Essay

Resonanz und Ignoranz

Das Ruhrgebiet und seine Autoren: ein Streifzug durch das Werk Nicolas Borns nebst Erntefrischem zur Wirkung Borns auf Literatinnen und Literaten längs der Ruhr
Hamburg

Ruhelos an der Ruhr

Die ihn prägenden Eindrücke der Stadt Essen, des Ruhrgebiets, seines Alltags- und Arbeitslebens gewann Klaus Jürgen, später Nicolas, Born von 1948 bis 1965, also zwischen seinem zehnten und 27. Lebensjahr. Man sollte hinsichtlich dieses Zeitraums nicht allzu pathetisch vom Drama, aber doch von Entbehrungen und Eigensinn eines hellwachen Jungen, jungen Mannes sprechen. Um Born herum Nachkrieg und Wiederaufbau, geteiltes Deutschland, „Wirtschaftswunder“, viel bleierne Zeit. 1972 wird er selbstironisch an Jürgen Manthey schreiben: „Hier ist auch der kleine Aufsatz, etwas, das sicher nicht meine Stärke ist, das liegt an meiner freudlosen Jugend und daran, dass ich immer zu wenig Zeit hatte zum Denken und Üben.“1

Selbstverständlich hätte Born – frei nach Zille – die frühe Erfahrung, dass man mit perspektivlosem Alltag Menschen ebenso töten kann wie mit einer Axt, auch in Berlin oder jeder anderen Großstadt der Nachkriegszeit machen können, aber im Ruhrgebiet war sie schon immer besonders leicht zu haben. Das ist bekannt:2 Born muss ein Gymnasium im nahen Emmerich nach einem Jahr aus Geldmangel verlassen, macht 14jährig den Volksschulabschluss in Essen, beginnt dort eine Lehre und wird Chemigraph. Von Utopien weit und breit nichts zu spüren, von verdrängter Geschichte umso mehr. Vorerst nichts als drohendes Einerlei. Ein wilder Leser und ein suchender Jungautor zur falschen Zeit am falschen Ort, auch wenn Kohlekrise, Zechensterben und singuläre Streiks in der Region bereits für Beunruhigung sorgen. Im übertragenen Sinne gilt: Eine „ausreichend gute Mutter“3 war das Ruhrgebiet dem jungen Born nie. Der hochbegabte Autodidakt hat die Stadt Essen 1965 notgedrungen verlassen müssen, wollte er sein Leben, seine Berufung aus Fahrlässigkeit nicht verfehlen.

Eigensinn, Aufbruch und Widerstand

Im April 1979 erzählt der an Krebs erkrankte Nicolas Born in seinem Tonbandprotokoll „Mein Widerstand ist meine Krankengeschichte – Krankheit, Stadtwiese, Gorleben“, aufgenommen in einem Hamburger Krankenhaus, vom mühsam aufgebauten Häuschen der Eltern in einer isoliert liegenden Siedlung auf der sogenannten Stadtwiese in Essen. Etwa 100 Häuschen gab es wie das der Borns, auferstanden aus Ruinen, die Wege aus festgestampftem Schutt. „Bis 1948, das heißt, als mein Vater aus der Kriegsgefangenschaft zurückkam, hatten wir am Niederrhein gewohnt. Als mein Vater zurückkam, fand er keine Arbeit, als Beamter und ehemaliges Parteimitglied. Also zogen wir nach Essen, wo er eine Arbeit als Hilfsarbeiter annahm, im graphischen Gewerbe. Wir bewohnten ein Zimmer in der Wohnung von Verwandten. Die Enge, die Not der Enge, das Wirtschaften in der Gemeinschaftsküche, das Sich-Waschen im Gemeinschaftswaschraum, das Waschen der Wäsche, das Sauberhalten der Kinder. Diese Not, aus dieser Not heraus wurde der Mut gefasst, das Haus zu bauen.“4

