Entwertung – Damals wie heute
Die wahre Erfinderin des readymades: "God" - 1917 von Elsa von Freytag-Loringhoven, von Morton Schamberg fotografiert. Quelle: wikipedia
Grund für diese kleine Presseschau ist der Hinweis von Bettina Schulte Strathaus auf den facebook-Seiten von fixpoetry anläßlich einer Abbildung des „Duchampschen Pissoirs“, das – so die gar nicht mehr so neue News – eigentlich gar kein Duchampsches Kunstwerk ist, sondern eines der Elsa von Freytag-Loringhoven. Mich hatte das bislang nicht wirklich erreicht (und offensichtlich auch nicht die Schreiber im FAZ Feuilleton, die von mir in Sachen Duchamp zitiert wurden):
Siri Hustvedt eröffnet in ihrem neuen Roman diese eigentlich umwerfende Neuigkeit – und keiner will es hören und wahrnehmen: deswegen schreibt sie aktuell auch im Guardian drüber:
„But what if the person behind the urinal was not Duchamp, but the German-born poet and artist Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven (1874-1927)? She appears in my most recent novel, Memories of the Future, as an insurrectionist inspiration for my narrator. One reviewer of the novel described the baroness as “a marginal figure in art history who was a raucous ‘proto-punk’ poet from whom Duchamp allegedly stole the concept for his urinal”. It is true that she was part of the Dada movement, published in the Little Review with Ezra Pound, Djuna Barnes, TS Eliot, Mina Loy and James Joyce and has been marginalised in art history, but the case made in my book, derived from scholarly sources enumerated in the acknowledgements, is not that Duchamp “allegedly stole the concept for his urinal” from Von Freytag-Loringhoven, but rather that she was the one who found the object, inscribed it with the name R Mutt, and that this “seminal” artwork rightly belongs to her.
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In der NZZ bespricht Andrea Köhler den neuen Roman von Siri Hustvedt:
„In dem neuen Roman nun wird der (realen) Dada-Künstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven nachträglich Satisfaktion zuteil. Freytag-Loringhoven ist unlängst vom englischen Kulturhistoriker John Higgs als die Urheberin des Marcel Duchamp zugeschriebenen Urinals «Fountain» identifiziert worden; eine These, die es nicht einmal in den Wikipedia-Eintrag zum «einflussreichsten Werk der modernen Kunst» gebracht hat. Die Irritation, um nicht zu sagen Wut, über die fortgesetzte Entwertung weiblicher Leistungen ist ein Leib- und Magen-Thema von Hustvedt, das sich sowohl in den neuen Essays als auch in den Erinnerungen an «Damals» niederschlägt.!
Nell Frizell ebenfalls im Guardian: Duchamp and the pissoir-taking sexual politics of the art world
Begleittext auf den Seiten zum Roman bei Rowohlt:
„Eine bemerkenswerte Referenz gilt der heute so gut wie unbekannten Aktionskünstlerin Baroness Elsa von Freytag-Loringhoven (1874–1924), eine der kreativsten Gestalten der Pariser Left Bank, jener US-amerikanischen Künstlerszene der 1920er, zu der neben Künstlern und Verlegern auch Autoren wie Ernest Hemingway und Henry Miller gehörten. Hustvedt entschlüsselt en detail die Geschichte vom «Aufruhr um ein Urinal, diese Transsubstantiation eines Pinkelbeckens in den Gottvater der Moderne». Die Idee zum legendären Urinal, «Fountain», stammt nicht von Marcel Duchamps, sondern von der Dada-Baroness: «Jahre, nachdem sie gestorben ist, wird sich die Zunge eines Mannes lösen, und er wird ihr Werk als sein eigenes ausgeben ...»“
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