Bombardmang
Es gibt eine neue Übersetzung von Raymond Queneaus ewigem Klassiker Zazie in der Metro. Vorgelegt im Suhrkamp Verlag von Frank Heibert. Er macht einen hervorragenden Job. Wirklich. Und extrem gut ist tatsächlich sein Nachwort, das als zeitgenössischer Diskursbeitrag einige, ziemlich wichtige Themen des Übersetzens heute/ morgen aufgreift. Das einzige Manko: Zazie ist ein unsympathischer Brocken. Ist es immer gewesen, und auch jetzt nicht zu empfehlen.
Wer Queneau mag, wird gewiss an die Stilübungen und andere Experimente denken, ersteres übrigens auch von Heibert genial übertragen. Doch was Zazie im Gegensatz zu Oulipo-Kostbarkeiten seines zweifellos begabteren Freund und Kollegen Georges Perec nicht kann, ist Textkunst anzubieten, die sowohl von der Versuchsanordnung überzeugt als auch durch das wirklich erzählte. Interesse an Sprache und Sprachgrenzenverschiebung ist das eine, etwas zu sagen haben, ist das andere. Zum Beispiel Was für ein kleines Moped von Perec benutzt ebenfalls eine völlig herangewüstete Nonsens-Erzählung als Trägerrakete für Abermillionen Floskeln, Redewendungen, reale und imaginäre Sprachbilder und trotzdem geht eine zumindest in Ansätzen politisch-menschliche Fabel um Militärverweigererprotagonisten um im Buch, der man folgen mag, egal, ob einem das Experiment auffällt oder nicht.
Queneau ist zwar genial witzig und findungsreich bis zum Mittelpunkt der Erde, leistet sich aber nichts als hingerotzte Dummheiten, Homo- und Xenophobien, Respektlosigkeiten dem Schreiben an sich gegenüber, als ewiger Gallimard-Lektor hat er nicht um sein Leben geschrieben, sondern sich hier als Akademikerpunk inszeniert, der zwar alles mit Sprache kann, aber an keiner Stelle wagt, die programmatischen Konsequenzen seiner Wahllos-Attacke zu verstehen, will sagen, das Buch trampelt sich selbst kaputt, Zazie heißt heute Zizou. Es hat nicht mehr bleibenden Wert, als einem betrunkenen Genie zuzuhören, das das Glück gehabt hat, dass das, was dem Buch fehlt (jeglicher Charme), von Louis Malle und seinem unsterblichen Film mit der auf immer ikonisch grinsenden Zazie schon wenige Jahre später dazu geliefert wurde, man das Buch nicht ohne den Film lesen kann. Es ist eine Trockenübung. Nicht mehr. Allerdings, und das macht Heibert klar, eine sprachlich-übersetzerische Superfundgrube (reden wir nicht über den Inhalt, die erfolglose Suche nach der Metro, die schließlich von Zazie verschlafen wird, die unerklärliche dumme Terroristenattacke, die Touristenidioten, das depperte Schwanensee im Tütü undsoweiter). Heibert schreibt: "Ist Raymond Queneau am Ende genauso spießig, wie es die Gesellschaft in den 50er Jahren allgemein war?" Inhaltlich wäre das zu bejahen.
Aber Zazie ist ein Klassiker, weil es eben nicht um den Inhalt geht, sondern um seine Präsentation. Queneau hat einiges konsequent kultiviert. Heibert: "Q.s bekanntestes Stilmittel ist die phonetische Notierung von Mündlichkeit [...] So kommen ulkige bis monströse Lautgruppen und -ballungen heraus, etwa der berühmte Auftakt
"Doukipudonktan"
Graphisch korrekt wäre das der Fragesatz "D'où qu'ils puent donc tan?" [=]
"Waschtinkndiso"
Heibert erläutert seine Entscheidungen. Zum Beispiel die Problematik der sprechenden Namen. Wie generieren, die Albernheit? Er schreibt: "Doch in den würzigeren, böseren Fällen erscheint mir Queneaus Spielabsicht allzu deutlich, und die würde untergehen, wenn man die französischen Namen einfach beibehielte. Also geschah hier, um eine äquivalente Wirkung zu erzielen, etwas, das man beim Literaturübersetzen eigentlich nie tut: Die Eigennamen wurden verändert, neue sprechende "französische" Namen geprägt [...] Übersetzer müssen ebenso geschmacklos sein dürfen wie ihre Autoren [...] Grossetittes, Ramlère, Dassemire."
Ein bisschen Text:
"Puh, ein Elend ist das!"
"Sollen wir irnkwo anhalten, auf einen Apéro?", fragt Charles.
"Hat was."[...]
"Verstehen Sie vielleicht Latein? Usque non ascendam anch'io son pittore adios amigos amen und zack. Aber stimmt ja, das werden Sie nicht schätzen können, Sie sind ja kein Priester, Sie sind Bulle."
[...]
"Oheim Gabriel", sagte Zazie friedlich, "erstens hast du mir immer noch nicht erklärt, ob du hormosessuell bist oder nicht, und zwotens nicht, wo du das ganze schöne Zeugs in Fremdenzungen herhast, das du vorhin verzapft hast. Antworte."
[...]
Eine Spießerin, die die Gegend unsicher machte, näherte sich dem Kind, um ihm folgende Worte mitzuteilen:
"Schau mal, mein kleiner Schatz, du tust diesem armen Mussjöh doch weh. So brutal darf man doch Erwachsene nicht behandeln."
"Erwachsene? Leck mich", erwiderte Zazie, "der will meine Frage nicht beantworten.[...]
Die Witwe Dassemire brach zusammen, Eingeweide in den Händen.
"Und dasse mire", murmelte sie, "mit meinen schönen Zinsen, sowas Blödes."
Sie stirbt.
Zazie bleibt ein nerviges Buch, mit Absicht versteht sich. Die Edition, das Nachwort, die Übersetzungskunst allerdings lohnen einen Blick. Und natürlich allgemein, sollte man auf Gorilla von Myves St. Fleurant stehen.
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