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Kritik

Im friedlichen Sinn des Wortes anarchisch

Einen Gedichtband zu rezensieren ist ein Handwerk, das es nicht gibt. Zeitgenössische Gedichte tappen bekanntlich häufig im Dunkeln. Wie verhält sich der Rezensent nun zu diesem Dunkel? Gesellt er sich ihm zu und beginnt selbst zu raunen, oder versucht er Gedicht und Dichter zum Licht zu erlösen und damit an die Welt und deren innere Notwendigkeiten zu verhökern?

Aus diesem  Dilemma, der unüberwindlichen Schranke, die natürlicherweise den poetischen vom diskursiven Text scheidet, gibt es keinen wirklichen Ausweg. Wenn das Gedicht gut ist – und darunter verstehe ich : wenn es zu einem Ereignis wird, wie der italienische Lyriker Giovanni Raboni einmal formulierte, fähig auf eigenen Beinen in der Wirklichkeit zu stehen, dann kann alles, was ich als Rezensent oder Interpret dazu formuliere, im Grunde genommen nur hinter seinen überragenden Standard zurückfallen. Ist es schlecht oder einfach nur nichts sagend und will dem Leser so gar kein Rätsel aufgeben, lohnt es sich kaum, ein Wort darüber zu verlieren.

Leichter als die häufig so mut- und trostlose deutschsprachige, bzw. rhetorisch aufgeblasene italienische Lyrik der Gegenwart machen es uns allemal die Amerikaner, mit ihren poetischen Welten Tuchfühlung aufzunehmen. In ihren unvergleichlichen Mischungen aus Gegenständlichkeit und Metaphysik laden sie den Leser nachgerade dazu ein, sich einem Gedicht unbefangen wie etwa einem neuen Menschen zu nähern, von dem man noch nicht weiß, ob er irgendwann zu einem Freund werden wird. Dieses schlichte Erst mal gucken  will mir in einer Welt, in der das Gedicht in den allermeisten gesellschaftlichen Zusammenhängen wie ein Zebra in der Lüneburger Heide steht, tatsächlich als die einzig mögliche Haltung erscheinen, mit der man ihm heute noch begegnen kann ohne ihm entweder Gewalt anzutun, es also auf Standpunkte oder Weltsichten festzulegen, die in ihm selbst niemals absolute Geltung beanspruchen, oder es der Lächerlichkeit preiszugeben.

Der amerikanische Lyriker Thomas Lux, von Klaus Martens mit großem sprachlichen Einfühlungsvermögen und der angemessenen Portion Lockerheit ins Deutsche transportiert, ist ein gutes Beispiel für jene Art von Gedichten, die ganz und gar im Hier und Jetzt verankert sind. Doch obschon der Autor seine metaphysischen Anteile bewusst auf kleiner Flamme kocht, erschöpfen sich seine Gedichte keineswegs in der schlichten Widerspiegelung des Alltagsgeschehens. In durchaus spielerischer Weise gelingt es ihm, die Wirklichkeitsanteile, aus denen sich seine Lyrik speist, gleichzeitig kenntlich zu machen und zu verwandeln: nicht in eine höhere, sondern in eine andere Wirklichkeit. Dass die Dinge dabei nicht selten eine Wendung ins Absurde oder Groteske erfahren, verdankt sich dem ironisch-distanzierten, dabei jedoch niemals zynischen Blick des Autors auf seine Fundstücke, sein schier unerschöpfliches Material, das er mit schöner Respektlosigkeit zu neuen Gebilden zusammenfügt und dadurch überraschende, ja skurrile Perspektiven eröffnet.

Das besondere Vergnügen, das die Lektüre seiner Gedichte bereitet, rührt daher, dass sie unmittelbar ein Gefühl innerer Freiheit hervorrufen. Hier ist kein Autor am Werk, der die Leser auf seine Seite ziehen möchte, der eine umfassende Weltsicht oder gar ein literarisches Programm zu verkünden hätte, sondern einer, der sich von der Wirklichkeit so wie sie wirklich ist, nicht unterjochen lässt und den Leser automatisch dazu ermuntert, es ihm gleich zu tun. Thomas Lux Gedichte haben etwas im friedlichen Sinne des Wortes Anarchisches, sei es, dass der Autor  sich ausführlich an eine im Grunde genommen durchaus unbedeutende kleine Papageiennadel aus Blech erinnert, sei es, dass er seinen Gedichten unvergessliche Titel wie Zu Tode gehackt von Schwänen oder Zuckerstückchen auf einem Ameisenhaufen oder Die ganze Nacht machten die Mäuse Hochzeit gibt. Dass Lux indes keineswegs ein Naiver ist, wird spätestens bei dem Gedicht Rilke und Lou deutlich, in dem sich, wenn man so will, eine unangestrengte Poetik verbirgt. Der allzu zart Besaitete  - sprich Rilke -  erweist sich in der derben, grobstofflichen Wirklichkeit schlicht als Fehlbesetzung.. Muss er denn ein Dichter sein/ und das die ganze Zeit? fragt sich die resolute Lou und lässt ihren Rainer Maria fallen wie eine heiße Kartoffel. Fazit: Zu viele Engel tun der Liebe nicht gut, dem Leben nicht und der Literatur schon gar nicht.

Thomas Lux schmaler Band Zehntausend herrliche Jahre ist der viel versprechende Auftakt einer sorgfältig gestalteten und ästhetisch überaus ansprechenden neuen Reihe für nordamerikanische Dichtung, die unter der Herausgeberschaft von Klaus Martens  und Joachim Utz im Heidelberger Mattes Verlag erscheint. 

Thomas Lux
Zehntausend herrliche Jahre
Übersetzung:
Klaus Martens
Mattes
2011 · 64 Seiten · 14,80 Euro
ISBN:
978-3-868090468

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