Was die Stimmen verschweigen
Hell und dunkel, Schweigen und Schreien, Feuer und Schatten. Es sind die Gegensätze zwischen denen sich das menschliche Leben entfaltet. Zwischen Schwarz und weiß leuchtet das Leben in unterschiedlichen Grautönen, erklingt in einem manchmal beinahe unhörbaren Grundton.
„Gedichte erinnern eine Stimme“, der 2016 auf Isländisch unter dem Titel „Ljód Muna Rödd“, erschienene Gedichtband Sigurdur Pálssons, liegt nun in der Übertragung von Jón Thor Gílason und Wolfgang Schiffer, im Elif Verlag in einer wunderschön gestalteten zweisprachigen Ausgabe vor. Dabei ist dieser Gedichtband nicht nur ein weiteres Buch, mit dem der 2011 gegründete Verlag, der sich längst zu einer Institution entwickelt hat, ein weiteres Mal der selbst gestellten Aufgabe „gute Texte mit gut gestalteten Büchern zu veröffentlichen“ treu bleibt, sondern auch ein berührendes Zeugnis der Auseinandersetzung eines Menschen mit seinem bevorstehenden Tod.
Sigurdur Pálsson, 1948 im Norden Islands geboren, war schon schwer krank, als er seinen noch wenige Monate vor seinem Tod im September 2017 mit dem Poesiepreis Maistern ausgezeichneten Gedichtband, verfasste.
Jón Thor Gílason, lebt seit Anfang der 1990er Jahre in Deutschland. Er ist Musiker und bildender Künstler. Insbesondere mit seinen Personenportraits begibt er sich immer wieder auf die Suche nach dem, was einen Charakter wirklich ausmacht, was dem, was auf den ersten Blick sichtbar ist, zugrunde liegt. Wolfgang Schiffer ist seit vielen Jahren als unermüdlicher Vermittler isländischer Kultur tätig. 1991 erhielt er aufgrund seiner Verdienste um den isländisch-deutschen Kulturaustausch das Ritterkreuz des Isländischen Falkenordens. Gemeinsam sind sie ein bewährtes Übersetzerteam, dem es sehr gut gelungen ist, den melancholischen und gleichzeitig niemals hoffnungslosen Ton der Verse einzufangen, und ins Deutsche zu übertragen.
Die Verse in „Gedichte erinnern eine Stimme“ handeln von Schatten und Abschieden, von Fassaden, und dem, was sich dahinter verbirgt, von Wortpaaren und Vergleichen als unzulängliche Werkzeuge des Begreifens. Dabei laufen die Gedichte Pálssons, der den größten Teil seines Lebens in Frankreich verbracht hat, und neben Romanen und Gedichten auch Theaterstücke, Fernseh- und Radioarbeiten, sowie zahlreiche Übersetzungen aus dem Französischen verfasste, stets auf einen Punkt zu, an dem sowohl Vergleiche, als auch Begreifen ins Leere laufen, auf dieses ruhige schwarze Loch zu, von dem es im Gedicht „Die Erde wartet“ heißt:
Am letzten Tag
wartet ein ruhiges schwarzes Loch
auf dichWeit geöffnet und leer
wartet es auf das LichtSchluckt dich
Schluckt das LichtAm letzten Tag
am letzten Tag
Bis zu diesem letzten Tag singen die Stimmen, um zu enthüllen, oder um zu übertönen, was sich ans Licht arbeiten will. Und andere, viel leisere Töne erklingen in den Gedichten. Töne, die Stimmungen zum Schwingen bringen, ohne irgendetwas zu erklären.
Genau darum geht es im Grunde, sichtbar, oder wenigstens spürbar zu machen, was die Stimmen verschweigen. So dass es letztendlich immer um diese Stimme des Schweigens geht.
Die Gedichte, die eine Stimme erinnern, sind stets auf die eine oder andere Weise Sprachrohre der Vergänglichkeit, der Flüchtigkeit des Lebens. Und gerade die Flüchtigkeit dessen, was wir umso verzweifelter festzuhalten versuchen, je weniger wir es greifen können, macht die Schönheit allen Verlustes aus. Eine Schönheit, die Pálsson in diesem Gedichtband eindringlich in einfachen Worten besingt. Wohl wissend um die Zauberkraft von Sätzen. Sätze, mit denen man erwacht und die einen beschützen
wie wirkliche
greifbare
GlücksbringerSonderbare Fische aus der Tiefe des Ozeans
die mir folgen
in die Tiefe der nächsten Nacht
Manchmal sind es fast plakative Wahrheiten, so oft gelesen, dass sie einem Klischee nahekommen, z.B., wenn für die Wirkmacht der Sprache, keine frischeren Bilder gefunden werden als das
Lehrt dich
dass jeder Buchstabe
eine ganze Welt ist
jedes Wort ein Universum
Aber gleich darauf folgen Verse, die wunderbar einfach sind in ihrer unergründlichen Tiefe.
Weiße Nacht
Schlaflos war sie nicht
Diese NachtGleichwohl war sie weiß
Vollkommen schneeweißAm Morgen liegt ein Blatt
mit Buchstaben
auf dem TischDer, der am Tisch saß
Ist verschwunden
Es ist nicht unbedingt notwendig um die finale Krankheit zu wissen, unter der Pálsson bereits litt, als er die Verse zu Papier brachte, aber die Stimmung der Gedichte wird durch die Illustration mit einem Raben, der die Leserin vom Buchdeckel bis zur letzten Seite begleitet, dezent und stimmungsvoll unterstützt. Wie ein leichter Schatten, der auf die Worte fällt, wie eine Vorahnung, die still aber beharrlich anwesend bleibt.
Bis zum Schluss, wenn wieder von der Tiefe der Brunnen die Rede ist. Die Verse fliegen wie der Rabe von Seite zu Seite, vom Brunnen zum Wasser in einem „strahlenden Becken“, und plötzlich ist da nur noch „strahlendes Wasser in einem strahlenden Becken.“ Kein Zweifel mehr, keine Angst, ganz bestimmt kein Pathos, nur die Schönheit von Verlust, und die Liebe zur Welt, von der diese Gedichte singen. Bis zuletzt.
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