Grimmiges bis Feinsinniges nebeneinander
Der „Verlag Ralf Liebe“, der mit bemerkenswert gemachten Büchern hervorragt, hat Lutz Rathenows jüngster Gedichtsammlung: „Gelächter, sortiert“ in seiner „Edition Die Tausend“ eine eminente Bleibe gegeben. Festes Leinen. Empfindlicher, sorgfältig gestalteter Schutzumschlag. Durchscheinend. Beziffert.
Rathenow ist ein nicht wegzudenkender Gegenwartslyriker, der immer wieder, auch mit den seinen Texten inhärenten politischen Überlegungen, in Erscheinung tritt. Seit 1980 erschien eine Vielzahl von Bänden. Sein erster Buchtitel: „Mit dem Schlimmsten wurde schon gerechnet“, der 1980 nur im Westen publiziert wurde, mutet, da er ihm eine kurze Inhaftierung bescherte, wie eine lakonische, Selbsterfüllende Prophezeiung an. Sein populärstes Buch: „Ost Berlin“(Piper Verlag, 1987), glänzt mit sprachlicher Lust an der Ostberliner „Insel“ - Originalität und den unverstellten fotografischen Momentaufnahmen von Harald Hauswald. Lutz Rathenow ist ein Begriff als Dissident, als Kinderbuchautor, als Kommentator, als Lyriker.
Diese Variationsbreite führen auch die im Buch versammelten Texte vor.
Viele Gedichte sind biographische Erinnerungsresultate. Die Tentakel seines DDR Erlebens greifen, inzwischen trocken konstatierend, in manche Verse. In „Glück“ heißt es beispielsweise: Dieses Auto hält nicht vor der Tür. / Drei Männer laufen nicht hinter mir her. / Fünf Briefe aus vier Ländern kommen an. …
Manches Gedicht entfaltet einen versponnenen, zarten Humor – wie „Das blaue Leuchten“. Manches Gedicht erreicht die Rezipienten auf leisen Katzenpfoten: In „Kein Bild“ heißt es: … Ein Zorn / der plötzlich vorbei war. / Ein Stück Feld ein Stück Mensch / zögernd zurückgelassen.
Wunderbar transzendente, berührende Bilder findet Rathenow in zwei Trauergedichten für Wolfgang Hilbig.
An anderer Stelle bleiben die Ideen, das dichterische Vorhaben in eng geschnürten, unbeweglichen Textgefügen stecken. Wenn Rathenows Muse die „Ambition“ war, wird hin und wieder mit grobem Sprachstachel vergeblich am Zwerchfell gestochert, wie in: „Was für ein Gedicht“. In: „Die Abwesenheit der Poesie“ stand der Titel dem Text Pate, der sich müde durch die Wiederbegegnungsszene zweier One Night Standler witzelt.
Rathenow arbeitet sich durch ein breites Themenspektrum. Durch Länder und Städte, durch Liebe und Politik, durch Auswirkungen von Vogelviren und prosaische Betrachtungen zum eignen Schreiben.
Heinrich Pfeils sprichwörtlich gewordener: still ruhender See, unter einem, in der Wahrnehmung des 19.Jh. weitestgehend Gottdurchwirktem Himmel, findet sich in Rathenows „Woche für Woche“ ernüchtert im Berliner Umland wieder.
Auf 108 Seiten steht grimmig Humoriges, Fragwürdiges, leichtfüßig Ironisches, Phrasenhaftes und Feinsinniges nebeneinander.
Der Vater, Abschied
So werde ich ihn nie wiedersehen.
Im Zug, hinter dem Fenster, das sich nicht
öffnen lässt. Auch auf Knopfdruck nicht.
Was er nicht glaubte – bis er alles probiert
hatte. Wie auch sonst im Leben. Und alles
glaubte er dann immer noch nicht. An diesem Tag
lächelte er, hinter der Scheibe, die nicht zu öffnen
war. Aus der Klinik in den Zug, 1. Klasse,
reserviert für ihn und Susanne. Keine Verspätung,
nach Hause fahren, zu den vertrauten Ärzten.
Er winkte und winkte und lächelte sich hinweg.
Wir hörten uns nicht und verstanden uns doch.
Jetzt erst beginne ich meinen Vater zu lieben.
Neben dem Zug laufend, der anfährt, weg will –
losfährt, weiter, und woher wohin, ein Lächeln.
Fixpoetry 2011
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