„das Körperliche ist das größte Versprechen“
Iris Schiffer ist 39 Jahre alt, nahm seit ihrem 16. Lebensjahr Gesangsunterricht und steht nun vor einer vielversprechenden Karriere. Die Mezzosopranistin debütiert im Lauf des Buchs an der Metropolitan Opera in New York und wird für ihre Umsetzung der Rolle des Cherubino in Mozarts „Hochzeit des Figaro“ bejubelt. Zudem wird ihr eine Hauptrolle bei den Salzburger Festspielen angeboten. Sie soll die Sophie in „Sophie’s Choice“ des britischen Komponisten Nicholas Maw singen. Doch sie hört auch ihre biologische Uhr ticken und so ist die für sie schönste Nachricht nicht dieses oder ein weiteres Engagement als Sängerin, sondern ihre Schwangerschaft. Iris Schiffer freut sich auf das Kind, doch sie verschweigt die Tatsache, weil sie ahnt, was diese für ihre Karriere bedeuten wird.
Ihre Strategie, um über unangenehme Lebensphasen hinwegzukommen, war das Warten; warten, bis sich etwas ändert, denn etwas ändert sich immer.
Es gelingt ihr, den wachsenden Bauch bei den Proben und Aufführungen an der Met zu verbergen. Intensiv bereitet sie sich anschließend auf die Rolle der Sophie vor, obwohl ihr von Anfang an klar ist, dass die Premiere in Salzburg und der errechnete Geburtstermin sehr nahe beieinander liegen. Als ihre Schwangerschaft schließlich unübersehbar wird, wird sie zunächst als Sophie gefeuert, um jedoch wenige Tage später wieder engagiert zu werden. Der Regisseur plant nun sogar, ihre Schwangerschaft dramaturgisch zu verwerten. Wegen der Unwägbarkeiten der möglichen Geburt gibt es von Anfang an eine Zweitbesetzung. Und es kommt, wie es eben kommen muss: Iris Schiffer singt die Premiere nicht, obwohl diese Tage vor der Entbindung stattfindet, es wird im Buch auch nicht klar, warum sie sich auf einmal zurückzieht.
Verkompliziert wird die Lage dadurch, dass Iris nicht weiß, wer der Vater ihres Kindes ist. Sie will es auch nicht wissen. Denn es gibt zwei Männer, die in Frage kommen. Da ist Ludwig, ein Politiker und Unternehmer, den sie über alles liebt und gern als Vater ihres Sohnes sehen würde. Aber er ist verheiratet, hat bereits drei Kinder und stellt vom Anfang ihrer Beziehung an klar, dass er seine Familie niemals verlassen wird.
Ihre Verbindung würde immer Wunsch bleiben, die Unerfüllbarkeit war die Voraussetzung, von Anfang an.
Regelmäßig widmet Ludwig ihr Zeit, ist nach seinen Möglichkeiten „äußerst konsequent in der Terminfindung“, in schmalen Zeitfenstern sogar am Telefon. Und sie wartet, wartet sehnsüchtig, doch voll Geduld darauf, dass er sich meldet, dass sie ihn treffen kann. An ihm liebt sie alles, jedes Wort, jede Geste, bei ihm fühlt sie sich geborgen, denn:
Egal, was in ihr vorging, sobald er sie berührte, war sie elektrisiert; dann gab es nur ihn.
Und da ist Sergio, mit dem sie seit sechs Jahren verpaart ist, ein italienischer Tenor, der an seiner eigenen Karriere bastelt. Er langweilt Iris, doch sie lässt ihn im Glauben, dass er der biologische Vater ihres Kindes sei, weil er ihr sicher ist. Er wiederum ist ob seiner Vaterwerdung wie verwandelt. Er bemüht sich um sie, obwohl sie ihn wiederholt abweist, die Beziehung immer wieder beendet oder unterbricht. Er ist bereit für seine Rolle als Vater, sogar bereit, zurückzustecken und in Karenz zu gehen. Sergio ist es auch, der ihr bei der Geburt beistehen wird. Was nichts daran ändert, dass für sie allein Ludwig der Vater ihres Kindes sein soll.
Andrea Grill gliedert ihren Roman in vier Kapitel, die sie, wie in einer Oper oder einem Theaterstück, als Akte bezeichnet. Vorangestellt ist das Personenverzeichnis, angehängt ein fiktives Rollenverzeichnis Iris Schiffers der letzten 19 Jahre, ein Repertoire, das im Jahr 2000 mit der Gräfin Geschwitz aus Lulu von Alban Berg anfängt, zahlreiche Rollen in Mozartwerken beinhaltet, aber auch Opern von Richard Strauss oder Operetten von Lehár oder Johann Strauß, und 2019 mit Sophie endet, eine Rolle, die sie allerdings nie auf der Bühne verkörperte. Zusätzlich hängt Andrea Grill eine Liste fiktiver CD-Aufnahmen Schiffers an. Außerdem gibt sie Hinweise auf jene (Auto)Biografien bekannter Opernsängerinnen und –sängern, die ihr Wissen bereicherten.
