Zahnlos ineinander greifen
„Schönsein heißt so viel wie die Lust am Schauen“, schreibt Christine Langer in ihrem neuen Gedichtband „Findelgesichter“, dem vierten innerhalb von zehn Jahren. Wahrheit, die einen Gleichklang der Ambitionen herstellt, falls der Leser wirklich ambitioniert ist, sich inzulassen – Wortkunst, die zurückhilft in etwas wie Demut.
Diese Gedichte lassen einen manchmal wie benommen in einen großen Respekt vor der Schöpfung und dann verwandelt in den eigenen Alltag zurückkehren, mit einer intensivierten Sicht auf das, was das Gesagte aus der Welt in die Buchstaben lädt. „Ach dieses ogelbeerenherz so jung/ In meiner Hand und hart wie Leder“, lese ich da und weiß, dass es sich hier nicht um bloße Naturgedichte handelt, sondern um Begegnungen, in denen Reflektionen des eigenen Lebens ein Vehikel für andere werden, mit allem was in ihnen geschieht, hervorkommt, vorschwindet, bisweilen explodiert.
„Langweilig ist es hier nirgends. Das tummelt und tollt durchs Gras.“ schreibt Dorothea von Törne sehr treffend in der WELT. In den Gedichten von Christine Langer bleibt der Mensch angesichts der Natur aufs angenehmste im Hintergrund, ein Bündel Dasein im Klang der Stimme. Unnachahmliche Bilder entstehen so, die Christine Langers Beobachtungsgabe, ihr wunderbares Assoziationsvermögen und ihren sorgsamen und leichten Umgang mit der Sprache sensibel zeigen: „Wohin fällt das Licht fragst Du mit geschlossenen Augen/ Mit deinem inneren Bild“.
Minutiös beobachtet und beschreibt sie Gesehenes und lässt Melodien wie Stillleben entstehen, lebendig, nachvollziehbar, voller versteckter und unsichtbarer Welten, dem Traum verwandt und irgendwie wahr, aus dem Nichts entstandene „Findelgesichter“. Dabei kommt sie ohne Interpunktion aus, schreibt erzählte und erlebte Geschichten, die zahnlos ineinander greifen in natürlichen Rhythmen, im Wechsel der Jahreszeiten: „Gereihte Strommasten wie Tannen mit trauernden/ Zweigen.“
Klare Ansagen sind die Gedichttitel, die umstandlos das Sujet benennen, eine lapidare Karte, der man zuerst sein eigenes Blatt entgegensteckt, und bei der man am Ende verwundert ist, wie sich die Vorstellungen vermengen, durch Überraschungen weiten und verändern und welches Spiel sich da plötzlich von alleine spielt. „Die Rabenkrähe“ etwa, „Der Morgen“, „Der Abend“, „Die Nacht“, „Das Industriegebiet“. Der Bezug erleichtert es, sich mit dem Unbekannten bekannt zu machen, mit „schlafenden Pärchen in den Sicheln der Nacht.“
Das Leben auf dem Land wird als elementar reflektiert und gerinnt in der „… Lust zu sehen“, womit sich der Kreis mit dem am Anfang Erwähnten schließt. „Zwischen Blättern hellsichtigen Astlöchern: kleine Lichtungen/ Lichtblicken unter Wolkenfetzen“. Vom Leben und Sterben, vom Alltäglichen bleibt die Rede: „Jemand wirft die Hintertür/ Sie schwingt langsam ins Schloß“.
„Es ist als wäre dies der Weg“, sagt Christine Langer und ihre Bilder überschreiten Grenzen, wenn sie zum Beispiel den Tod angeht, der liegt „… am Wegrand/ Herrenloses Holz das über der Zeit lag.“
Über die Lust zu sehen
Jeder Busch ein Buch mit unbeschriebenen Seiten
Mit Knospen wie Buchstaben: Mimosen länger werdender Tage
Hellgrünhellwach in diesem aufgehenden MaiwaldDer mit seinen üppigen eingekleideten zweigen
Das Innerste entlarvt Lust entfacht
Lust zu sehen und zu gehen auf Füßen wie Tatzen so nahAn der Erde so nah an den Gewächsen Gestalten gewärmten
Steinen dass Verführungen sich wandeln in augenblickliche
Fügungen - der Weidenstrauch spreizt seine Zweige undZeigt seine Mitte da hat ein Vogelnest seinen Platz angestrahlt Zwischen Blättern
hellsichtigen Astlöchern: Kleinen Lichtungen
Lichtblicken unter Wolkenfetzen
So sind Langers Texte „Blinkende Muschelphantasie fürs Kinderauge“ ein Ereignis, nicht geeignet als schnelle Lektüre zwischendurch, sind „Regenaugen“: „Regenaugen/ Sammeln sich auf sagbaren Dingen/ Das Lied das sie singen siegelt den Tag.“ Am schönsten aber werden sie von einem Satz charakterisiert, den die Dichterin in einem ganz anderen Zusammenhang im Gedicht „Die Roten Pferde“ hinstellt: „Als hätten sie Flügel/ Eine Idee eine Landschaft ein Stück Ewigkeit.“ Genauso sind sie, mit meinen Worten: bleibend und schön.
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