Einblick hinter das Theater
Der Philosoph und Chemiker Joachim Schummer hat eine Kulturgeschichte des künstlichen Lebens geschrieben. Der Vorwurf gegenüber Wissenschaftlern, sie würden mit ihren Forschungen Gott ins Handwerk pfuschen, entbehrt jeglicher Logik. Insbesondere die Katholische Kirche und schreibende Moralapostel sprechen immer wieder vom Gotteshandwerk, wenn es um die Herstellung von künstlichem Leben im Labor geht. Dies war bei Klonschaf Dolly ebenso der Fall wie es dies bei der Diskussion um die künstliche Befruchtung ist. Schnell sprechen Gläubige und Möchtegern-Ethiker davon, dass Wissenschaftler „Gott spielen" oder „dem Herrn ins Handwerk pfuschen". Ist da was dran? Und welche gesellschaftliche Bedeutung hat die synthetische Biologie? Diesen Fragen geht Joachim Schummer in seinem kulturhistorischen Essay Das Gotteshandwerk. Die künstliche Herstellung von Leben im Labor nach.
Schummers beeindruckend akribische Arbeit zeigt, dass die Entstehung von neuem Leben lange Zeit eine allgegenwärtige Banalität war. Weder in den christlich-jüdischen Schöpfungsmythen und deren Rezeptionsgeschichte noch in den Reflektionen zur Entstehung von Leben in Renaissance und Neuzeit gäbe es Anzeichen dafür, die der Annahme widersprächen, dass Leben spontan entsteht und dementsprechend auch jederzeit von Menschen hergestellt werden kann.
Wer sich also mit dem Vorwurf des Gottspielens gegen wissenschaftliche Versuche der Lebensherstellung richtet, der bezeugt ein relativ enges Bild eines Handwerkergottes, das selbst der biblische Schöpfungsmythos nur schwer hergibt.
Die künstliche Lebensherstellung selbst ist auch immer wieder Thema in den religiösen Mythen, wie Schummer zeigt. Hinduisten kennen die Geschichte des Königs Dhritarashtra, dem auf wundersame Weise aus einem unförmigen Fleischklumpen einhundert Söhne geboren werden, obwohl seine Frau unfruchtbar ist. Die jüdische Kultur kennt diverse Golem-Erzählungen, die auf der Herstellung sog. Humanoiden aus Lehm oder Staub und der Belebung dieses Wesens mittels magischer Worte beruhen. Die griechische Mythologie wiederum kennt die Schaffung von Menschen- oder Tierähnlichen Apparaten, derer sich die Götter bedienen. Und die Alchemie hat ihren Teil zur Mythenbildung um die spontane Entstehung von Leben beigetragen. Die Vorstellung einer künstlichen Lebensherstellung war für die verschiedenen Weltreligionen also offensichtlich lange Zeit völlig unproblematisch.
Zu einem Bruch mit diesen Traditionen kam es erst im 19. Jahrhundert. Darwins Evolutionstheorie und ihre naturwissenschaftliche Untermauerung führten dazu, dass sich die spontane Lebensbildung „von einer alltäglichen Banalität in eine Bedrohung der Grundfeste des christlichen Glaubens verwandelte", schreibt Schummer. So entstand neben den Darwinisten die Gruppe der Kreationisten, die die Existenz allen irdischen Lebens in einen göttlichen Schöpfungszusammenhang stellten. Was folgte, war ein Jahrhundert der medialen Aufregung, in der in einer immer schnelllebigeren Medienlandschaft die lautesten Töne die größte Aufmerksamkeit versprachen. Mit den Fortschritten der Wissenschaft stieg auch die Betonung des schöpferischen Gotteshandwerks, welches unangetastet zu bleiben hat. Schummer gelingt es, auf wenigen Seiten, den Prozess der verbalen Aufrüstung angesichts der wissenschaftlichen Fortschritte aufzudecken. Denn es sind nicht nur die Kirchen, die wissenschaftspessimistische Hysterie betreiben, sondern vor allem auch die deutschen Leitmedien wie Spiegel oder FAZ. Die Motivationen dafür mögen vielfältig sein und reichen von der tatsächlichen Verfechtung eines göttlichen Schöpfungsaktes bis hin zur sensationsmotivierten Schlagzeilensuche, die sich des biblischen Vergleiches bedient.
