Produktive Störmomente
Es ist verwunderlich, Literaturzeitschriften spielen im Kulturbetrieb bis heute eher eine randständige Rolle, sie werden von der interessierten Öffentlichkeit kaum wahrgenommen. Dies ist auch deshalb überraschend, weil immerhin diese Periodika eine wichtige Funktion erfüllen. Literaturzeitschriften sind die Organe, die der Literaturbetrieb braucht, hier finden nämlich die Entdeckungen statt, hier haben neue Autoren ein Forum, um sich zu erproben. Ob „Literatur und Kritik“, „Schreibheft“, „manuskripte“ oder die legendären, von Walter Höllerer und Hans Bender gegründeten „Akzente“; sie sind und waren der Treibriemen der zeitgenössischen Literatur. In diesen Foren ist nachzulesen, wie sich von einer Generation von Autoren zur nächsten die Schreibhaltungen veränderten. Hier wurden zuerst neue Konzepte, Ästhetiken und neue Stimmen vorgestellt. Blickt man etwa in die „Akzente“ des Jahrgangs 1959, so liest man die Namen Theodor W. Adorno, Günter Grass, Peter Härtling, Peter Rühmkorf oder Uwe Johnson und – ja, auch den Namen des späteren Büchnerpreisträgers Hermann Lenz – spannend, was hier an gänzlich Neuem, wie dem ersten Kapitel „Der Blechtrommel“ und auch an differierenden Stimmen, versammelt wurde.
Nun gut, die „Akzente“ oder später dann „Sprache im technischen Zeitalter“, auch von dem Literaturentdecker Höllerer gegründet, mögen singuläre Periodika gewesen sein; doch unstrittig ist, ohne Literaturzeitschriften gäbe es die zeitgenössische Literatur, sowie wir sie kennen, nicht.
Die wenig bekannte deutsch-österreichische Zeitschrift „IDIOME. Hefte für Literatur“ feiert dieses Jahr ihr zehnjähriges Bestehen. Gut, dass die Herausgeber Florian Neuner und Ralph Klever das Abenteuer dieser auf Prosa spezialisierten Zeitschrift durchgehalten haben. Hier jedenfalls gibt es eine Menge zu entdecken. Getragen wird das ganze Unternehmen von der Frage, was denn eigentlich Prosa sein kann. Neuner stellt im Editorial der 11. Ausgabe von IDIOME fest: Prosa als eigenständige Sprachkunst sei, anders als die alte Kunstform des Romans, „die Pluralisierung der schreibenden Zugänge zur Welt als Herausforderung anzunehmen.“ In diesem spannenden Konzept, so kann es verstanden werden, ist das Schreiben von Prosa gleichsam ein Erkundungsvorgang, zumal hier der Autor im Text den Schreibvorgang mitreflektiert, er ist ein Probierender, der die Möglichkeiten der Sprache schreibend untersucht. Nicht nur divergierende Prosaversuche werden abgedruckt, sondern auch, was in der Lyrik immer selbstverständlich war, theoretische Ansätze.
Programmatisch für diese Spurensuche steht Lucas Cejpeks Text mit dem zweideutigen Titel „Dichte Prosa! Manifest“:
„Prosa ist kein Gedicht.
Prosa ist klar.
Ein klarer Fall von Prosa.
Knall und Fall. Prosa ist Klang.
Prosa hat Glanz.
Prosa kann unscheinbar sein, unpoetisch wirken.
Kleine Prosa ist große Prosa. …
Prosa ist auf nichts aus. …
Auf den Geschmack von Prosa kommen.
Volle Prosa.
Nach Prosa hungern.
Verrückt nach Prosa, prosasüchtig sein. …
Ehrliche Prosa ohne Ich.
