Kolumne

[Odile Kennel, Hors Texte] My white male bookshelf #13

Vor einer Weile habe ich alle Bücher männlicher Autoren in meinem Bücherregal umgedreht. Man sah statt bunter Buchrücken fast nur noch die Seiten. Mein Regal war weiß geworden. Seit dem lese ich nur noch weibliche Autorinnen. In der aktuellen Ausgabe steht My white male bookshelf  bei Tristan Marquardt, Lyriker.

My white male bookshelf steht bei Tristan Marquardt, Lyriker

In meinem literaturwissenschaftlichen Studium hatte ich beim Lesen immer einen Bleistift in der Hand und schrieb oft Heidegger? oder Foucault! an den Rand. Manchmal stand auch Intertext da oder einfach Kristeva. Wenn in einem Roman jemand um ein Loch ging, stand DERRIDA neben dem Text. Weil ich das Gefühl hatte, dass im Mittelpunkt eine Leerstelle ist. Ich weiß nicht genau, was der Erkennntnisgewinn dieser Notizen war, aber sollte ich mich jetzt an französische Philosophie heranwagen, wird der Name Kennel in den Marginalien auftauchen. Vielleicht fett und mit Ausrufezeichen.

Odile Kennels zweiter Gedichtband, der 2019 im Verlagshaus Berlin erschienen ist, geht ganz offensichtlich von französischer Theorie aus. Nicht nur die Anspielung im Titel, auch was Kennel in ihrem Buch macht, ist an vielen Stellen eine Reflexion von Sprache, den Zwischenräumen von Sprachen, Buchstaben und Körpern.

notes sur la lettre K heißt dann auch das erste Gedicht. Jemand geht im Schnee, presst sich gegen Kälte einen Laib Brot an den Leib; und da ist man schon beim Kalauer und - weil wir es hier mit einem Band zu tun haben, der nicht nur Hors-Texte, off-text, sondern auch off-monolingualität ist - fängt auch Herz mit K an, Kör Kurassau Kuore, der puckernde Muskel.

Der nächste Buchstabe, dem Kennel sich in ihren notes sur, die über den Band verstreut sind, widmet, ist der Buchstabe I. Doch dieses Gedicht beginnt mit keiner Geschichte, keiner Bewegung, sondern geht direkt hinein in den Vokal, seine Bedeutungen und Bedeutungsverschiebungen:

me hier innen split me into
pieces give friede mit befingern mit
lick me risque biss risk riss tickt (S. 9)

Was auf den ersten Blick wie sprachliches Spaghetti tricolore wirkt, macht Sinn. Die Magie von Odile Kennels Versen liegt genau darin: Aus scheinbar zufälligen klanglichen Korrespondenzen geht eine bestechend notwendige Bedeutung hervor. In seiner Notwendigkeit und Präzision erinnert der Text an Unica Zürns Anagrammgedichte. Nur ist Kennels Gedicht dreisprachig und leichtfüßiger, was daran liegt, dass die Form weniger streng ist. Eher eine tastende Bewegung:

mit der Sprache taste ich mich
an die Kante heran, wo Körper
beginnt. (S. 15)

So beginnt das Gedicht mit dem Untertitel [notes sur la lettre A], und hier wird deutlich, dass die Buchstaben nicht in ein leeres Spiel, sondern direkt in den Körper führen. Es reicht, die mehrsprachigen Gedichte laut zu lesen, und in der Aussprache der Vokale, ihren leichten Verschiebungen, werden die Lippen spürbar. Die Gedichte tasten sich an einen selbst heran, befingern einen.