Aus der Not heraus den Mut fassen zu Eigensinn, Aufbruch und später auch zu Widerstand, vielleicht ist dies ein Leitmotiv der Born‘schen Lebensweise. Wie sehr die Trostlosigkeit der 1950er, frühen 1960er Jahre Beklemmung hervorgerufen haben muss, spiegelt sich unmittelbar in einigen Gedichten aus dem Band „Marktlage“5 , in den frühen Erzählungen, den ersten Romanen Borns, in deren Protagonisten-Perspektiven. Ich erlaube mir hier, einige Ansichten des Reviers aus dem Roman „Der zweite Tag“ mit harten Schnitten zu montieren, um damit Borns in die Texte wuchernden Ruhrgebietskosmos der frühen Jahre zur Kenntlichkeit zu entstellen: „Es ist zu sehen ein heilloses Stahldickicht, Hochofen, ein unordentlicher Turm mit den fetten Rohrleitungen zur Abfuhr von Giftgas und Wind. [...] Vor dieser Kulisse die Rampe für Schlackenabstiche, [...] darunter die dampfenden Kübelwaggons. [...] Arbeiter sind kaum zu sehen. Sie fügen sich ein. [...] Es war eine fehlerhaft erscheinende Gegend, [...] kleine Lauben, verkommene und reinliche, aber grau waren alle, grau in vielen Abstufungen durch die verschiedenen Anstrichfarben unter dem Schmutz. [...] und wie überhaupt die Stadt hier heißt, die Stadt mit dem dunklen Gesicht, in der man nicht wohnen möchte. [...] Und dann ist die Stadt die Metropole und die Einkaufsstadt und die Stadt der Schlussverkäufe und eine soziale Stadt und eine selbstbewusste Stadt mit Grüngürtel. Im Stadtzentrum gibt es Geschäftsstraßen und Speisegaststätten und Plätze für Kundgebungen. Damit sind die Wichtigkeiten aufgezählt. [...] In den nördlichen Stadtbezirken [...] stehen die Industrieanlagen, Zechen und Fabriken, in denen der Reviermensch arbeitet, der typische Reviermensch, der Mitglied ist in der Gewerkschaft, der einen Garten hat und eine Frau, Kinder, die zur Schule gehen (das jüngste ist elf), eine Ziege oder ein Schwein im Stall auf dem Hof oder Tauben im Schlag, die er gemeinsam züchtet mit dem Nachbarn.“6

Solch genormtes Leben kommentiert der Ich-Erzähler im Roman „Die erdabgewandte Seite der Geschichte“ so: „Das war ein falsches Leben gewesen;7 auch dann, wenn ich nie ein richtiges Leben würde führen können, war das Leben ein falsches gewesen.“ Dass solche Beschreibungen später und auch heute noch zu den mittlerweile völlig abgedroschenen Klischees vieler oberflächlicher Reportagen über das Ruhrgebiet gehören, spricht nicht gegen Born, sondern nur gegen diejenigen, die neue Erfahrungen im Gegenwarts-Ruhrgebiet beim Durchreisen und Surfen auf dessen Oberfläche partout nicht machen wollen. Die Spannung, der Widerspruch zwischen der Begabung Borns (der auch eine Begabtensonderprüfung für Lehramtsstudiengänge ablegte) und dem Chemigraphen-Leben in Essen hatte sich – lesend, schreibend, reisend – unaufhaltsam aufgebaut. Von heute trendig eingeforderter „Work-Life-Balance“ damals selbstverständlich keine Spur. An Hermann-Peter Piwitt schreibt er in drei Briefen 1964/65 auch die Sätze: „Viele Grüße aus dem schwarzen Arschloch Europas sendet Dir Dein Born. [...] Hinter dem Essener Münster heule ich abends wie ein Wolf. [...] Wenn ich die Maserung meines Schrankes betrachte, werde ich lebensmüde.“8

Brief- und Tapetenwechsel

Dass da noch ein anderes Leben möglich sein müsste und sollte, wurde Born (wie seinen Figuren) immer klarer. Nicht nur durch kleine Fluchten oder große Reisen nach Athen, in die Türkei, nach Syrien, sondern auch durch den Briefwechsel und die Gespräche mit Ernst Meister in Hagen. In „Endspiel zu Lebzeiten“, Borns Rede für Ernst Meister zum Petrarca-Preis 1976, sagt er: „Anfang der sechziger Jahre habe ich von Ernst Meister etwas über die Genauigkeit und die Unsicherheit der Sprache gelernt, und, was noch wichtiger war, er hat mir damals klargemacht, dass die Poesie mit meinem Leben zu tun hat und nicht etwa ein entlegener Bereich für irgendeine scheinhafte Kreativität ist.“9

