Eingekreist

Baulöwin

Triggerwarnung: Im folgenden Text werden explizit Dinge geäußert, die verstörend wirken können.

Ich schlafe nackt. Sommers wie winters. Werktags wie feiertags. Auch wenn der DHL-Mann klingelt, bin ich im ersten Moment vollkommen nackt. Er klingelt oft in letzter Zeit und immer zur Nachtruhe. Aufgrund seiner Berufstätigkeit hat er ein völlig verschobenes Zeitempfinden. Ich schrecke hoch, renne zur Tür, drücke auf den Summer, damit sich die Haustür öffnet und der DHL-Mann nach oben kommen kann, in den zweiten Stock, das dauert zwanzig Sekunden, in denen ich es schaffen muß, mir eine Hose anzuziehen und einen Pullover. Wenn man schon mal wüßte, wo die Hose liegt, wäre das hilfreich, ich wühle im Wäscheberg in der hinteren Ecke meines Zimmers, schon klopft es an der Wohnungstür, der Pullover ist verkehrt rum an, meine Scham, das will ich nicht unerwähnt lassen, darf sich nun jeder mit irgendeinem Kleidungsstück bedeckt vorstellen, dann öffne ich die Tür, ein Paket, nicht für mich, das sehe ich gleich, sondern wieder was für meine katholische Freundin, denn ich bestelle nur Sachen in Buchformat, und das ist ein großer Karton, und es war für unseren DHL-Mann nicht einfach, den in den zweiten Stock bis an die Tür zu tragen, weil da nämlich Zement drin ist.

Seit Monaten bestellt sie immer wieder Zement! Wenn man die Konsumgewohnheiten meiner Freundin mal einer kriminalistischen Perspektive unterzöge, könnte man annehmen, sie produziert heimlich Betonschuhe für die Mafia, um Menschen im See zu versenken. Aber genaugenommen ist es nur harmloser Bastelbeton, und das würde ich auch gegenüber einem ermittelnden Kommissar aussagen, damit meine Freundin entlastet wäre. Obwohl, will ich das überhaupt? Seit einiger Zeit hat meine Freundin nämlich, und vielleicht liegt es ja daran, daß wir beide nicht mehr in der Blüte unserer Jugend stehen, seltsame Bastelwallungen. Mit der Folge, daß ich mich sämtlichen Machenschaften der Menopause gegenüber sehe. Man macht keine Kinder mehr, sondern Gefilztes, Gemaltes, Gekleistertes und Mosaiktes. Oder Objekte, für die ich noch gar keine genauen Worte habe. Gegenstände jedenfalls, die aus dem Zement geformt werden. Manche Teile, die so entstehen, sehen dann aus, mal ohne Liebe und ganz realistisch betrachtet, wie breitgetretene Elefantenfladen. Darin stecken, um im Bilde zu bleiben, kleine, wie unverdaut anmutende, bunte Ziersteinchen. Als ich meine Freundin vorsichtig fragte, was diese durchaus interessanten Objekte denn irgendwann mal für eine Funktion erfüllen sollen, falls man solch profane Maßstäbe überhaupt anlegen möchte, antwortete sie konsterniert, das seien Trittsteine für das Blumenbeet im Garten. „Klar, jetzt, wo du es sagst, sieht man es gleich“, lenkte ich ein.

Zu spät! Aber was hätte ich sagen sollen? Das Wort „schön“ wäre in diesem Zusammenhang sicher vernünftig gewesen. Stattdessen fragte ich, „wozu?“ Meistens kann ich nämlich auch ohne künstlerisch gestaltete Trittsteine im Garten irgendwo hintreten, aber das wäre möglicherweise ja einfach nur, ohne jegliche Dimension darüber hinaus, so hingetreten.

„Weil es mir Spaß macht“, sagte sie, und ich schwieg lieber, um mir nicht die letzten Zärtlichkeitsoptionen, die eine langandauernde und treue Beziehung zu bieten hat, in diesem Jahr auch noch zu verscherzen.  

Vielleicht sollte ich, wenn mein Vater demnächst am Telefon ist, und er mir wieder, weil wir ja nicht wirklich was Persönliches zu bereden haben, von seinen Bauvorhaben erzählen will, den Telefonhörer gleich an meine Freundin weiterreichen, damit beide ein bißchen fachsimpeln können. Zum Beispiel über die Konsistenz einer guten Betonmischung. Mehr so Durchfall oder eher brockig. Darüber gibt es bestimmt ganz verschiedene Philosophien und widerstreitende Denkschulen. Im Grunde ist meine Freundin inzwischen zu dem Sohn geworden, den sich mein Vater immer gewünscht hat.

Als ich geboren wurde, war mein Vater noch erfreut gewesen. Zwei Arme, zwei Beine, ein Penis. Daß ich zwei linke Hände hatte, war noch nicht ersichtlich, sonst hätte er versuchen können, mich im Krankenhaus schnell zu vertauschen. Später baute mein Vater ein Eigenheim und ich meistens nur Scheiße. Wenn mich mein Vater mal bat, ihm eine halbe Stunde auf dem Grundstück zu helfen, bemühte ich mich darum, ihm wenigstens zu zeigen, wie sehr er mich damit quält. Was ist Zwangsarbeit in Sibirien gegen Rasenmähen in Roschwitz? Fehlte nicht viel, und ich hätte mein Schicksal den Nachbarn zu Gehör gebracht mit einer Interpretation des Liedes der Moorsoldaten. Inzwischen kann ich nicht mal mehr anderen genüßlich beim Arbeiten zusehen, ohne unangenehm von ihren Taten berührt zu werden. Meine Freundin nimmt aber keine Rücksicht darauf. Selbst auf dem Weg vom Kino nach Hause, wenn wir an einer Straßenreparaturbaustelle vorbeikommen, wo sich seitlich meist ein kleiner Haufen von Pflastersteinen auftürmt, bückt sie sich und stopft welche in ihre Handtasche.

„Was machst Du denn da“, flüstere ich, während ich mich umsehe, ob irgendwelche Zeugen in der Nähe sind.
„Siehst Du doch,“ flüstert sie zurück.
„Ja, Du steckst Pflastersteine in deine Tasche, aber wieso?“
„Ich bau was.“
„Ja, was baust denn du schon wieder.“

„Was im Garten, ich will dir das jetzt nicht erklären müssen“, sagt sie und kommt aus der Hocke wieder hoch. Obwohl Klauen bei ihrem katholisch-notorisch schlechten Gewissen nie ihre Stärke war, schlendert sie nun dahin mit der Unschuldsmiene eines Profitaschendiebes. Ich weiß ja nicht, welches Strafmaß angelegt wird auf Baumitteldiebstahl, und ob ein Verfahren bei zwei kleinen Pflastersteinen möglicherweise wegen Geringfügigkeit wieder eingestellt wird, oder ob es nicht sinnvoll wäre, in diesem Falle ein Exempel zu statuieren, – doch es gab mal Zeiten, da nahm man Pflastersteine in die Hand, um sie für eine bessere Welt gegen sogenannte „Bullenschweine“ zu schleudern. Nun werden sie eingesteckt, um das häusliche Gartenglück zu gestalten. Offen gesagt, langsam wird mir meine Freundin unheimlich.

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