Schäbig oder shining
Neu bei Hanser:
„Man konnte sich hier auf so viele verschiedene Arten und an so vielen verschiedenen Orten betrinken: in der in einem großen, verrauchten Wohnmobil untergebrachten Literatenkneipe mit dem ausgestopften Fuchskopf und den kaputten Uhren überall an der Wand; oder in der Dichterkneipe die Straße runter, mit ihren blutarmen Cheeseburgern und der leuchtenden Schlitz-Bier-Reklametafel, einer elektrisch bewegten Landschaft mit gurgelndem Fluss, neongrün grasiger Uferböschung und flackerndem Wasserfall. Ich zerstampfte die Limette in meinem Wodka Tonic, und an dem perfekten Punkt zwischen den ersten beiden und dem dritten, dem dritten und dem vierten und dann zwischen dem vierten und dem fünften Drink meinte ich, mein Leben würde von innen heraus leuchten.“
Alle Geschichten von Sucht gleichen einander, doch jeder Süchtige glaubt, auf ganz eigene Weise unglücklich zu sein. Das begriff Leslie Jamison, als sie begann, Treffen der Anonymen Alkoholiker zu besuchen: Sie trank, weil sie ihre Mängel verbergen und um jeden Preis besonders sein wollte. Sie würde erst genesen, wenn sie nicht mehr auf ihrer Originalität beharrte. Mitreißend erzählt sie von ihrer Abhängigkeit und hält sie gegen die populären Mythen trunkener Genialität – über Raymond Carver, Billie Holiday, David Foster Wallace und viele andere. „Die Klarheit“ ist eine persönliche und kollektive Geschichte des Trinkens und des nüchternen Lebens – klug, bewegend aufrichtig und von unverhoffter Schönheit.
Leslie Jamison: Die Klarheit. Alkohol, Rausch und die Geschichten der Genesung. Aus dem Englischen von Kirsten Riesselmann. Hanser Verlag, 2018.
Neuen Kommentar schreiben