du grenzdebiler Nasenbluter du
Das Auge würde sich gelegentliche Absätze als kurze Verschnaufpausen wünschen, aber erbarmungslos gönnt der Fließtext sich und uns keine einzige Atempause, hält keinen Moment inne aus Angst vor der Stille oder um uns keine Gelegenheit zu geben, einzuhaken und aufzubegehren. In einem langen Atemzug geht es durch, in einer Schimpftiradenlawine, die, einmal losgetreten nicht mehr aufzuhalten ist und alles mitreißt, was sich ihr in den Weg stellt. Wir haben hier einen schier endlos langen, sich über das ganze Buch erstreckenden einzigen Satz vor uns. Friss oder geh, brüllt der Text uns an und verblüfft schlucken wir alles, was wir sagen und denken wollten wieder hinunter, setzen uns und hören ihm zu, diesem Buch, das uns anschreit. Keine Prosa, sondern großes Theater haben wir hier vor uns, ich denke sogleich an Thomas Bernhards Sprache, an den Titel Publikumsbeschimpfung des Stückes von Peter Handke und sehe die eine der großartigen drei Hauptdarstellerinnen aus Werner Schwabs Die Präsidentinnen vor mir, wie sie neben dem Klo einen grotesk bitterbösen Theatermonolog hält, der uns in die Abgründe dieser Gesellschaft blicken lässt. Es ist dann aber doch keine Frauen-, sondern, wie sich nach einiger Zeit zeigt, eindeutig eine Männerstimme, die da zu uns spricht, abstoßend, widerlich und unsympathisch, lächerlich lachhaft und zugleich unheimlich bedrohlich. Es ist eine Stimme, die wir, wenn wir die erheiternden Übertreibungen wegstreichen, nur zu gut kennen, aus Bus und U-Bahnen, aus Kneipen und den Medien: die hasserfüllte Stimme des Menschenverächters.
welche wie du werden dem Antichrist übergeben, dass sie gezüchtigt werden, nicht mehr zu lästern, dass sie das Maul endlich halten, weil der Teufel es ihnen zunäht, so wie es gehört mit solchen Mäulern, zugenäht gehören die, mit festen Stichen hinein und einem guten Faden, der auch hält, kleinmaschigst genäht und zugezogen mit einem Ruck,
Der sperrige Titel: Wahrlich fuck you du Sau, bist du komplett zugeschissen in deinem Leib drin. Oder: Zehrung Reiser Rosi gibt uns schon Hinweise darauf, es geht um gesprochene Sprache, um Mündlichkeit, Lautlichkeit, Klang. Als Gattungsbezeichnung trägt der Text daher berechtigt den Untertitel: „Ein Gesang“. Es ist kein Text, der still gelesen werden möchte, mit stillen Lesern geht der Text sehr grob um, scheißt sich nichts und uns auf den Kopf, nimmt keinerlei Rücksicht, verschwendet keine Zeit mit Absätzen, Kapiteln oder ähnlichem Firlefanz, sondern bietet uns Literatur roh an. Literatur, die einen beißenden Gestank verbreitet, sodass uns die Augen brennen. Diesen Text möchte ich nicht still lesen, ich möchte ihn ins Gesicht geschrien bekommen. Das ist Theater. So soll Theater sein. Der Text rennt uns schlicht und ergreifend mit einer ungeheuren Sprachwut und –wucht nieder.
tue das nicht mein Freundchen, sonst holen dich die Ratten als erstes, sonst kommt kein bisschen Ernsthaftigkeit mehr an dich heran wenn du so eine Lächerlichkeit als Kunst akzeptierst, wenn du diese lächerlichen Frauen mit ihrer lächerlichen Frauenliteratur ernst nimmst, die unzähligen jungen Damen, die sich anmaßen, im hohen Literaturbetrieb mitzumischen, nur weil sie einen geraden Satz schreiben können, diese aufbegehrenden Frauenzimmer, denen man gutmütigerweise und als Folge des Schulsystems halt Lesen und Schreiben beigebracht hat und die nun glauben, darob dieser einfachen Kompetenz auch tatsächlich Bücher schreiben zu können wie ein Mann, diese anmaßenden Weiber,
In der Überzeichnung werden diskriminierende und diffamierende Ansichten und Meinungen in all ihrer Lächerlichkeit und Haltlosigkeit bloß gestellt, was überaus erheiternd ist. Aber es ist ein Lachen, das uns im Halse stecken bleibt. Denn der menschenverachtenden und –entwürdigenden Haltung, aus der heraus Dinge gesagt werden, die wir in ihrer Übertreibung als komisch und lustig empfinden, wohnt etwas sehr Bedrohliches inne. Angesprochen wird ein schweigsames Du, die tote Rosi und kurz auch das Publikum, was wiederum ein Theatersetting nahelegt. Immer wieder verfällt die maßlose Schimpftirade auf der Oberfläche in Anklänge eines religiös geprägten Duktus. Lydia Haider verwendet in diesem Text keine radikalen Wiederholungen als Stilmittel, wie sie das in rotten tut. Die Musikalität entsteht stattdessen aus der derben Mündlichkeit der Sprache.
ja Sakrament nochmal, du scheinst das echt nicht zu übernasern du Wischiwaschipracker, saublöder,
Der wortreiche Rundumschlag richtet sich gegen vieles und viele, gegen übergewichtige Menschen, Akademikerinnen, Bauern ebenso wie gegen Mediziner. Geschimpft wird aus einem ungeheuren Minderwertigkeitskomplex und der unbestimmbaren Angst vor allem Fremden und Unverständlichen heraus. Ganz nach dem Motto: Angriff ist die beste Verteidigung. Der ganze Text nimmt immer wieder Anlauf, redet um den heißen Brei herum, spricht dann doch etwas aus, schreckt dann im nächsten Moment schon wieder davor zurück und wettert stattdessen gegen Flipflops oder die spanische Sprache um vom eben Gesagten wieder abzulenken. Und so redet der Sprecher sich nach und nach Mut an und gibt allmählich sein wahres Gesicht zu erkennen: das eines hasserfüllten, frauen- und fremdenfeindlichen Neonazis.
und hier steht unsere Rosi erneut Zeuge, ja wir wussten, wie wir auserwählt waren und die Hand dazu hochgerissen und stramm gestanden und sie hat uns gelobt, obwohl man so Sachen vor den falschen Leuten besser nicht sagen sollte, weil bei den Lehrern und so Parasiten da war man schnell angezeigt und der ganze Hobbykeller dann ausgeräumt von der Exekutive,
Lydia Haider möchte uns mit ihrem Text wachrütteln und sie tut das indem sie uns vor Augen führt, worauf menschenverachtendes, rassistisches und faschistisches Denken hinaus läuft, wenn es immer nur toleriert und als harmlos belächelt und abgetan wird.
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