Von Tieren und Menschen
In ihrem Beruf helfe es, einen Vogel zu haben, hat die aspekte-Preisträgerin Teresa Präauer im Mai 2016 gesagt, als sie die Antrittsvorlesung der Samuel-Fischer-Gastprofessur an der Freien Universität Berlin hielt. Aus ihrem Vortrag unter dem Titel Tier werden ist nun ihr viertes Buch im Wallstein Verlag geworden - ohne Anmerkungsapparat und Literaturverzeichnis, aber mit einem Schutzumschlag in irisierendem Schreckzobelfelldesign, den die Wiener Schriftstellerin und Künstlerin mitgestaltet hat. Der Schreckzobel, untrüglich inspiriert durch den nom de plume des österreichischen Dichter-Künstlers Franzobel, ist eines jener Phantasiewesen aus dem Tier-Mensch-Mix, die von der Prähistorie bis zur Gegenwart durch unsere Bilderwelten gespenstern. In großer Zahl erfahren sie in diesem Buch anschauliche Beschreibungen. Vielleicht kommt Tier werden deshalb ohne Illustrationen aus. Oder vielleicht, weil viele Bildvorlagen dieser beeindruckenden kulturhistorischen Materialschau, will man sie doch mit eigenen Augen betrachten, berühmt sind und/oder sich im Internet finden wie Hieronymus Boschs Triptychon „Der Garten der Lüste“, in dem sich anthropomorphe Albtraumgestalten tummeln, oder Charles Frégers Fotoserie „Wilder Mann“ mit Aufnahmen von Menschen in monströsen Verkleidungen, die an Schamanen weit entfernter Länder und noch weiter entfernter Zeiten denken lassen, aber als Perchten und Mischwesen aus Tier, Pflanze, Gottheit und Dämon im Europa unserer Tage dem Winter den Garaus machen.
Es ist der Prozess der Anverwandlung des Menschen an das Tier und umgekehrt, der Teresa Präauer interessiert, der Anthropomorphismus, vor allem aber die Animalisation, die sie auf das Schreiben und das Lesen von Literatur zu übertragen versucht, auf das Ausloten sprachlicher Grenzen bei der literarischen Produktion, auf den inneren Verwandlungsprozess bei der literarischen Rezeption. Viele Einfälle dazu sind entweder schlicht, wenn beispielsweise tierische Anteile an Papier und Schreibwerkzeug aufgelistet werden, oder gaghaft wie das Pseudofellfoto auf dem Buchumschlag. Tier werden ist kein brillantes Thesenwerk, sondern eine bestaunenswerte Wunderkammer, in der Wolfsmenschen vorgezeigt werden, gefiederte Harpyien, subkulturelle Fursuiter, das mutierte Personarium der Metamorphosen, die Bewohner Entenhausens, E.T.A. Hoffmanns Kater Murr und jene Katze, die Derrida zu der Annahme inspirierte, dass der Blickwechsel zwischen Mensch und Tier, der Blick des Anderen also, das eigene Werden konstituiert - ein proteischer Prozess, wandelbar und vieldeutig wie Literatur. „Das „Ich als“ ist in den Geschichten, die Menschen sich erzählen, so etwas wie die Zauberformel für Fiktionalisierung. Mit dem Wörtchen „als“ kann alles verwandelt werden“, schreibt Teresa Präauer. „Es ist, als würde man mit dem Wörtchen „als“ im Mund alles, was seinen Weg über die Lippen findet, anhauchen können, und es würde zu Fell, zu Pelz, zu Schuppen, zu Federn. Die Animalisation wird sodann eingeleitet.“ So also entsteht der Wolf, der Rotkäppchen frisst.
Nicht überraschende Deutungen, systematische Strenge oder gedankliche Schärfe zeichnen diesen Essay aus. Es gibt vielmehr zahlreiche Fragen, die die Leser für sich weiter verfolgen mögen oder nicht. Und es gibt Anverwandlungen an andere Texte. Darunter die Tausend Plateaus von Deleuze und Guattari, deren Denkfigur „devenir-animal“ – klein und mit Bindestrich geschrieben - bedeutsam ist für die Diskurse der Human-Animal-Studies, da sie für ein emanzipatorisches, vom anthropozentrischen Standpunkt abweichendes Denken steht: „Tier-Werden“ kann demzufolge durch Einfühlung in das Andere, das nicht Ich ist, gelingen. „Ich schreibe „Tier werden“ als zwei Wörter, getrennt voneinander, nicht durch einen Bindestrich zusammengesetzt“, so Teresa Präauer. „Ich schreibe „Tier“ groß und „werden“ klein. Wenn ich Tier werde, bin ich nicht Tier. Ich befinde mich im Übergang.“ Doch die orthographische Nuance führt zu keinem neuen Denkansatz, der von Tausend Plateaus abwiche, denn auch Deleuze und Guattari betrachten Leben als Werden in ständiger Verwandlung.
Wie die Human-Animal-Studies plädieren die Genderstudies für den Verzicht auf tradierte Machtbeziehungen und binär organisierte Hierarchien. Wichtig ist Teresa Präauer der Aufsatz When species meet, verfasst von der amerikanischen Feministin Donna Haraway, die in unserer Welt zahlreiche Mischwesen aus Mensch, Tier und Maschine entdeckt, geklonte und gechipte Tiere, Prothesenträger, Cyborgs, und in diesen „neuen Kombinationsmöglichkeiten auch eine Chance sieht, den alten Geschlechterrollen zu entkommen.“ Darauf scheint auch ein ganz anderer Prozess zu verweisen, die freiwillige Verwilderung des Menschen nämlich, präsentiert beispielsweise von der Künstlerin Cass Bird in ihrem Fotokatalog Rewilding:
„Cass Bird zeigt Frauen in einer vermeintlichen Wildnis; sie sind im Aussehen, im Habitus, bei der Wahl ihrer Tätigkeiten auf diesen Fotos kaum von Männern zu unterscheiden. In der Idee vom Wildsein schlummert auch die Utopie einer Verwischung der Geschlechtergrenzen. Und lösten sie sich, wenigstens die menschlichen, weiter auf, wenn wir dies vollzögen: Tier zu werden?“
Und was wäre dann? mag man fragen. Aber die Autorin stellt auch hier keine weiteren Überlegungen an in diesem Buch, das gleichwohl als enzyklopädisches Werk lobens- und lesenswert ist.
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