Boris Poplawski (1903-1935)
Neu im Guggolz Verlag: die erste deutsche Ausgabe des Romans Apoll Besobrasow von Boris Poplawski, übersetzt aus dem Russischen, mit Anmerkungen und einem Nachwort von Olga Radetzkaja.
„Wie gewaltig ist der Sommer in den verlassenen Städten, wo alles halb geschlossen ist und die Menschen sich langsam, wie unter Wasser bewegen. Wie herrlich und leer ist der Himmel über ihnen, er gleicht dem Staub und Verzweiflung atmenden Himmel eines Felsengebirges.
Schweißüberströmt, kopfüber, fast bewusstlos trieb ich den gewaltigen Fluss des Pariser Sommers hinunter.
Ich lud Waggons aus, überwachte Maschinen mit rasend schnellen Triebrädern, tauchte hysterisch zuckend Hunderte und Aberhunderte schmutziger Restaurantteller in kochendes Wasser. Sonntags schlief ich in einem billigen neuen Anzug und Schuhen von unanständig gelber Farbe auf dem Gras der ehemaligen Befestigungsanlagen. Später schlief ich einfach auf Bänken, und wenn meine Bekannten zur Arbeit gingen, auf ihren zerwühlten Hotelbetten in der Tiefe grauer, heißer, tuberkulöser Zimmer.“
Boris Poplawski (1903–1935) war in den Pariser russischen Exilkreisen vor allem als ausdrucksstarker Lyriker bekannt. Der Roman »Apoll Besobrasow« erzählt in gleißenden Bildern von einigen entwurzelten jungen Menschen – meist russischen Emigranten –, die sich torkelnd und tanzend durch Paris treiben lassen und der Kunstwerdung ihres eigenen Lebens widmen. Der Ich-Erzähler Wassili lernt den geheimnisumwitterten Apoll Besobrasow kennen, der voller Widersprüche, aber auch von enormer Anziehungskraft für ihn ist. Beide sind verlorene Existenzen, die nach Schönheit und Aufrichtigkeit streben, beide schlagen sich durch und deuten ihre Zukunftslosigkeit zu Freiheit um. Russland gehört der Vergangenheit an, Frankreich bleibt ihnen fremd – die Nichtzugehörigkeit des Dazwischen versetzt den Roman in einen ambivalenten Schwebezustand. Doch die selbstgewählte Isolation treibt giftige Blüten, auf die Euphorie der Freiheit droht ein tiefer Absturz zu folgen.
Die von der Lyrik geprägte Sprache reizt die Imaginationskraft des Lesers mit ihrer hypertrophen Farbenpracht bis zum Überschäumen – und weist mit futuristischen und surrealistischen Einflüssen, mit den ausgiebig erforschten Rauschzuständen und der radikal antibürgerlichen Attitüde der Figuren wie ein früher Vorläufer auf die späteren Beatpoeten voraus. Olga Radetzkajas Übersetzung arbeitet mit feinem Gespür die Zwischen- und Untertöne in den grellen Formulierungen und kraftvollen Bildern heraus. Sie bringt die den Figuren eingeschriebene Verlorenheit und tiefe Traurigkeit des Exils, die auch hundert Jahre später noch Gültigkeit haben, zum Leuchten.
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