Mehrstimmigkeit ist prosaisch. …“
So das Manifest, das tatsächlich keines sein will. Ismen oder gar Systeme sind den im Heft versammelten Autoren suspekt. Die Texte in IDIOME geben keine Antworten, sie ziehen den Leser in Assoziationsgeflechte, sie erschließen ihm Möglichkeiten, er selbst soll in der Mehrstimmigkeit des Materials ein Erkundender sein. Lesen wird hierbei zu einer neuen Erfahrung. Prosaische Spracherkundung liest sich in Sabine Hassingers „Elefant in Sonne, Welt in Licht. Zwischennotiz zu Frau Schneider lernt Polnisch“ wie folgt:
„co to znaczy? … was bedeutet das? was bedeutet das? co to znaczy to znaczy, `ze das bedeutet, dass… Schneider hat mir die Selbstbeauftragung erfunden, dann mich mit selbiger Selbstbeauftragung gefangen genommen, sitze in der Falle und laure auf Bewusstseinsprozess, das Erlernen dieser Sprache ein harter Vorwand für Bewegung in der Welt, Schwapp ins Gesicht, twarz Gesicht. Die beiden letzten Buchstaben … immer ein Laut…stimmhaft wie bei … Katarzyna, ein Gesicht das sich gewaschen hat … der 5. Fall Instrumental, ins Gesicht twarz. Twarz i twór Geschöpf Wesen Schöpfung Werk … potwór Ungeheuer, was nach dem Gesicht kommt was hinter dem Gesicht liegt ist die Verleumdung, hinter dem Werk steckt das Ungeheuer.“
Ist Prosa identisch mit erzählen? Offenbar hat Sprache auch einen Rhythmus, einen Sound, sie ist ein Klanggebilde. Hassingers schwer zitierbarer, verdichtender Schreibduktus sprengt Erwartungshorizonte, macht Gattungsfragen obsolet, der literarische Text ist gleichzeitig ein poetologischer, er suggeriert Wissenschaftlichkeit und Systematik und führt diese zugleich ad absurdum. Deutungs – und Rezeptionsmuster werden in diesem Text bewusst verstört. Die Epiphanie, die Sprache thematisiert, schlägt in eine apodiktische Aussage um, das Werk – ist es das literarische? – wäre ein „Ungeheuer“. Deutung – offen, Lesarten aber möglich. Vorgeführt wird eine konkrete prosaische Praxis. Der Leser soll sich einlassen, Inneres wird im Äußeren gespiegelt. Schreiben hat hier auch die Qualität Botschaften zu verrätseln, wenn nicht zu verweigern.
Aus der Vielzahl der Beiträge, die in Teilen auch ganz konventionell gehalten sind, sei noch aus Hansjörg Zauners Text „o.T.“ zitiert, um den postavantgardistischen Sound der IDIOME zu dokumentieren:
„luft frisch hopsiger schützt schräg zerbrochenes. spuren mehliger krawatte für lovezappelsong glanzhobeldrchseln entspannter. austrainierter übersehdampfer gitarrengurgelseifen kacken wortkraksen winkel. löschdehnblatt schreit bequem auf. … sprache munteres gerümpelklupperkräusel von zirrbrettern belauscht zuckt sogar hopsenden haufen fachmehröffnung gugelwurfknäuelhäutungslärm klumpertchen….“
So ein Textausschnitt, ein Mosaikstein der Pluralisierung der Weltbeschreibung; ob dieser lediglich ein reines Sprachspiel ist, bleibt schwer zu entscheiden. Gut, Manches, was im Heft 11 der IDIOME nachzulesen ist, erzeugt durchaus beim Rezensenten auch Ratlosigkeit, da gibt es schwer verständliche Verschachtelungen, Wortneubildungen, Brüche; doch was macht Literatur aus, wenn sie versucht, sich neu zu erfinden: die produktive Verstörung. Dafür jedenfalls stehen die IDIOME.
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Texte von Konstantin Ames, Jörg Burkhard, Lucas Cejpek, Zsuzsanna Gahse, Sabine Hassinger, Andrea Inglese, Angelika Janz, Gerhard Jaschke, Philipp Kampa, Mariusz Lata, Jürgen Link, Bert Papenfuß, Barbara Philipp, Veronika Reichl, Betram Reinecke, Nils Röller, Ulrich Schlotmann, Waltraud Seidlhofer, Aleksei Shinkarenko, Mathias Traxler, Liesl Ujvary und Hansjörg Zauner sowie ein Werkstattgespräch mit Schuldt.
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