt an, meine Hand zu lecken wie ein treuer Hund. Ich vergoss Tränen im Traum, Tränen der Dankbarkeit. Dafür wäre ich im wirklich Leben gerne gestorben. Für diese Geste, Ob sie sich in Tieren, Menschen oder in unbelebter Natur zeigt, sie kommt immer von Gott, als Güte, die nichts erwartet und nichts verlangt. Und auch jetzt, wo ich Ihnen diese Worte schreibe. Sie merken es schon am Wasserfleck über „gekrochen“, bleiben meine Augen nicht trocken.“ (Piotr Michailowitsch  an Anna Konstantinowna Annuschka Blume)

Marjana Gaponenkos erster Roman ist ein Roman in Briefen, nichts Neues, sagt man leicht dahin, aber was sind Wörter, Buchstaben, es sind ja immer dieselben, wir können keine neuen erfinden, obwohl das eine Herausforderung wäre.
Es ist ein Buch über das Leben, für das Leben, es ist ein Buch über die Liebe, durch die Liebe. Es ist ein großes Buch für das Versagen. Dass man keine Angst haben muss zu versagen - ja, bei Lehrerin Anna Konstantinowna gehört Fehler Machen zur Grundvoraussetzung, denn wer keine Fehler macht, ist bereits verloren.

Gertrude Stein schreibt, ich bin, weil mein kleiner Hund mich kennt und Marjana Gaponenko schreibt, „es gibt keine Wahrheit, außer man sucht sie“ und beide Sätze stimmen, sie stimmen weil sie geschrieben stehen. Man kann nicht einfach etwas schreiben und es steht dann etwas geschrieben. Es ist etwas, dass man nicht beschreiben kann, was dort steht, wenn es dort steht, aber meistens steht es eben nicht dort, aber bei Frau Gaponenko steht es und es steht dort, weil sie etwas gemeinsam hat mit Gertrude Stein, sie lebt, sie lebt das, was sie schreibt

Ich habe Frau Gaponenko ein paar Fragen gestellt, es waren komische Fragen, Fragen die man gar nicht stellen kann, aber sie hat sie beantwortet und sie werden sie lesen und dann sind wir schon zu dritt und betrachten die Welt und sehen plötzlich alles wie Piotr wenn er schreibt, „Der Himmel hat mich schon immer verzaubert. Wie ein Besessener versuche ich ihn mit dem Blick zu durchbohren, sein Geheimnis zu durchschauen. Diese Mühe füllt mein Leben aus, Anna Konstantinowna, und auch wenn sie vergebens ist, es macht mich glücklich. Natürlich weiß ich, warum meine Versuche immer scheitern werden. Weil ich etwas vom Himmel erwarte, weil ich eine Ahnung vom Himmel habe. Welche genau, weiß ich selbst nicht. Aber ich habe eine Ahnung und sie könnte das sein, was mir im Wege steht.“

Frage:  Die Idee mit den Briefen ist ja nichts neues, das hat Gogol schon mit Hündchen gemacht und das macht auch der Herr Dostojewskij, aber Sie überbieten die Herren noch, es ist ein Fest dieses Buch zu lesen, haben Sie eine Erklärung dafür? Nicht ein einziges Mal lässt dieser Roman nach, die Sprache ist witzig, wirr, surreal, sie ist poetisch und zwar so poetisch, dass man gerne in der Werbeabteilung des Residenz Verlag arbeiten möchte und zwar ehrenamtlich.
Frageversuch, wie lange saßen sie an diesem Werk? Warum legen sie solch einen Roman vor, sie legen damit die ganze deutsche Literatur lahm und das war erst die erste Frage, Frau G.

