Das personifizierte Böse spricht ein letztes Mal
Charles Manson wird in diesem Jahr 77 Jahre alt. Seit über vierzig Jahren sitzt er seine lebenslängliche Haftstrafe ab, inzwischen im Corcoran Gefängnis in Kalifornien. Er ist krank, das Ende ist abzusehen. Charles Manson, verantwortlich für die brutalen Tate/LaBianca-Morde im Jahr 1969, gilt nicht nur in den USA als das personifizierte Böse. Nun erscheinen im Hannibal Verlag seine „letzten Worte“, aufgezeichnet von der israelischen Journalistin Michal Welles, die Manson als „Freund“ bezeichnet. Darf man einem, der für den grausamen Tod mehrerer Menschen verantwortlich ist, solch eine Plattform bieten, vor allem angesichts des Kults, der um seine Person gemacht wird, angesichts der Tatsache, dass jede Woche Menschen aus aller Welt zu ihm pilgern und sich von ihm Lebenshilfe erwarten?
Man darf nicht nur, man muss. Denn Manson entzaubert sich in diesem Buch, dessen Inhalt er persönlich absegnete, selbst. Er offenbart all die Widersprüche seiner Persönlichkeit, wohl ohne es selbst zu bemerken, und er holt den Mythos Manson dadurch dahin zurück, wo er hingehört: ins Hier und Jetzt, ins Menschliche. Deshalb ist dieses Buch so wichtig unter all der effektheischenden, verharmlosenden Voyeurliteratur, mit der aus den Namen all der weltbekannten Serienmörder Kapital geschlagen wird.
Dabei zeigt das Buch zugleich, wie schwierig dieses Unterfangen war. Die Autorin Michal Welles besuchte Manson zum ersten Mal vor gut zwanzig Jahren. Der Wunsch, objektiv über ihn zu schreiben, war nichts als ein Vorwand. Sie war seinem Bann längst verfallen, als sie das erste Gespräch mit ihm führte. Sie war entwurzelt, suchte ihren Platz in der Welt, versuchte, mit dem Missbrauch durch ihren Stiefvater fertigzuwerden, der sie nicht nur physisch missbraucht, sondern auch psychisch manipuliert hatte. Als sie es Manson erzählt, wird er aufbrausend, schimpft auf solchen Abschaum, fragt Welles, wie sie nur so blöd sein könne, an ihrem Stiefvater noch etwas Gutes zu finden. Dass er selbst in den Sechzigern junge Mädchen mit Drogen beeinflusst und Orgien mit Minderjährigen gefeiert hatte, dass er eine Dreizehnjährige täglich verprügelt hatte „damit sie von ihrem Vaterkomplex loskommt“, das scheint er in dem Moment vergessen zu haben. Oder es ist für ihn etwas anderes. Dass Mansons Weltsicht voller Widersprüche ist, offenbart sich schnell.
Welles hat keinen Abstand zu ihrem Objekt. Erst über die Jahre gelingt ihr zumindest teilweise ein kritischer Blick. Andererseits ist es ihr gelungen, Mansons Vertrauen zu gewinnen, sie hat ihn dazu gebracht, zu sprechen, seine ganz eigene Version der Geschichte zu erzählen. Im Vorwort weist der Kriminalbiologe Mark Benecke auf die Tatsachen hin, und im Anhang finden sich Schlussplädoyer und Urteilsspruch gegen Manson. Das ist wichtig für den Kontext.
Dazwischen finden sich Charles Mansons letzte Worte und eine Sammlung seiner Gedichte. Wie gefährlich Manson ist, das wird aus der Kombination des Materials deutlich, es wird deutlich, warum all seine Gnadengesuche abgelehnt wurden. Manson hatte eine schwere Kindheit, daran besteht kein Zweifel. Seinen Vater hat er nie kennengelernt, seine Mutter war Alkoholikerin, er wurde früh straffällig, landete in katholischen Heimen, in denen Kinder unter dem Deckmäntelchen der Nächstenliebe misshandelt und gebrochen wurden. Anerkennung fand er nie. Seine Sehnsucht nach Liebe zieht sich durch all seine Aussagen, auch seine Verzweiflung. Seinen Platz fand er, indem er lernte, Menschen zu manipulieren. Er lernte, auf Menschen einzugehen, ihnen ein gutes Gefühl zu geben – und sie dann für seine Zwecke auszunutzen. Er beherrscht das Handwerk des Demagogen perfekt, und es funktioniert auch beim Leser, der sich immer wieder dabei ertappt, dass er vergisst, wer Manson eigentlich ist und was er getan hat.
Er habe das nie gewollt, sagt er im Hinblick auf die Tate-Morde, und schiebt die Schuld seinem ehemaligen Weggefährten Tex Watson in die Schuhe, nur um wenige Sätze später darzulegen, wie er die LaBianca-Morde orchestrierte, und dass Tate ein Zufallsopfer war, denn seine Wut galt eigentlich dem Musikproduzenten Terry Melcher. Melcher hatte Manson über den Beach Boy Dennis Wilson kennen gelernt, der laut Manson einige seiner eigenen Songs geklaut hat. Wie man es dreht und wendet – die Menschen starben, weil Manson der war, der er war. Auch wenn er das heute zum Teil abstreitet.
