Man wird essen, wenn man kann, aber letztlich wird man essen
Als Naturforscher ist man nicht automatisch auch ein guter Präsentator seiner Ergebnisse. Oder man ist Autor und schreibt über sein Hobby Naturforschen. Dazwischen oder Zusammenfall gibt es natürlich auch, aber definitiv ein guter Autor war Jean-Henri Fabre, der als Insektenforscher im 19. Jhd. die eigentümlichsten Experimente angestellt hat, Spinnen auch als Insekten behandelte und ein großes literarisches Werk hinterließ. Eine kleine Auswahl der Spinnen ist bei Matthes & Seitz zusammengefasst worden und in der bescheiden effektiven Reihe der Paperbacks erschienen. Leicht mosaikartig verkittet, etwas konfus in der Komposition, ist es ein großes Vergnügen, diesem realistischen Wahn beizuwohnen, in einer Mini-Welt große Konflikte ausgetragen zu sehen und Lösungen und Probleme voller Anpassungen und Arten vor Augen geführt zu bekommen.
Fabre verfasst anschauliche Prosa zur Beschreibung einer geduldigen Arbeit. Taranteln, Radnetzspinnen, Schwarze Witwen etc. sind die ProtagonistInnen.
Die Italiener haben die Taranteln schlechtgemacht; ihr Biss rufe bei dem Betroffenen Zuckungen und Tanzwut hervor. Gegen den Tarantismus, so heißt diese Krankheit, helfe Musik, sie sei das einzige Heilmittel. Man hat dafür eigene Melodien notiert, die besonders lindernd wirken. Es gibt eine medizinische Choreographie, medizinische Musik. Und wir? Haben wir nicht die Tarantella, diesen lebhaften, hüpfenden Tanz, den uns vielleicht die Heilkunst der kalabrischen Bauern vermacht hat?
Fabre unternimmt regelrechte Grand Guignol Intendanz und lässt in seinen Experimentierglocken aus Glas die Tiere als Gladiatoren gegeneinander antreten. Die Retiarier gegen die wilde andere Art, zum Beispiel gegen eine Gottesanbeterin, oder gleich gegen gleich – Episoden von snuff-artiger Schaulust.
Ich schließe meine Beobachtungen der Tarantel mit der kurzen Beschreibung eines sonderbaren Kampfes zwischen diesen Tieren. Eines Tages nach der glücklichen Jagd auf diese Wolfsspinnen, setzte ich zwei ausgewachsene Männchen in ein großes Weckglas, um mir den Anblick eines Kampfes auf Leben und Tod zu verschaffen. Nachdem sie mehrmals im Kreis gelaufen waren, um sich aus dem Weg zu gehen, nahmen sie, wie auf Signal, eine kriegerische Haltung ein.
Fabre beschreibt das Jagdverhalten "auf Wachturm", Paarungen und vor allem die architektonischen Errungenschaften der Spinnen minutiös und stets bewunderungsgetränkt. "Wundert sich der Leser, wenn ich sage, dass dieses Problem mich wochenlang an die Betrachtung des tristen Gemäuers fesselte? Meine Geschichte wird trotzdem kurz sein."
Sein Schreiben ist präzise und vor allem in den "Actionszenen" plastisch wie Victor Hugo u.a. Der Kampf der spinnenfressenden Wegewespe mit der Kellerspinne ist schauderhaft zu lesen. Die Methoden der beiden, die durchaus Beute und Jägerin im Wechsel sind, erinnert an Sixties Monsterstreifen. Die Wegewespe macht sich den Mut der aus ihrer Höhle zum Gegenangriff herausgetretene Spinne zu Nutze und packt sie kurz am Bein, um sie von der Wand abzuschleudern. Die verstörte Spinne kann außerhalb ihres "Wachturms" nicht mehr agieren und wird (jedesmal) eine verstörend leichte Beute der Wespe, die umgekehrt, wenn nachts nicht auf der Hut, ebenso verspeist und ausgesogen wird.
Ein interessanter Kurztrip in Fabres Arbeitsweise und vor allem Schreibweise.
Fabre über einen spinnigen Geburtsvorgang:
Die auf den Rosmarinsträuchern der prallen Sonne ausgesetzten Ballons platzen, und es ergießt sich eine rötliche Flut aus Flaum und kleinen Tieren. Ohne jeden Schutz, im Gesträuch, reißt der Beutel der Gebänderten Radnetzspinne in der Julihitze durch den Druck der eingeschlossenen Luft. Die Befreiung kommt, indem die Heimstatt explodiert.
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