Spätestens nachdem Born Ende 1963 zu einem Jungautoren-Lehrgang „Prosaschreiben“ ins Literarische Colloquium Berlin eingeladen worden war, wird Berlin mit seiner literarischen Szene zum Sehnsuchtsort. Nicolas Born nimmt sich als Schriftsteller immer ernster. Schließlich verlässt er 1965 das Ruhrgebiet, auch seine erste Frau und das Kind, in Richtung Berlin. „Berlin, das auch für mich der beste Teil Deutschlands ist“10, schreibt er schon 1964, obwohl er dort den auch heute noch grassierenden Dünkel dem Ruhrgebiet gegenüber erlebt. An Johannes Bobrowski schreibt Born: „Wie kommt es, dass man bei Ihnen so auftaut, während man bei den ganz jungen Berlinern auf soviel Zurückhaltung und Abwehr und Verschlossenheit stößt? Im Ernst, sie geben einem das Gefühl (absichtlich?) als käme man aus der entlegensten Provinz. Ende der Klage.“11

Doch Nicolas Born entkommt dem Ruhrgebiet nie ganz. Eine Binsenweisheit, sicher, dass Heimat fürs ganze Leben prägt, lebenslang auch den Roh- und Kunst-Stoff liefert fürs Schreiben, für Figuren, Orte und Sprache. Born schreibt dazu in seinem Aufsatz „(Autobiografie)“: „Eines Tages bin ich aus dem Ruhrgebiet getürmt, obwohl ich mich sicher vom Dreck und von den Bildern vom Dreck nicht lösen konnte, jedenfalls bin ich nie richtig sauber geworden und das Ruhrgebiet holte mich immer wieder ein. Es geht zwar nicht mehr unter die Haut, aber unter die Fingernägel; der Steinstaub bleibt für alle Zeit auf den Stimmbändern. Ich bin unzufrieden geblieben. Vielleicht ist das ein chronischer und krankhafter Zustand, der mich aber (wahrscheinlich) zum Schreiben gebracht hat.“12

Born, der Literaturbetrieb und die Literatur im Ruhrgebiet

Abseits von Ernst Meister interessiert der junge Chemigraph sich wenig für das kümmerliche literarische Leben im Ruhrgebiet. Zwar gründet er mit Freund Dieter Hartenstein in den frühen 1960er Jahren einen „Club“, einen Lese- und Schreibzirkel für Freunde, doch dass der gesellige Einzelgänger Born sowohl lokale Möchtegernschriftsteller als auch die Dortmunder Gruppe 61 nicht wirklich ernst nimmt, wird immer wieder deutlich. 1964 schreibt Born in einem Brief an Hans Werner Richter: „Hier in Essen gibt es einen schrecklichen Literaturverein, in dem sich alte Dichterinnen und Dichter treffen und auch etwas Jugend. Ich war einmal da. Wenn ich den Mund auftat, wurde mir gesagt, ich sei noch zu jung. So ist es hier in Essen.“13

Hannelies Taschau

Immerhin lernt Born Anfang der 1960er Jahre auch die in Essen lebende Prosaautorin und Lyrikerin Hannelies Taschau kennen, deren erster Gedichtband „Verworrene Route“14 1961 in der Eremiten-Presse erschienen war. Glaubt man einer Anekdote Taschaus, hat das erste Treffen mit Born in der Essener Baedeker-Buchhandlung stattgefunden, wo sie sich Paul Celans „Sprachgitter“ kaufen wollte: „Das Buch musste bestellt werden, auch damals schon, ich musste meinen Namen nennen und Born rief, Sie sind die Lyrikerin Hannelies Taschau! Sie machen ganz wunderbare Gedichte! Er jubelte ein paar Zeilen hoch, und dann verriss er sie: So bittersüß dürfe es mit mir aber nicht weitergehen.“15 Katharina Born schreibt in ihrem Nachwort zu dem Band „Gedichte“: Born „blieb hartnäckig, bis die eher schüchterne Taschau in ein Treffen einwilligte. Sie wurde in den ‚Club‘ geladen. Später gingen sie oft mit den Freunden zusammen schwimmen, aßen Brötchen, redeten stundenlang.“16 Mit Hannelies Taschau bleibt Born bis zu seinem Lebensende befreundet, doch verliert er Ende 1962 den direkten Umgang mit ihr: Taschau geht nach Paris. Noch 1977 schreibt Born an Taschau, die heute in Hameln lebt: „Gleich gehe ich lange auf dem Deich in der Hoffnung, eine Sprache für mich zu finden, in der ich auch anderen etwas sagen kann.“17

