100 außergewöhnliche Lebensgeschichten
I figure, if a girl wants to be a legend, she should just go ahead and be one. (Calamity Jane)
Es sei vorweggesagt, dass der Titel und das Design des Buches (zumindest in meinen Augen) etwas irreführend/unglücklich gewählt sind. Sie erwecken den Anschein, dass „Teufelsweiber“ eine unterhaltsame Bettlektüre mit hauptsächlich schlüpfrigen oder zumindest illustren Inhalten sei, ein keckes Buch, das sich zum raschen und bedenkenlosen Verzehr eignet.
Doch schon die ersten Seiten von Carina Heers Buch machen klar, dass es sich hier nicht um eine 0815-Parade von ausgelutschten Histörchen und Mythen handelt, sondern um ein Werk mit ernstem Ansatz und mit komplexerer Agenda.
Auf diesen ersten beiden Seiten sind (von Heers finalem Kommentar abgesehen) ausschließlich Zitate über Frauen abgedruckt, von bekannten Persönlichkeiten und aus der Weltliteratur; Misogynes, Sexistisches, Chauvinistisches, alles dabei. Darunter schreibt Heer:
Braucht es mehr der Worte, um zu erklären, weshalb ich dieses Buch geschrieben habe?
Und sie fährt fort:
Mit dem was Frauen angeblich nicht können, dürfen, wollen sollen, mit Binsenweisheiten darüber, wie sie vermeintlich wirklich sind, denken, fühlen, ließen sich ganze Bücher füllen – und wurden es ja auch.
Drehen wir den Spieß doch einfach um, mit einem Buch darüber, zu welch mutigen, schrecklichen, furchteinflößenden, faszinierenden, schaurigen, egoistischen, erhebenden, beeindruckenden Dingen Frauen fähig waren – und sind.
Dies nun also ist ihr Ansatz bei „Teufelsweiber“. Es geht nicht um die schillerndsten und verruchtesten weiblichen Figuren der Weltgeschichte, nicht einmal um die erfolgreichsten oder vorbildhaftesten. Vielmehr lässt Heer einen Reigen von Persönlichkeiten mit ganz verschiedenen Lebensinhalten und Hintergründen auftreten, lässt Giftmörderinnen auf Königinnen folgen, Sängerinnen auf Äbtissinnen, mutige Beispiele auf umstrittene Grenzfälle.
Natürlich sind einige bekannte Namen dabei, aber Heer hat nicht nur verbürgte historische Menschen, sondern auch mythische Frauengestalten (manche möglicherweise gänzlich fiktiv) ausgewählt und es gibt auch einige (zumindest für mich eher unbekannte) Geschichten und Personen zu entdecken.
Man erwirbt also schon mal eine Menge Wissen. Kleine Kostprobe: Wussten Sie, liebe Leser*innen, dass ein Bild von Katharina der Großen auf Angela Merkels Schreibtisch steht und diese Zarin die Zahl der öffentlichen Schulen in Russland von 6 auf 316 anhob? Wussten Sie, dass der Mann von Madame Curie sich so lange weigerte den Nobelpreis anzunehmen, bis er auch seiner Frau zugedacht wurde? Kennen Sie Alexandrine Tinné, die ein paar der umfangreichsten Expeditionen nach Afrika leitete? Ist Ihnen die Universalgelehrt Anna Maria Schürmann ein Begriff?
Wussten Sie, dass der Künstlername von Judith Holofernes auf eine Bibelgeschichte zurückgeht? Dass der Name der ersten bekannten deutschsprachigen Dichterin Hrotsvit war? Dass Hildegard von Bingen bereits einen weiblichen Orgasmus beschrieb? Dass eine Frau die erste längere Fahrt mit einem Automobil unternahm? Oder haben Sie sich je angesehen, wie Nina Hagen 1979 im österreichischen Fernsehen bei „Club 2“ erklärt, wie Frauen sich anfassen müssen, um beim Sex zum Orgasmus zu kommen?
Ein Teufelsweib wird man schnell – zumindest in den Augen der Männerwelt. Und da braucht es gar keinen Bund mit dem Teufel. Es reicht schon aus, besonders draufgängerisch, rücksichtslos oder allgemein besonders begabt und erfolgreich zu sein – also außer in den „typischen“ weiblichen Künsten wie Sprachen, Häkeln und, äh, Zuhören oder so.
Neben der Bandbreite an Figuren, neben dem vermittelten Wissen, ist das Buch aber auch durchaus ein Lesegenuss. Heer pflegt einen pointierten (aber nicht zwanghaft witzigen oder kolportageartigen) Stil und setzt immer wieder anders an beim Beschreiben der Frauenschicksale. Da kann der Anfang des Kapitels über Kleopatra schon mal lauten:
Wenn sie ihren Asterix ordentlich gelesen haben
Heer erzählt keine Glanzgeschichten, streicht die Erfolge und das Bedeutsame zwar heraus, aber verschweigt nicht die Schattenseiten und Schicksalsschläge, die nicht selten überwiegen. Sie bleibt ihren Eingangsworten treu und entwirft keinen Wertekatalog, betont zwar das Exemplarische, schafft aktuelle Bezüge, hinterfragt kritisch, aber vor allem erzählt sie Lebensgeschichten – die nur allzu oft davon erzählen, wie schwierig es in allen Zeiten war eine Frau zu sein, wie oft nur Umwege dorthin führten, wo die genannten Frauen „bekannte“ Personen wurden (ob sie wollten oder nicht).
Selbst heute, in einer Zeit, in der man sich grundsätzlich auf die Gleichberechtigung von Mann und Frau als erstrebenswertes Gut geeinigt hat, haben sich die Grenzen zwischen Dingen und Aufgabenbereichen, die als „typisch weiblich“ und „typisch männlich“ gelten, noch nicht vollständig aufgelöst.
Die Geschichte von jeder der 100 ausgewählten Frauen wird auf 2-4 Seiten beschrieben – es sind teilweise nur Abrisse, aber Heer versteht es, diese Begegnungen in den meisten Fällen mit Faszination aufzuladen. Wer Zusammenhängendes sucht, der sollte vielleicht lieber zur „Weltgeschichte für junge Leserinnen“ greifen und für die, die lieber noch kleinere Häppchen wollen ist vermutlich die Reihe „Good Night Stories for Rebel Girls“ empfehlenswert. „Teufelsweiber“ ist ein guter Mittelweg, ein guter Appetitanreger, der zur weiterführenden Beschäftigung mit vielen genannten Namen verführen wird.
Als einziger Kritikpunkt muss angeführt werden, dass Heer zwar am Ende einen Haufen Bücher, Links, etc nennt, die ihr als Quelle gedient haben, aber diese Quellen sind nicht zugeordnet. Und in manchen Fällen hätte ich schon gerne gewusst, worauf sich ihre Ausführungen stützen – zum Beispiel im Falle der griechischen Philosophin Hypatia, mit der ich mich selbst einmal länger beschäftigt habe.
Womit ich Carina Heer keinesfalls Nachlässigkeit unterstellen will. Es wirkt einfach bei einem smarten Buch wie diesem ein bisschen unelegant, wenn diese Quellenzuordnungen fehlen. Aber das soll meine Empfehlung nicht trüben. Denn „Teufelsweiber“ ist wirklich ein tolles Buch, klare Empfehlung!
Es ist die Aufgabe des Menschen dem Reich der Freiheit inmitten der gegebenen Welt zum Durchbruch zu verhelfen. (Simone de Beauvoir)
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