Es gebe aber noch einen zweiten Grund, warum die künstliche Herstellung von Leben immer wieder in den Zusammenhang mit dem religiösen Schöpfungsmärchen gebracht wird. Es ist der Wettlauf der Wissenschaftler vom Range eines Greg Venter. Gegenseitig versuchen sie sich nicht nur mit wissenschaftlichen Leistungen zu überbieten, sondern auch in der Art und Weise, ihre Forschungsfortschritte medientauglich zu verbreiten. Da ist dann schon mal von der Klärung der ewigen Fragen zum Ursprung des Lebens die Rede, um die religiösen, weil medientauglichen Seiten der Wissenschaftsdebatte zum Klingen zu bringen.
Joachim Schummer kommt in seiner Untersuchung zu dem Resultat, dass in Europa insbesondere die Entwicklungen in der Fortpflanzungsbiologie, von In-vitro-Befruchtungen über die Einrichtung von Samenbanken bis hin zur Leihmutterschaft, als Nachahmung der göttlichen Schöpfung kritisiert werden. Auf diese oft erprobte Hysterie bauen nun auch die Moralapostel bei der Debatte um die Präimplantationsdiagnostik (PID). Die Künstlichkeit der Lebensherstellung wird zum Skandalon, ohne dass man eigentlich genau weiß, wo diese Künstlichkeit beginnt und wo sie endet. Denn:
Selbst wenn sich das Produkt der Lebensentstehung nicht von den Ergebnissen der normalen Fortpflanzung unterscheidet und somit als natürlich gelten kann, schleicht sich die Rede von der „Künstlichkeit" ein, sobald der Entstehungsprozess vom natürlichen Weg abweicht.
Genauso verhält es sich nun auch bei der PID-Debatte. Aber ist das tatsächlich sinnvoll? Wird es dem Begriff der künstlichen Herstellung überhaupt gerecht, solange man unter dem Wort Herstellen die absichtsvolle Herbeiführung von etwas Neuem, das zuvor nicht existiert hat, verstehen? Wohl eher nicht, wie Schummer zeigt. Und einen wirklichen Ausweg aus diesem Konzept gibt es auch nicht. Die allseits herangezogene Idee der künstlichen Herstellung von Leben ist willkürlich und weder sprachwissenschaftlich noch logisch zu greifen. Selbst dann nicht, wenn man die Lebensherstellung als Handlung versteht, die ein System von einem leblosen Zustand in einen lebendigen Zustand überführt.
Nach dieser Definition ist ein menschlicher Körper beispielsweise während einer Herztransplantation vorübergehend tot, weswegen wir die gelungene Operation als Herstellung menschlichen Lebens auffassen müssten. Ähnliches gilt für jede Form der künstlichen Befruchtung, da Ei- und Samenzellen getrennt nicht lebensfähig sind. Es würde auch ausreichen, den Zellkern einer Amöbe kurz herauszunehmen und dann wieder einzusetzen, um mit Fug und Recht behaupten zu können, Leben hergestellt zu haben.
Vergleiche wie diese sind es, die Schummers Buch nicht nur lesenswert, sondern auch erhellend machen. Wie auch schon in seinem kritischen Band Nanotechnologie. Spiele mit Grenzen listet er nicht einfach nur die Argumente der Wissenschaftskritiker auf, sondern zeigt auch, in welch absurde Realitäten sie uns führten, denkt man sie konsequent zu Ende. So entlarven sich die Vorwürfe der predigenden Zunft in Wort und Schrift als recht willkürlich, etwa bei der künstlichen Herstellung von Nützlingen wie der Seidenraupe, der Honigbiene oder der Schildlaus (zur Herstellung von Farbstoffen), wo der kreationistische Aufschrei bislang ausblieb.