Es sei Quatsch, dass er Menschen manipuliere, sagt er, und wenige Seiten später erzählt er, wie er all jenen, die zu ihm pilgern und den Hunderten, die ihm schreiben, Lebenshilfe gibt, ein gutes Gefühl gibt, Vertrauen gibt. Im Klartext: Wie er entwurzelte Menschen um sich schart und sie in seinem Sinne einnimmt. Er redet ihnen keine Mordgelüste ein, sondern dass sie die Erde und die Natur retten sollen. Konkret wird er dabei nie. Manson hat keine Philosophie, er tut nur so, und zwischen den Zeilen gibt er das auch offen zu: „Ich bin Niemand, ein Penner, mehr nicht.“
Und das Hakenkreuz auf seiner Stirn? „Das indische Symbol für Licht“. Ja, das ist es, und vielleicht will er es heute so sehen. Aber dass er damals, als er es sich stechen ließ, zutiefst rassistischen Ideologien Anhing, dass er einen Rassenkrieg vom Zaun brechen wollte, dass er sich für Jesus und Satan in einer Person erklärte, dass er die Welt reinigen wollte, davon will er nichts mehr wissen. Schwarze waren in der „Family“ nicht geduldet, Jimi Hendrix zu hören war verpönt. Manson war ein simpler Rassist. Ob er es noch immer ist, lässt sich kaum sagen. Es lässt sich aber eindeutig sagen, dass er nicht zu seinen Fehlern steht und nicht zu den Verbrechen, die er begangen hat. Stattdessen übt er sich in Kapitalismuskritik und sieht sich als „politischen Gefangenen“.
Beim lesen wird klar, dass es nicht Manson selbst war, der Charles Manson zu einem popkulturellen Phänomen gemacht hat. Sein Konterfei ziert T-Shirts; seine mittelmäßigen Folk-Platten, die er auf kleinen Labels veröffentlicht, gelten als Geheimtipps (und manche Songs sind tatsächlich nicht schlecht), große Bands wie Guns N’ Roses haben ihn gecovert („Look At Your Game, Girl“). Nein, es ist eine sensationsgeile Öffentlichkeit, die Manson wahlweise zum Messias oder zum Teufel emporgehoben hat – also zu genau dem, als was er sich damals sehen wollte, als sein Schädel voll war mit LSD und Welthass.
Den Welthass hat er noch immer. Er wechselt von kitschiger Hippie-Esoterik zu gesellschaftskritischen Wutausbrüchen, und Mark Benecke hat nicht Unrecht, wenn er Mansons Lyrik im Vorwort als „pubertär“ bezeichnet. Seine Gedichte sind oft naiv, aber was vor allem in ihnen mitschwingt ist die Haltung eines Heranwachsenden, der gegen seine Eltern rebelliert. In Mansons Fall sind es die Eltern, die er nie hatte. Unzählige Kriminalpsychologen haben sich über Jahrzehnte mit ihm befasst, dabei ist die Lösung doch so simpel, sie geht aus seinen Worten hervor: Manson ist nie über die Pubertät hinausgekommen.
Gerade dadurch gibt es Momente in diesem Buch, in denen sich der Leser problemlos vorstellen kann, mit Manson an einem Tisch zu sitzen und mit ihm zu plaudern. Das ist wichtig. Denn es holt Manson von dem Sockel runter, auf den ihn unter anderen der Staatsanwalt Vincent Bugliosi gestellt hat, indem er seine eigene Manson-Obsession in einem Buch verarbeitete. Manson gehört nicht auf einen Sockel, weder auf den göttlichen noch auf den teuflischen. Charles Manson ist nicht das personifizierte Böse, ebenso wenig wie jeder andere Serien- oder Massenmörder. Vielleicht hat er mehr Charisma, wie er in einem Gedicht selbstverliebt schreibt: „Corcoran State Prison / Is just another kind of livin’ / It is my home / My place / All ya have to do is imagine / Every other weekend / I take my gals on a date / And its nothing the guards can take / They buy me a round at the coke machine / Where the hangout ist the local scene / Come on everybody / Picture this / I may be mean I may be wild / But my face just made you smile.“
Unterm Strich sind Mansons letzte Worte solche, die deutlich zeigen, dass Menschen wie Manson zwar Extremfälle sind, aber eben doch nur Menschen. Keine Monster. Was aus Manson herausgebrochen ist, schlummert in jedem, so unangenehm das auch sein mag. Mansons Persönlichkeit wurde, wie jede andere Persönlichkeit auch, geprägt von seinem Elternhaus und den gesellschaftlichen Umständen, unter denen er aufwuchs. Das Ergebnis ist bekannt. Indem man Täter wie Manson in eine Schublade steckt und / oder auf einen Sockel stellt, entrückt man sie, man schiebt sie von sich. Das ist ein Fehler. Zu wissen, wie solch katastrophale Taten zustande kommen, ist wichtig, wenn man sie in Zukunft verhindern will. Das Buch leistet einen Beitrag zum Verstehen, vermutlich mehr als all die Sachbücher, die seit 1969 zu dem Thema veröffentlicht wurden.
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