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Kritik

Es ist der Hund, der mich zum Pinkeln nach drinnen führt

Hamburg

Die Bibliothek César Aira erhält stetig Zuwachs, wiederum von Christian Hansen übertragen, erscheint Was habe ich gelacht, eine typische Aira-Auseinandersetzung mit dem Schreiben in der Zeit. Der Vielschreiber, der angeblich kaum redigieren soll, setzt sich hier mit dem Schreiben eines Aira-gleichen Autoren auseinander, tödlich beleidigt von den liebgemeinten Freundeskommentaren zu seinen Büchern, die statt berührt oder verändert aus ihrer Lektüre getreten zu sein, hauptsächlich gelacht haben. Oh, wie haben sie... Und in dem leicht gelangweilten Stil Airas wird in der Zeit, von genau diesem Ausgangspunkt eine, zurecht "intim" genannte Reise angetreten, hin zu den frühen Erinnerungen des Ichs in Coronel Pringles, einer Provinzstadt in Mittelargentinien, im Wechselspiel mit konkreten Dialogen, den kleinen Episoden und den völlig absurden Begebenheiten des gereiften Autors in der Wohnung, die er nie verlässt, außer, um mit dem Hund raus zu gehen (als "soziale Aktivität"), der nie pinkeln muss, sodass das schwachblasige Ich wiederum irgendwann zurück in die Wohnung mit Hund muss um Selbiges.

Genauso wie sie anfängt, alles und nichts umarmend, es fast anzugähnen – dazu gleich, hört die Novelle einfach auf, wiederum in einem schlierigen Wechselspiel von distanzierten und sehr klaren, harten Feststellungen und Begebenheiten aufgehend. Ein Stück weit Autobiographie, zugleich durchstoßen von mehr oder weniger klaren Fiktionseinschüben entwickelt sich jener stream of writing, dem Aira offensichtlich selbst angehört, unfähig, etwas nicht chronologisch in Folge zu bringen, bzw. die Narration ohne Vorwärtsblättern zu denken, so jedenfalls das Ich, in Schwierigkeiten, "zwei Handlungsstränge die simultan ablaufen, nicht gleichzeitig erzählen zu können". Jene Unsicherheit, um nicht zu sagen Ungeschicklichkeit zieht sich als Faden durch die Ich-Erinnerungen, sei es, in Dialogen nicht zum Zug zu kommen oder im Gegenteil, bei einer Preisverleihung den jüngeren Kollegen, nichts als Plattitüden (aus einem nicht näher zu kennzeichnenden Bedürfnis heraus) entgegenbringen zu können.

Es scheint eine nebelartige Welt errichtet zu werden, oder nur in ihr, schon da, zu wandeln möglich. Nichts wirkt sicher, oder gar eindeutig. Man darf lachen, gerade das Beleidigtsein des Ichs bei seinen essayistischen Ausflügen in die Melancholie des Lachens und Lebens bei gleichzeitiger Häufung von Zeitlupengags oder Zufällen, die keine sind, verunsichert lesend zutiefst. Die Sprache ist greifbar, aber der Autor (Aira) will nichts mit ihr, scheint gänzlich ohne Ambition zu schreiben, einfach drauflos, und kommt doch sehr dicht, und immer wieder an die condition h. heran, vor allem was reflektiertes Schreiben heute sein könnte. Als ob das Schreiben für dieses Ich das Atmen ersetzt. Spuren in kalter Luft, und nur kurz sichtbar. Was habe ich gelacht ist ein enigmatisches Buch, das trashige Cover (wie alle der Reihe) beleuchtet nur eine Seite des Airaversum.

Die Zeit mit der Clique in Coronel Pringles:

Aber ich bin mir sicher, dass es einen Plan gab, denn es gab immer einen. Und immer wurde er aufgeschoben. Zweifellos dürfte der Schauplatz, dürften die Betten, auf denen wir uns lagerten, einen größeren Aufschub begünstigt haben. Von Müdigkeit zu reden, während man gleichzeitig ausgestreckt und mit geschlossenen Augen auf einem Bett liegt, ist wie eine Erfüllung, die so gesuchte Selbstverwirklichung. In sehr langen Abständen folgten Sätze aufeinander, die sich langsam und schwerfällig ins Freie kämpften: "Gehen wir?" Und zehn Minuten später: "Gut, gehen wir." Zwanzig Minuten später: "Wohin?" Niemand regte sich. Stille, als wären wirklich alle eingeschlafen. Nach einer Weile eine Frage, die ohne Antwort blieb.

César Aira
Was habe ich gelacht
Übersetzung:
Christian Hansen
Matthes und Seitz Berlin
2019 · 92 Seiten · 16,00 Euro
ISBN:
978-3-95757-685-9

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