Wer aber meint, Schummer macht es sich zu einfach, indem er den Gotteshandwerkern die Folgen ihrer Argumente vorführt und der Wissenschaft einen Persilschein ausspricht, der sieht sich getäuscht. Schummer scheut sich nicht, den wahnhaften Wettlauf im Bereich der synthetischen Biologie deutlich zu kritisieren - insbesondere weil er nicht auf bewusste Erkenntnissuche aus ist, sondern auf das Prinzip Trial and Error setzt. Schummer - nicht nur Philosoph, sondern auch Naturwissenschaftler - fordert die Formulierung von Erkenntniszielen vor der Aufnahme von Lebensherstellungsversuchen. Denn die bisherigen Errungenschaften und Ziele der synthetischen Lebensherstellung seien bereits jetzt mit den Möglichkeiten der klassischen Gentechnik umsetzbar. Ein Projekt der Lebensherstellung, das Wissen lediglich als eventuelles Zufallsprodukt einkalkuliert und keinen wirklichen Fortschritt darstelle, könne schwerlich Wissenschaft genannt werden. Die Herstellung von Leben, wie sie Greg Venter et al. Anstreben, weise gegenüber der Modifikation von Leben mittels Gentechnik „Begründungsdefizite" auf, meint Schummer.
Je stärker sich die Synthetische Biologie über die Herstellung von leben definiert, desto nutzloser scheint sie und desto mehr trägt sie zur Mystifizierung des Lebens bei. Der Vorwurf des „Gottspielens", der damit einhergeht, mache jedoch nur dann Sinn, wenn man Anhänger des Kreationismus ist.
Dann geht es dabei gar nicht um eine Entwertung des Lebens durch seine Herstellbarkeit als vielmehr um den Vorwurf, die menschlichen „Schöpfer" träten in Konkurrenz zu Gott. [...] Wenn der Kreationismus den Wert allen Lebens auf seinen göttlichen Ursprung zurückführt, dann erhält Leben dadurch nur einen indirekten Wert. Folglich wäre jedes Lebewesen, das durch menschliche Technik entsteht, weniger wert. Der Kreationismus schätzt also gar nicht das Leben oder die Organismen an sich, sondern nur das Produkt der göttlichen Schöpfung bzw. Natur.
Aus ethisch-moralischer Perspektive ist diese Haltung der Kreationisten und Verfechter der These des Gotteshandwerks höchst bedenklich, denn sie geht davon aus, dass das Leben als solches keinen eigenen, intrinsischen Wert hat. Nur wenn es seinen Wert durch einen göttlichen Akt erhält, kann seine künstliche Erzeugung wertmindernd sein. Über den Wert des Lebens fernab religiöser Vorstellungen zu seiner Entstehung besteht jedoch keinerlei Zweifel, so dass die moralische Aufgeregtheit gegenüber der Wissenschaft jeglicher ethischer Grundlage entbehrt. Im Beklagen des Gottspielens schwingt der Vorwurf des Hochmuts mit, gottgleich sein zu wollen. Gegenüber jedem Atheisten kann man diesen Vorwurf daher schon gar nicht erheben.
Wie Joachim Schummer zeigt, wird der Vorwurf des „Gottspielens" ohnehin nur aus den Reihen der römisch-katholischen und der anglikanischen Kirche erhoben. Diejenigen aber, die ihn vorbringen, erweisen der notwendigen ethischen Debatte um Sinn und Unsinn von Wissenschaft und Forschung einen Bärendienst, da der Vorwurf als solcher suggeriert, „allein damit würde bereits ein ethischer Einwand geäußert" und die Auseinandersetzung mit Fragen nach dem Nutzen synthetischer Biologie oder genetischer Forschung gegen jegliche Kritik immunisiert.
Der selbst unter theologischen Gesichtspunkten völlig deplatzierte Vorwurf, Wissenschaftler wollten Gott spielen, den Journalisten nicht zuletzt erheben, um ihre Auflagen zu steigern, setzt so eine Eigendynamik in Gang, die blind ist für den durch sie verursachten gesellschaftlichen Schaden: eine aus den Fugen geratene Wissenschaft, eine blindwütige antiwissenschaftliche Entrüstung und die Schwierigkeit, ja beinahe die Unmöglichkeit einer konstruktiven Wissenschaftskritik.
Für die Beförderung einer allgemeingültigen Wissenschaftskritik taugt der Vorwurf des Gottspielens so viel, wie der Wutanfall eines bockigen Kindes. Die Kategorie des Gotteshandwerks entbehrt auch jeglicher Grundlage, sei sie religionsphilosophisch, geistesgeschichtlich, wissenschaftlich oder ethisch, wie Joachim Schummer eindrücklich zeigt. Eine grundsätzlich kritische Betrachtung von Wissenschaft und Forschung auf der Basis rationaler Argumente ist aber dringender denn je.
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