Das ist erotisch, und wo Erotik ist, sind meist auch andere. In den Begegnungen mit ihnen werden Kennels Gedichte narrativ, erzählen Geschichten von Zusammentreffen, wie im

Gedicht für einen, der beim Minigolfspielen
in Jerewan seinen Cousin aus Ägypten traf,
den er nicht kannte, und seitdem nicht mehr
an Zufall glaubt (S. 6)

Das ist übrigens nicht das Gedicht selbst, sondern der Titel. Im Gedicht wird diese Begegnung dann ausgespielt. Die ganz großen Themen kommen auf den Tisch:

[…] Das mit dem Zufall
ist ganz schön verzwickt. Mit Gott
fangen wir gar nicht erst an. Und Sex,
etwas anfangen, jemanden anlangen, Reime
machen es nicht einfacher, die Abfolge der Wörter
ist mir entfallen (S. 6)

Dass es hier um Zufall geht, ist nicht verwunderlich. Der Magie von sprachlichen Mitteln wie Reimen, Laut- und Wortähnlichkeiten wohnt schließlich immer etwas Zufälliges inne. So wie die Ks im puckernden Muskel mit den Ks am Anfang von Kör Kurassau Kuore korrespondieren und eben auch mit dem K von Körper. Die Leichtigkeit von Hors-Texte liegt im Humor, mit dem Kennel dieser Frage der Zufälligkeit begegnet.

Aber noch einmal zurück: Egal ob es Gott oder Zufall ist, in diesen Gedichten liegt eine Körperlichkeit; der Sex, bei dem die Reihenfolge der Wörter verloren geht und in eine klangliche Magie übergeht. Was kann man da anderes machen als die Gedichte begehren wie sie einen beim Lesen begehrend machen? Denn in den Gedichten in Hors-Texte, die ein Sujet haben, geht es genau darum: In l'art de la table geht Essen in Erotik über. Der andere Körper wird zum Menü. Später wird die Dichterin in schreib doch mal was mit Erotik von einer anderen Stimme aufgefordert, im Text zu tun, was der Körper fordert:

ich bin die reife Frucht, die aufplatzt und nicht
wusste, dass sie reif war. Prall. Knall. Loch.
Getropfe: Saft und Sauerei! Rinnt übers Kinn,
macht Flecken am Hemd! (S. 17)

Während der Band seinem Höhepunkt zugeht, wird die auffordernde Stimme gieriger: und kannst du auch was mit pornographie? Kurz darauf brennt alles,

die Dichterin nimmt Rache
an drei Gottheiten
und der Stadt (S. 52)

lautet der Titel des vorletzten Gedichts, der zu schön ist, um ihn ohne Zeilenumbrüche zu zitieren.

hier hocke ich vor dem Altar meiner Passion
[…]
Erhebe die Faust, fauche, fackle
nicht lange, ich fackle die Stadt ab,
mein Leben, meine Liebe
zu Dir. Wie kann etwas so Mächtiges
umsonst sein? (S. 52)

Die gleiche Frage kann man sich auch in Bezug auf Sprache stellen.

Nach dem Inferno folgt das letzte Gedicht des Bandes. Es kehrt zum Alphabet zurück, zu seinem Körper - den Buchstaben - und der Körperlichkeit, die ihre Lautlichkeit beim Sprechen formt:

Reines Entstehen, das Alphabet weiß
um seine Möglichkeiten, verlockt, lockert
die Zunge: Worte nehmen Form an, oder
auferstehen im Mund (S. 54)

In dem Raum zwischen reinem Alphabet, dem Körper, der daraus entspringt, und dem tatsächlichen Körper, der immer ein Stück weit außerhalb des Textes bleibt, bewegt sich Hors-Texte. Der Band ist schmal, birgt auf seinen knapp 60 Seiten aber eine große Fülle unterschiedlicher Textformen, die durch eine subtile Dramatik miteinander verflochten sind und so eine eigene Geschichte ergeben. Begleitet wird der Band von der Illustratorin Martina Liebig, die auf eine humorvolle Art Abstraktes neben Konkretes und Konkretes neben Metaphorisches zeichnet.

Am Ende ist es nicht nur die Stadt, die von der Dichterin abgefackelt wird, sondern auch das Alphabet, das in Flammen gesetzt wird. Le langage est une peau, zitiert Kennel Roland Barthes in einem Gedicht. Die Sprache ist eine Haut. Und die brennt. Passend dazu ist auf dem Cover ein abgebranntes Streichholz abgebildet und auf der letzten Seite die leere Schachtel - aber die ist schon außerhalb des Textes.

*

Hors Texte
Odile Kennel
Illustration: Martina Liebig
Verlagshaus Berlin 2019
ISBN: 978-3-945832-32-5

 

 

 

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