Weit aufgestoßene Türen
Letzte Woche erreichte fixpoetry folgende Pressemeldung: “Im Juli dieses Jahres jährt sich zum 40sten Mal der Todestag eines der wohl charismatischsten und bekanntesten Sänger der populären Musikgeschichte. Die Rede ist von James Douglas „Jim“ Morrison, Frontmann der legendären „Doors“, die während Ihrer fast eine Dekade (1965-1973) währenden Hochzeit nicht zuletzt wegen seiner wilden und unberechenbaren Präsenz als kontroverser Bühnenact bekannt waren.” Anlässlich dieses Datums bringt nun der Splitter Verlag eine Comic-Biographie heraus, die in filmartig geschnittenen Schwarz-Weiß-Bildern das Zeitkolorit der späten sechziger und frühen siebziger Jahre einfängt. „Jim Morrison – Poet im Chaos“ erscheint im handlichen, romanartigen „Splitter-Books“-Format .
Anlaß genug zusammen mit Juergen Weber auf einen Film zurückzublicken, der, kaum daß er in Kinos war, schon als Film und Blu Ray erschien – die Geschäfte verkürzen ihren Takt und der Takt verringert die Wertigkeit der Noten. Dennoch gibt es etwas das bleibt: Türen, die man nicht mehr schließen kann beispielsweise.
Der Film des 57-jähirgen Tom DiCillo wartet mit einigen Überraschungen auf und die Ausgaben von ARTHAUS sogar mit einigen Extras, wie etwa einem Interview mit Jim Morrisons Vater und Schwester, sowie einem Interview mit Tom DiCillo, mit Fotogalerie, Trailer, Wendecover. Der einstige Kameramann von Jim Jarmusch weiß nicht nur durch seine Montage zu glänzen, sondern auch durch einige geniale Einfälle, wie etwa den autofahrenden Jim Morrison der Ankündigung seines eigenen Todes im Auto zuhören zu lassen. Und Gas geben durch die Wüste Arizonas.
Ein weiterer Knüller ist natürlich die begleitende Stimme von Johnny Depp, der aus dem Off kommentiert und die unzähligen Live-Aufnahmen der Doors, die Tom DiCillo zu einem einzigartigen Dokument verknüpft. „Egal wer versucht, die Geschichte zu erzählen, er musste Persönlichkeit mitbringen. Ich wollte dem Film keine Art Fake-Glasur anlackieren.“, erzählt Tom DiCillo. „Johnny kam zu einer Vorführung und liebte den Film! Er fragte, ob er bei den Ton-Aufnahmen alleine sein könne. Dann sendete er mir all die CDs mit seiner Arbeit darauf. Sie beinhalteten Aufnahme nach Aufnahme einzelner Zeilen, den Sinn und Rhythmus findend. Er lässt dich fühlen, dass er alles was er sagt auch selbst glaubt.“
Bisher ungesehene Kurzfilme von Morrison und noch nie gesichtetes Archivmaterial, das „The Doors“ auf der Bühne, hinter der Bühne und in privaten Momenten (zum Beispiel Morrison beim Segeln) zeigt, tun ihr übriges, diesen Film nicht nur für Fans zu einem wahren Meisterwerk werden zu lassen. Waren die Tausenden Fans etwa tatsächlich nur gekommen, um Jim Morrison zuzusehen, wie er sich ekstatisch in Agonie auf dem Boden von unzähligen Bühnen Amerikas wälzte? Die Nekrophilie steht den Zuschauern stets in den Gesichtern, aber wohl nirgends wird einem das so bewusst, wie bei den Aufnahmen der Doors-Konzerte, die DiCillo zu einem einzigartigen Gesamtkunstwerk neu verknüpfte.
„The war is over, baby“ singt Morrison im Lied vom unbekannten Soldaten („Unknown Soldier“) und auch hier, im Video, sieht man einen sterbenden Morrison. Der Vietnam-Krieg wurde nicht zuletzt aufgrund des Drucks der amerikanischen Bevölkerung beendet, aber die Sechziger waren vor allem auch ein Jahrzehnt der Gewalt und nicht der friedlichen Konfliktlösung. Jim Morrison von den Doors wollte seine Zuhörer aufwiegeln, um weiß Gott was zu machen, wahrscheinlich wusste er es selbst nicht, als er in der berühmten Szene in Miami, umringt von Polizisten, statt seines Mikrophons zuerst etwas anderes in der Hand hält. Morrison schrie zwar etwas von Revolte und wollte sein Publikum gegen die Polizisten aufhetzen, gleichzeitig beschimpfte er aber auch seine Generation, ohne die er eigentlich gar nichts gewesen wäre. Jedenfalls kein Rockstar. Aber das wollte er ja ohnehin nicht werden, eher ein Dichter.
In der Ed Sullivan Show singt er denn auch „Girl, we couldn`t get much higher“ in die Kamera, aber man hat fast das Gefühl, als würde er die Anweisungen von Ed Sullivan dieses eine Wort auszulassen schlicht und einfach vergessen haben. So als wäre er nur ein Rebell aus Zufall gewesen, aus Unachtsamkeit, Vergesslichkeit, denn eigentlich war Morrison viel zu feinfühlig um ein schnödes Sexsymbol zu werden, ein Image gegen das er sich zeitlebens zur Wehr setzte. Rebel without a cause? Morrison sah mit 27 schon aus wie ein alter Mann, man muss sich das vorstellen, wie man sich selbst in so kurzer Zeit herunterwirtschaften kann zu einem körperlichen und geistigen Wrack. Und wie so oft seit den griechischen Tragödien rafft sich der Held noch einmal auf und versucht sich in der letzten Szene gegen das ihm von den Göttern bestimmte Schicksal aufzulehnen und muss doch scheitern. Während „L.A. Woman“, das letzte Album der Band boomte, setzte er sich nach Paris ab, um ein neues Leben als Dichter zu beginnen.
Paris sollte die letzte Hoffnung, aber auch die letzte Station seines Lebens werden. Am Ende steht auch für DiCillo die Büste des Grabsteins von Pere Lachaise, der Pariser Friedhof im 20. Arrondisement auf dem Morrison auch heute noch begraben liegt. In den Achtzigern kursierte ein Gerücht, dass kein Geringerer als Michael Jackson diese Büste geklaut haben soll, denn wer heute den Jakobsweg nach Paris auf sich nimmt, wird einen schlichten Grabstein finden. Im Hinterkopf der Büste waren – wohl von einem Fan – die Worte eingeritzt: „The Grave is empty“ - das Grab ist leer. Dies zeigt auch der Film von Tom DiCillo, dennoch: Morrisons Geist ist immer noch am Leben und damit seine Poesie, anhand derer man ihm vielleicht wirklich noch mal als Dichter gerecht wird, der er zweifellos war. Auch das zeigt Tom DiCillo: einen armen, verwaisten Poeten, den die Götter liebten und wohl deswegen so früh zu sich holten, um seine Verse besser hören zu können und ihnen zu lauschen. „People are strange, when you're a stranger/Faces look ugly when you're alone/Women seem wicked when you're unwanted/Streets are uneven when you're down/When you're strange…“.
Fixpoetry 2011
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