Nadire Y. Biskin im Gespräch mit Daniela Dröscher
Daniela Dröscher ist Romanautorin. Ihr neues Buch ‚Zeige deine Klasse. Die Geschichte meiner Herkunft.‘ ist bei Hoffmann und Campe erschienen. Daniela Dröscher kommt vom LCB und ich aus dem Wedding. Wir treffen uns in der Mitte, im Grimm-Zentrum der Humboldt Universität zu Berlin und führen ein Gespräch über Scham, Klasse und nette Menschen.
Der Titel des Buches lautet ‚Zeige deine Klasse‘. Zeigt man nicht schon durch den Habitus die soziale Herkunft?
Es zeigt sich automatisch eigentlich, stimmt. Es geht mir eher darum sich bewusst Gedanken zu machen, was sich da eigentlich zeigt oder was man überhaupt zeigen möchte oder verbergen möchte. Bei Kolleg*innen aus Großbritannien oder Frankreich scheint die Reflexion über die soziale Herkunft eine Selbstverständlichkeit wie Kultur oder das Geschlecht zu sein, in Deutschland jedoch wird die Klassenfrage oft vernachlässigt.
Sie haben bisher nur Romane verfasst. Wieso haben Sie sich entschieden jetzt ein autobiographisches Buch mit soziologischen Elementen zu schreiben?
Ich habe sehr lange an einem Roman, in dem es auch um die Kategorie ‚Klasse‘ geht geschrieben und habe irgendwann festgestellt, ich muss erst Mal mir im Klaren darüber sein, woher ich komme.
Sie schreiben, es benötigt vier Generationen bis ein Milieuwechsel vollzogen ist. Damit wären Sie ja mitten im Milieuwechsel. Sehen Sie Unterschiede zwischen Ihnen und Ihren Kindern?
Meine Kinder haben mit vielen Sachen eine Selbstverständlichkeit. Meine Tochter singt im Chor und es ist selbstverständlich für sie, dass sie später auch im Musikbereich arbeiten wird. Sie lernen aber auch, ihre Stimme zu erheben, wenn sie Unrecht sehen. Das wurde mir in meiner Kindheit nicht beigebracht, wir waren damals die ‚schweigende Mehrheit‘. Es gibt aber auch eine Kontinuität, in dem ich versuche meinen Kindern beispielsweise nahezubringen, dass sie keine Ellbogen zum Einsatz bringen, um an ihr Ziel zu gelangen.
In Ihrem Buch ist von den drei Ds des Schams– dicke Mutter, Dorf, Dialekt – die Rede. Welche Schamaspekte sind es Ihrer Meinung nach bei Menschen, die in Großstädten wie Berlin oder Frankfurt am Main aufwachsen?
In jeder Stadt gibt es vermeintlich bessere und schlechtere Wohnorte. Die Geographie ist immer eine Hierarchie: Wer wohnt wo? Wer wohnt mit wem? Das wäre meine Übersetzung von Dorf. Dialekt wird in der Großstadt mit jeder anderen Form von Abweichung des Standarddeutsches ersetzt, sei es der Soziolekt oder der Akzent.
Hat Scham eigentlich auch eine positive Funktion?
Die von mir als ‚Scham nach Unten‘ bezeichnete Scham ist eine politische Kategorie. Sie bietet einem die Möglichkeit, über die eigenen Handlungsmöglichkeiten nachzudenken. Man kann sich fragen: Wo kann ich eine Stimme entwickeln? Auch vielleicht sogar in Solidarität mit Menschen, die sich nicht haben. Natürlich ist es eine Herausforderung, dabei nicht paternalistisch zu werden.
Sie schreiben, es gäbe eine Scham nach ‚Oben‘ und nach ‚Unten‘. Hat die Scham der Privilegierten die gleiche Dimension wie die der Unprivilegierten?
Die Scham nach ‚unten‘ kann auch als Koketterie gedeutet werden. Ich beschreibe aber auch diese Scham im Zusammenhang mit einer Freundin in meinem Buch. In dem Fall war es nicht kokett, sondern elementar für unsere Freundschaft. Die Dimension des Schams hängt also sehr viel damit zusammen, wie abstrakt oder konkret und persönlich die Beziehung zu anderen Klassen ist.
Ist man anderen Formen des Milieuwechsels gegenüber empathischer, wenn man einen Klassenwechsel, also einen sozialen Aufstieg, hinter sich gebracht hat?
In meinem Fall, ja. Mich hat es immer zu Menschen hingezogen, die ‚Brüche‘ in ihren Biographien hatten, sich als vielschichtig empfunden haben. Da gibt es viel Gemeinsamkeit, es besteht aber auch die Gefahr, die verschiedenen Formen des Milieuwechsels und der damit einhergehenden Diskriminierung gleichzusetzen.
Didier Eribon berichtet in ‚Rückkehr nach Reims‘ von einem Kontaktabbruch zu seiner Familie im Zusammenhang mit seinem Aufstieg. Was denken Sie, warum es bei Ihnen nicht solch einen Kontaktabbruch gibt?
Es gab auch Phasen, in denen ich weniger mit meiner Familie zu tun haben wollte. Jedoch gab es immer genug Anknüpfungspunkte zu meinen Eltern und auch immer Empathie. Ich wollte auch, dass meine Kindern Großeltern haben, die sie kennenlernen.
‚It’s easy to be nice, when you’re rich.‘ lautet eine Kapitelüberschrift in Ihrem Buch. Was meinen Sie damit?
Das deutet auf die Gefahr des Paternalismus an. Wer was zum Geben, zum Verteilen hat und das auch macht, scheint nett zu sein. Gönnersein lässt einen als angenehmer erscheinen als Fordernder zu sein. Nettsein kann manchmal auch ein Zeichen von unglaublicher Ignoranz gegenüber dem Elend der Welt sein.
Was würden sie ihrem Aufsteiger-Ich oder anderen Aufsteigern gerne auf den Weg geben?
Umarmt die Welten, die ihr in euch habt. Es sind scheinbar paradoxe Welten. Es macht aber viel Sinn, sie komplementär zu denken. Erzählt eure Geschichten.
***
Wir danken Daniela Dröscher und Nadire Y. Biksin für das Gespräch
Fixpoetry 2018
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben