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Komm! Ins Offene haus für poesie
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Komm! Ins Offene haus für poesie
Kritik

Der kleine Roman für Zwischendurch

Hamburg

Reise nach Karabach hatte ich schon gelobt, das Buch des Georgiers Aka Morchiladze, mit dem er berühmt wurde. Jenes kurze Büchlein ist eins, das nicht als Inhalt in Erinnerung bleibt, sondern als Folge von Stimmungen, Moves, von Erschrecken: von sich beim Lesen die Knie blutig schlagen, weil man irgendwie gestolpert ist, wenn das Bild nachvollziehbar ist? Für Frauen auch? ok. Passiert nicht oft, dass mir so Widergänger, Stolperbücher über den Weg laufen.

Das Buch hat ein Brüderchen, der Bonner Weidle Verlag hat 2018 zwei Morchiladze herausgebracht, ebenfalls ein kleines, unscheinbares Büchlein: der Filmvorführer. Das Buch erschien im Original 2009 unter dem Titel der Mameluk und wurde von Iunona Guruli übersetzt.

Eine Art Märchenbuch: wie so etwas wie die Literatur durch ein durch und durch unfreundliches Umfeld wandert, wie ein Zettel mit einem durch und durch unverständlichen Text ein Leben rettet. Ein entthronter König, oder Prinz, na ja, immerhin ein Khan.

Wie in der ‚Reise nach Karabach‘ ist ein junger Mann die Hauptperson. Einer, der nicht viel versteht von all dem Krieg um ihn herum. Er scheint sich nicht darum zu kümmern, zu Recht, es macht keinen Sinn, Krieg und den Männern mit den dicken Hosen, die ihn vorantreiben, mit Verstehen beikommen zu wollen. Er erzählt von seiner Jugend, der Freundschaft mit dem Filmvorführer, von erster und zweiter Liebe, vom Lesen, Jobs im Museum, von halbherzigem Studium. Er wird Fahrer, Chauffeur und ist am Ende verschwunden, wie auch der heimliche Prinz.

Er erzählt von all den Kämpfen in Afghanistan und Abchasien aus einer Perspektive, wie vielleicht der fünfte oder siebte Zwerg von den Zwölfen die Geschichte des Hobbits erzählen würde. Nicht die großen Sachen, nicht die Schätze und Drachen und die großmäulige Politik. Eher die Sachen mit dem Kleider flicken, Essen organisieren, mit dem täglichen Elend. Doch unter der großen Staatspolitik verstecken sich viele kleine Abenteuer, so eine georgische Studentin will auch entführt sein, wenn die Eltern der Heirat nicht zustimmen wollen, das muss Mann erstmal organisiert bekommen. Da muss es in diesem Fall jemanden geben, der dem Träumer Beso aufs Pferd hilft, einen muslimischen, leicht untersetzten Filmvorführer zum Beispiel.

„Er erklärte mir, daß ich genau jetzt heiraten sollte, denn später würde sich alles ändern und ich würde es bereuen. Da ich es so lange nicht schaffte, mich von diesem Mädchen zu trennen, würde ich mich mein ganzes Leben lang an sie erinnern und es bedauern, meinte er.

Was konnter er über die Liebe und die Ehe wissen? Eigentlich rein gar nichts. Aber er war in einem Alter, in dem man über solche Sachen wahrscheinlich nachdenken und urteilen kann.

„Du mußt sie entführen“, sagte er am Ende. „Du mußt deinen Freunden Bescheid sagen, und ihr werdet alles in die Wege leiten. Es ist ja keine richtige Entführung. Ihr setzt das Mädchen ins Auto, und das war es dann schon. Es wird nicht schwierig sein, zu viert ein zierliches Mädchen ins Auto zu setzen.“

Guruli hat einen angenehm nonchalanten Ton hinbekommen, der Erzähler Beso macht in ihrer Stimme das, was er am besten kann. Er hat seinen eigenen Maßstab, er sieht, wenn er etwas nicht sieht und andere ihm ihre Augen und ihren Verstand leihen. Das ist nicht wenig, ein gehöriger Anteil des Reizes von Morchiladzes Buch ist die Beschränkung. So tastet man sich durch das Buch, spürt rechts und links noch jede Menge mehr, ahnt, dass dort Vorsicht so lebenswichtig war wie hier vielleicht der Mut zum Risiko wäre. Bei Morchiladzes Buch wird der Leser nicht belehrt, wird kein Wikipedia-Wissen beigemischt, da werden der Leserin keine Wertungen untergebuttert. Das Leben in Westgeorgien ist anders, Punkt. So wie es in China oder Guatemala oder im Kongo anders ist. Das, was sich von Besos Freundschaft mit dem Filmvorführer zeigt, wie er die Liebe zu seiner Tamriko schildert, zu seinen Filous, zu den ‚Dieben im Gesetz‘, das wenige, was man von ihm selbst erfährt: es reicht, um spürbar zu machen, dass der eigene lesende Verstand ganz gut in der Lage ist, anderes Anders sein zu lassen und es trotzdem zu mögen. Ein Buch, das sich sehr viel schneller liest als vergisst.

Aka Morchiladze
Der Filmvorführer
Aus dem Georgischen von Iunona Guruli Einband unter Verwendung eines Gemäldes von Karlo Kacharava Gefördert vom Georgian National Book Center
Weidle Verlag
2018 · 136 Seiten · 19,00 Euro
ISBN:
978-3-938803-89-9

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