Frau Gaponenko: Es liegt mir fern meine seligen Kollegen überbieten zu wollen. Meine Gedanken waren keineswegs bei Gogol oder Dostojewskij, sondern bei meinen beiden Helden, die ich durch die Idee eines Briefromans beleben und zusammen führen wollte. Es war ein Fest dieses Buch zu schreiben. Warum sollte es nicht ein Fest sein ,,Annuschka", zu lesen? Briefe zu schreiben und zu empfangen gleicht in meinen Augen einem Fest. Meine Helden leben nur in ihren Briefen. alles andere, was sie tun, scheint ihnen schattenhaft zu sein. Wenn sie aber schreiben, fühlen sie etwas bleibendes, etwas echtes und ausgezeichnetes in sich. Insgesamt habe ich in Etappen zwei Jahre an diesem Buch geschrieben. Warum ich es geschrieben habe? Ich glaube, weil es geschrieben werden wollte. So und nicht anders. Meine beiden Helden wissen, dass sie unwahrscheinlich pathetisch sind. Sie wissen es und sie amüsieren sich über sich selbst. Was sie jedoch nicht ahnen können, ist, dass ihre ehrliche Romantik etwas weiter westlich hartnäckig belächelt und zu einem osteuropäischen Klischee reduziert wird. Das Buch ist darum auch eine heimliche Aufforderung an den Leser die Scheu vor dem romantischen wie einen von Motten zerfressenen Mantel abzulegen und einen Sommergarten (wieder) zu betreten, der niemals versperrt war. Das Buch ist ein Versuch zu zeigen, dass das Romantische dem Intellektuellen keinesfalls im Wege steht und dem Geist eine wohltuende Süße verleihen kann.

Anna Konstantinowna und Piotr Michailowitsch sind Helden, richtige Romanhelden, so etwas hat es seit.........nicht mehr gegeben, sie sind beide authentisch, sie können gar nicht anders als authentisch sein.  Aber das sind keine Fragen Frau Gaponenko.
Wo bekomme ich aber die Fragen her, wenn ich alle Antworten in diesem Buch finde, die Menschen sollen es kaufen und wenn es ihnen zu teuer ist, sollen sie den Buchhändler fragen, ob er es ihnen nicht billiger verkaufen kann, er wird es nicht tun, aber man kann mit ihm ins Gespräch kommen, man könnte ihn zum Beispiel davon überzeugen das Buch zu lesen und das ist eine schöne Vorstellung. Ich komme in den hiesigen Buchladen herein und werde gar nicht bemerkt, weil alle Angestellten diesen Roman lesen
Lassen sie mich Frau Gaponenko zu meiner letzten nicht vorhandenen Frage kommen, ich möchte ihnen von meiner Lieblingsstelle erzählen, es ist diese Geschichte, in der ein stadtbekannter Säufer seinen Hund, weil der nicht mehr laufen kann, in einem Wagen durch die Stadt fährt, ich habe mir den Wagen vorgestellt, in meinen Augen hatte er die Farbe von Staub und eiert ein wenig.

Diese Szene ist  so groß, dass ich es kaum fassen konnte, ich selber fuhr gerade mit dem Bus durch die Rabenau und dachte, wenn du irgendwo einen Hund siehst, wirst du aussteigen und ihm die Stelle vorlesen.
Erzählen Sie mir bitte, gibt es diesen Hund in dieser sogenannten realen Welt und gibt es diesen Säufer? Beide zusammen könnten die Welt retten, womit sie schon zu viert wären, denn nichts anderes tun Anna Konstantinowna und Piotr Michailowitsch, aber ohne sie wäre nichts davon denkbar und wir müssten alle auf leeren Bänken sitzen und die Luft ansehen.

Frau Gaponenko: Ja, diesen Hund und diesen Mann gibt es, ich sah die beiden mehrmals in einem Frankfurter Park langsam unter alten Bäumen spazieren. und das Geräusch des Wagens ist so, wie Sie es beschreiben.

Marjana Gaponenko
Annuschka Blume
Residenz
2010 · 256 Seiten · 21,90 Euro
ISBN:
978-3-701715442

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