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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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Kritik

Egoleben

Hamburg

Eine „Reise in das Herz der Finsternis” wird der zweite Roman des Klaus Dermutz vom Verlag – wie beim ersten, „Sepsis”, KLAK in Berlin, wo der Autor zeitweise lebt – angekündigt. Die Beschreibung trifft zu; bis auf die Tatsache, dass es sich in „Acht Leben” nicht um die allgemeine „Finsternis unserer Zeit” handelt, sondern die individuelle Finsternis eines einsamen Mannes, des 1929 geborenen Stationsvorstehers Erich, Onkel des fiktiven Herausgebers.

Der Titel „Leben” betrifft auch nicht acht Menschen, nein. Erich hat vor seinem Selbstmord im Alter von 84 die Bilanz seines Lebens in acht Tranchen verfasst, für seinen Neffen. Wie der 1960 in Judenburg geborene Autor ist dieser Neffe Steirer. Da Erich den Seinen ebenso wenig wie den Naturgesetzen traut, richtet er sich mit seinen Bekenntnissen nicht an die Kernfamilie, sondern an diesen Nachlassverwalter.

Man nimmt Dermutz nicht ganz ab, als er in der Nachbemerkung Ähnlichkeiten mit Lebenden oder Gestorbenen abstreitet – so wahrhaftig wirken die Erinnerungen des gemeinen phallokratischen Egomanen mit dem sprechenden Vornamen Er-Ich. Vielleicht hat der Verlag mit dem Vergleich in der Ankündigung ja auch nur darauf hinweisen wollen, dass die mächtigsten Staaten der Welt von derartigen Ego-Manen regiert werden.

Wie dem auch sei: Auf 200 Seiten erfahren wir Lebens- und Familienumstände des Protagonisten, v.a. aber wie es um dessen Ego und die Rammelmacht von dessen Mannsgerät stand. Genau dieser Aspekt stellt nämlich Erichs Hauptanliegen im irdischen Dasein dar.

Nebenpersonen sind das Motorrad und das Eigenheim. Von Schwester und Tochter gibt's kaum einmal den Namen, Mutter und Frau sind nur um der Machtpositionierung männlicher Helden wegen erwähnenswert. Treten Bekannte in Erscheinung, so nur um sie vom Charakter des Ich-Erzählers abzusetzen oder diesem Handlungsbedarf zu bieten.

Als „Herz der Finsternis” erscheint der herzlose Eisenbahner. Bis zu einem gewissen Grad mag er für seine Generation – gerade nicht mehr Hitlerjungen – typisch sein. Aber eine derartige Rechnung wäre zu einfach.

Onkel Erich treibt sein ganzes einsames Leben hindurch Führerkult mit seinem Gemächt. Es ist das Genie, das dem durchfrorenen Studenten in Wien eine – vom älteren Gatten sexuell vernachlässigte – Gönnerin verschafft. Damit legt Erich die Freundin Linda flach und macht ihr auch gleich einen Sohn, damit noch vor Beginn der Ehe klar sei, wer im Paar das Sagen hat. (Ausdrucksweise original Erich). Bei erstem Anzeichen für Infragestellung seiner Position haut Erich Linda eine herunter, die „so sitzt, dass ein für alle Mal klar ist, es wird keine weitere mehr brauchen”. Und wenn einmal keine Frau da ist, der man's zeigen kann, zeigt's Erich beim Masturbieren sich selbst und dem Leser, dass er der Größte ist. Dafür entwickelt er sogar eine biologische Herrenmenschen-Theorie.

Er könnte einem Leid tun, weil er sich maßlos von den Menschen, die es keiner schlecht mit ihm meinen, abkapselt und niemanden an sich herankommen lässt. Eher bekommt der/die Lesende aber Wut, dass er/sie mit derartigen Charakteren auf einer Welt leben muss.

Der Roman ist aus einem Guss. Wer ihn liest, wird nichts daraus lernen. Die Schilderungen sexueller Handlungen erfolgen etwas überraschend und sind von einer unsinnlichen Präzision, ganz wie die Beschreibungen über die Umbauten der Speisekammer, die der von sich überzeugte Heimwerker Erich zum Besten gibt. In der österreichischen Zeitgeschichte haben es einige Ingenieure in den eigenen vier Wänden zu perverser Berühmtheit gebracht, Bombenbauer Fuchs und die Kellerverlies-Perfektionierer ihrer Kindfrauen Prikopil und Fritzl. Dermutz' Roman-Erich hat dasselbe Täterprofil. Wer sich über Bösewichter in Kriminalserien wundert, bekommt mit dieser Biografie eine Fallstudie.

Zu den stilistischen Vergehen gehört, wie der Autor sich den vorgeblichen Kärntner ausdrücken lässt: Etwa bezeichnet er den Unterrichtsgegenstand Geografie preußisch als „Erdkunde” oder beschreibt jemanden als „oll” mit einem Adjektiv, das in einem vom Sprecher entlegenen Sprachraum heimisch ist.

Noch unglaubwürdiger ist, wie oft die Figur des 1929 geborenen Bundesbahnbediensteten in englischen Phrasen sprachdenkt. Bei jemandem um zwei Generationen jüngeren, der viel englisch liest, mag das ja passen, aber nicht bei einem konventionellen Provinzbeamten aus Erichs Generation.

Klaus Dermutz
Acht Leben
KLAK Verlag
2019 · 204 Seiten · 16,90 Euro
ISBN:
978-3-948156-02-2

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