Zwischen Ordnung und Zerfall
Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt erschien der Debütroman „Gegend“ der 1982 in Bremen geborenen Nora Bossong. Ihr Lyrikdebüt „Reglose Jagd“ folgte 2007, in dem Jahr, in dem sie mit einem der beiden Förderpreise des Literarischen März in Darmstadt gewann. Seitdem erscheinen in regelmäßigen Abständen Romane („Webers Protokoll“, 2009; „Gesellschaft mit beschränkter Haftung“ und „36,9 Grad“, 2015), und Gedichtbände („Sommer vor den Mauern“, 2011), Essays und Reportagen („Rotlicht“, 2017). Hier arbeitete eine Autorin beharrlich und konsequent an einem facettenreichen Werk, an dessen Anfang erstaunlich „fertige“ Texte stehen, was ein Blick auf das erzählerische und lyrische Debüt beweist.
Die Gattungen sind im Werk Bossong insofern eng verzahnt, als z.B. schon in „Reglose Jagd“ Weber in einem der Gedichte auftauchte, und man noch in ihrem jüngsten, soeben erschienenen Gedichtband Kreuzzug mit Hund mit dem Gedicht „Sevilla“: „B2 auf B4 so ging der Zug!“ an das Schachspiel denken kann, das in „Webers Protokoll“, dem Roman über einen Deutschen, der im Nationalsozialismus als Diplomat in Italien tätig ist und in Deutschland verbliebene Juden bei ihrer Flucht, weil er sich Vorteile davon verspricht, besondere Bedeutung zukommt. Wenngleich es in „Sevilla“ um das Schachspiel als das königliche Spiel geht, dessen Ursprung nach Persien reichen und das sich von Osten aus über die Welt verbreitet und als strategisches Brettspiel etabliert hat, ist doch das strategische Moment im Schach in beiden Fällen bedeutsam für die Texte.
Man kann im Werk von Nora Bossong die strenge Organisation des sprachlichen und erzählerischen Materials entdecken. Wie planvoll und genau die Autorin arbeitet zeigt sich auch an der Komposition des jüngsten Gedichtbandes „Kreuzzug mit Hund“. Neun Kapitel, von denen sich die ersten und die letzten vier herumgruppieren um ein Mittelkapitel „Versuch über Provinz“, das im Gegensatz zu allen anderen Gedichte ohne Überschriften versammelt. Dem Mittelkapitel mit seinen elf Gedichten, die im Thüringischen angesiedelt sind, wo Martin Luther sich von Nierensteinen kurierte, kommt eine Art Scharnier- oder Achsenfunktion zu, hier schlägt die Richtung der vorangegangenen Kapitel um, die sich von Europa ausgehend, ähnlich wie die Kreuzzüge, gen Osten bewegen. Hier kommen auch die Gedichte im zweiten Teil des Bandes, dessen letztes Kapitel in Teheran angesiedelt ist, an.
Es sind melancholische, zwischen Traum und Wachzustand, zwischen romantischen Anklängen und Rationalität sich bewegende Gedichte wie dieses:
Weil man die Sterne beschreiben kann,
aber sie beschreiben uns nüchterner,
ohne den Wunsch, uns vom Himmel zu holen.
Wir blieben allein unter uns,
mit dem maßlosen Blick hinauf,
der uns die Sterne setzt und Asteroiden
und was die Sterne sind und Asteroiden,
und mit welchem Wort wir sie herunterholen.
Als könnte Sprache Ordnung schaffen,
als scherte sich Gestein,
Geröll im freien Fall
um unser System.
„Als könnte Sprache Ordnung schaffen“ -- dieser Vers kündet vom Anspruch der Sprache, das In-der-Welt-Sein bzw. die Welt zu ordnen, sie in ihren Erscheinungen einzuordnen, sie zu verstehen und stellt, indem er ihn konjunktivisch ausspricht, diesen Anspruch in gewisser Weise als uneinlösbaren dar. Die Pendelbewegungen zwischen Ordnung und Zerfall lassen sich in „Kreuzzug mit Hund“ auf vielerlei Ebenen beobachten.
Sie sind evident schon im ersten Kapitel „Kurzes Asyl“, das den Hallraum Europa als Reservoir von Mythen und Traditionen aufruft, die auf dem Prüfstand stehen, in Gedichten wie „Stationiert“, das von den Erfahrungen eines Soldaten im Afghanistan-Krieg berichtet und in dem in Versen wie
der Krieg ist doch die verlässlichste Sprachfigur die älteste
Art miteinander zu reden
diese Pendelbewegung ausgedrückt ist.
Sie werden sichtbar im zweiten Kapitel „Bürgerliche Existenzen“, in dem die Apparate der Bürokratie im Versuch, die Welt zu ordnen, insofern ihren Verfall nicht verhindern können, als sie die Individuen, die diese Apparate am Laufen halten, erschöpfen und entleeren. Sie ziehen sich durch den gesamten Band, dessen einzelne Kapitel sich zunächst vermeintlich stark voneinander zu unterscheiden scheinen, die aber eng verwoben sind.
Da schließen sich immer mehr die Kreise, was das schön gestaltete Cover tatsächlich in diesem Falle recht angemessen in Szene setzt, da lassen sich immer weitere untergründige Querverweise ausfindig machen, da zeigt sich im feinen Gewebe der Verse, wie mit Referenzen auf die Tradition, auf die Weltreligionen, insbesondere aber die christliche Religion mit ihren Konfessionen, und auch die literarische Tradition von Hans Magnus Enzensberger bis T. S. Eliot, von Gottfried Benn bis Hans-Jürgen von der Wense vieles im Band mehr miteinander zu tun hat, als es auf den ersten Blick scheint.
Und es gibt zahlreiche poetologisch zu lesende Gedichte, in denen die Schilderung von Teppichen, ihrer Textur übertragen werden kann auf die Texturen des Gedichts. So etwa im den Band seinen Titel gebenden Gedicht „Kreuzzug mit Hund“, in dem das sprechende Ich nach einem Besuch im iranischen Teppichmuseum erschöpft in ein Taxi steigt und von dort aus einen jener Straßenhunde erblickt, wie es sie in Teheran in großer Zahl gibt. Die Auflösung des rätselhaften Titels geschieht in diesem Gedicht, die Mysterien der insbesondere der dichterischen Sprache, feiert der Band unbeirrt davon in subtiler und reflektierter Weise. Doch wenngleich sich Bezüge herstellen, Themen verdichten, bleiben viele Gedichte des Bandes rätselhaft-schöne Kondensate poetischer Sprache. Wäre Nora Bossong für „Sommer vor den Mauern“ nicht schon 2012 mit dem Peter-Huchel-Preis ausgezeichnet worden, so wäre sie mit diesem Band erneut eine starke Kandidatin.
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