Leider ist Wissen nicht alles und Wissen allein meist zuwenig für einen gelungenen Roman. Die Handlung erstreckt sich über die knapp neun Monate dieser Schwangerschaft, beginnt mit dem Schwangerschaftstest und endet mit der Geburt eines Sohnes. Erzählt wird zumeist aus der Sicht des allwissenden Erzählers, der nahe bei Iris Schiffer bleibt. Manchmal wechselt die Sie- momentelang zur Ich-Perspektive und zu den Gedanken der Sängerin.
Der Autorin gelingen wohl einige stimmige Szenen, zu denen etwa das Warten auf das Ergebnis des Schwangerschaftstest und die Geburt gehören oder das Gespräch von Ludwig und Iris über ihre intensive Vorbereitung auf die Rolle der Sophie. Eindrücklich ist manch aufmerksame Beobachtung und Überlegung, etwa über das Altwerden im Musikbetrieb und die plötzliche Einsicht in die Relativität des Alters. Kurzweilig ist auch Grills Beschreibung des modernen Regietheaters. Doch das Buch wirkt insgesamt eher wie das Buch eines Journalisten, nicht wie jenes einer Schriftstellerin. Manches wirkt bloß skizziert. Es werden ausgiebig recherchierte Fakten aneinandergereiht, unterbrochen durch sogenannte „retuschierte Kinderlieder“, die die Sängerin dem Kind in ihrem Bauch vorsingt, bekannte Lieder wie „Fuchs, du hast die Gans gestohlen“, „Es war eine Mutter“ oder „Susi, liebe Suse“, deren Text Grill etwas zu platt und wenig überzeugend verändert. Was dem Buch deutlich fehlt, ist Lebendigkeit, ist Subtilität und atmosphärische Stimmigkeit. Die Figur der Sängerin ist psychologisch zu wenig nuanciert gestaltet. Vieles wird behauptet, doch es fehlt die emotionale Unterfütterung, womit nicht jene Gefühligkeit gemeint ist, die nahe am Kitsch liegt und von der es leider etliche Kostproben in diesem Buch gibt.
Wer klassische Sängerinnen und Sänger kennt, und Grill hat nicht nur zahlreiche Biografien gelesen, sondern, wie in ihrer Danksagung zu entnehmen ist, zumindest mit der Mezzosopranistin Angelika Kirchschlager intensiven Austausch gehabt, der weiß bzw. müsste wissen, was für eine Ausnahmesituation jeder einzelne Auftritt darstellt, wie etwa die Stimme zuvor geschont, was und wann achtsam gegessen oder getrunken wird, oder dass und wie die Nerven blank liegen. Nichts davon ist in diesem Buch zu bemerken. Grill schreibt zwar zum Beispiel einmal von „Iris’ Nervosität vor der Festspielpremiere“, aber diese Nervosität (und nicht nur die) bleibt Behauptung, sie wird kein einziges Mal spürbar.
Trotzdem gehören gerade die Passagen, die sich mit den Vorbereitungen zu „Sophie’s Choice“ befassen zu den überzeugenderen dieses Buchs. Angelika Kirchschlager verkörperte als erste jene Sophie, denn für sie hatte der Komponist Nicholas Maw sie einst geschrieben. Kirchschlager sang diese Partie sowohl in der Uraufführung 2002 an der London Covent Garden Opera, als auch später in der österreichischen Erstaufführung 2005 an der Wiener Volksoper. Die Sängerin hat sich intensiv mit dieser Rolle und ihrer Gestaltung auseinandergesetzt. Sie hat selbst 1994 als Cherubino an der Wiener Staatsoper debütiert, ist obendrein, wie die Sängerin des Romans, späte Mutter eines Sohnes und ihr Reichtum an Erfahrung floss wohl reichlich in Andrea Grills Roman ein.
Womit wir bei der Sprache des Romans sind, die als einfach und wenig originell zu bezeichnen ist. Die Autorin liebt rhetorische Fragen, von denen es insgesamt zu viele gibt, und sie neigt manchmal zu überflüssigen Verdoppelungen und Kommentierungen. Nicht nur deshalb hätte man dem Buch ein aufmerksameres Lektorat gewünscht, sondern, eine Kleinigkeit, auch um ein fehlendes h wiederzufinden und Sopie wieder zu einer Sophie zu machen.
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