Wissenschaft und Poesie
Eine neue spannende Reihe startet auf im Lyrik Kabinett München. Hier der Ankündigungstext:
„Wissenschaft und Poesie – sie bieten auf den ersten Blick zwei unvereinbare Zugänge zur Welt: Subjektiv und emotional einerseits, objektiv und nüchtern andererseits. Bei genauerem Hinsehen tun sich allerdings Verknüpfungen der Perspektiven auf: Werfen Wissenschaft und Poesie nicht beide einen genauen Blick auf die Dinge, die im Alltag selbstverständlich erscheinen, und versuchen, sie auf ihre Weise darzustellen, zu erklären, zu archivieren, zu analysieren? Wollen sie nicht beide grundlegende Fragen des Menschseins beantworten? Wird die Wissenschaft nicht zuweilen Gegenstand der Lyrik? ‚Denkt‘ nicht auch das Gedicht? Speichert es nicht Wissen? Und bedient sich nicht auch die Wissenschaft des poetischen Ausdrucks und der metaphorischen Rede?
Poesie und Wissenschaft ähneln sich darin, dass sie versuchen, dem Menschen zu helfen, sich in veränderten und neu erschlossenen Umwelten zurechtzufinden, sowie auf die Spannung von menschlichem Sinnbedürfnis und technischer Zurichtung von Welt zu reagieren. Es gibt Verbindungen, Ähnlichkeiten, aber auch großes Reibungspotential. Wissenschaft und Poesie erschließen die Welt und die menschlichen Möglichkeiten auf unterschiedlichen, komplementären Wegen. Das gemeinsame Medium der vermittelten Erkenntnis ist die Sprache, die gemeinsamen Verfahren sind Beobachtung, Vergleich und Experiment.
In historischer Perspektive haben sich Wissenschaft und Kunst in den letzten 200 Jahren als autonome gesellschaftliche Funktionssysteme ausdifferenziert. Erst diese Differenz gibt aktuellen literaturwissenschaftlichen Forschungsfeldern wie „Literature and Science“ oder „Literatur und Wissen“ Anlass, die Formen und Funktionen der Wissenschaftsbezüge in der Literatur zu untersuchen. So kann gefragt werden, wie die Lyrik die Veränderung des Weltwissens aus der Wissenschaft aufnimmt und auch, wie es dieses Wissen selbst verändert und ob nicht die Dichtung ein Neu-Denken ermöglicht, von dem die Wissenschaft profitieren kann, das heißt ob sie nicht auch etwas zu den Erkenntnissen wissenschaftlicher Arbeit beizutragen hat. Gefragt wird in umgekehrter Blickrichtung zum Beispiel nach einer ‚Poetologie des Wissens‘.
Die Reihe wird an diese sich zurzeit dynamisch entwickelnden Forschungsfelder anknüpfen, die zahlreiche wissenschafts- und literaturtheoretische Publikationen hervorbringen – aber keine Veranstaltungen, bei denen die Begegnung geschieht und für ein breiteres Publikum nachvollziehbar ist. So kann die Veranstaltungsreihe als eine Spielart der Frage nach der Interaktion ‚zweier Kulturen‘ (nach C.P. Snow) und Weltsichten verstanden werden, bei der entscheidend ist, dass die Interaktion in den Veranstaltungen nicht nur reflektiert wird, sondern selbst stattfindet, dass die beiden Bereiche einander tatsächlich begegnen, sich gegenseitig hinterfragen, gemeinsam auf Fragen antworten und sich die jeweiligen Grenzen aufzeigen. Damit wären die Veranstaltungen nicht nur methodisch-theoretische Diskussion, sondern performative Umsetzung des Themas.“
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