Literatur der Arbeitswelt

Eine Sprache für sich, eine der Zärtlichkeit, auch eine des Humors hat Born in vielen seiner Gedichte und Briefe gefunden. Mit Hermann Peter Piwitt erfindet er so etwas wie eine Geheimsprache, ihrer beider „Spezialrhetorik“. Piwitt ist es auch, der ihm 1973 über Max von der Grün und den Werkkreis Literatur der Arbeitswelt schreibt: „Vor einigen Tagen war ich im Ruhrgebiet, nur so. Von der Grün, den ich da traf, ist ein guter, wirkungsvoller Mann, aber monomanisch nur noch mit seinem ‚Genie‘ beschäftigt. Wir können von diesen Leuten nichts lernen, genausowenig wie von den gewöhnlich sehr beschäftigten Leitern der Werkstätten, die ihr Wissen hüten wie ein Industriepatent.“18 Im damals auch im Ruhrgebiet mit vielen Werkstätten vertretenen Werkkreis Literatur der Arbeitswelt sollten Arbeiter „durch theoretische Anleitung und praktisches Beispiel“ so weit geschult werden, bis sie selbst für ihre Kolleginnen und Kollegen „gesellschaftskritische, sozial verbindliche Literatur“19 hätten schreiben können. Der Werkkreis erklärte in seinem Programm in einem hoffnungsvoll-naiven Circulus vitiosus kurzerhand Wünsche zur Wirklichkeit: „Die im Werkkreis Literatur der Arbeitswelt hergestellten Arbeiten wenden sich vor allem an die Werktätigen, aus deren Bewusstwerden über ihre Klassenlage sie entstehen.“20 Doch statt eine „Ästhetik des Widerstands“ auch sprachlich zu erkunden, blieb man stecken in der Ästhetik des Biedermanns. Nur aus wenigen schreibenden Arbeitern wurden auch arbeitende Schreiber. Die Verkaufszahlen der Arbeiterliteratur begannen drastisch zu sinken. Der Werkkreis war gescheitert, obwohl er bis heute existiert: mit sechs Werkstätten, keine davon allerdings mehr im Ruhrgebiet.

Utopischer Realismus

Nicolas Born dagegen hat früh für Weite und Vielfalt des Erzählens plädiert; hat dafür geworben, sich auf die Abgründe der Wirklichkeit, der Sprache, eigener Erfahrung und Wahrnehmung einzulassen und das Utopische einer besseren Welt zumindest aufscheinen zu lassen. Angestrengte Literaturtheorien (vor allem die zum „Realismus“ in seinen vielen Spielarten) kritisierte er. 1972 schreibt Born in seinem Aufsatz „Ist die Literatur auf die Misere abonniert?“ über sogenannte „gesellschaftlich engagierte Autoren“ und damit auch über den Werkkreis: „Der selbstauferlegte Zwang zur Eindeutigkeit, die unmissverständliche Position, die starre Perspektive auf das Agitationsobjekt, das vorgeschützte Programm reflektieren nur den Grad der Integration und hängen wie Damoklesschwerter über dieser schriftstellerischen Arbeit. [...] Es ist natürlich nicht unter der Würde der Literatur zu informieren, aber es bleibt unter ihren Möglichkeiten. Literatur als bloßes Transportmittel für systemimmanente Kritik [...] kann nur noch vordergründige Effekte hervorbringen: eine penetrant affirmative Leier für oppositionelle Minderheiten.“21

In einem Briefgedicht von 1974 formuliert Born dagegen die Hoffnung, dass sich die Literatur nicht dem Horizont der von den Verhältnissen Verdummten und Verdammten anpasst, sondern dass eben diese die Verhältnisse so zum Tanzen bringen, dass sie sich selbst aus jeder Enge befreien. „Der Arbeiterklasse will ich Zunder geben/daß sie mich hinwegfegt mit zärtlichem Verstand/o wann seid ihr soweit/wann seid ihr wenigstens soweit wie ich?“22 Mit dem Satz: „Weil ich immer mehr für alle bin/muss ich immer mehr für mich sein“23, bringt er seine Position auf den Punkt. Auch aus weiteren Dokumenten lässt sich erschließen, dass Born und seine Freunde die emanzipatorischen Bestrebungen der sogenannten Arbeiterliteratur in den 1970er Jahren mit kritischer Distanz und doch mit Sympathie verfolgten. Leider überhaupt nichts deutet allerdings darauf hin, dass Autoren aus der Gruppe 61 oder des Werkkreises sich vice versa mit den Texten Borns auseinandergesetzt hätten.

Borns Wirkung auf Literatinnen und Literaten längs der Ruhr

Um mehr über Borns Wirkung auf Autorinnen und Autoren im und aus dem Ruhrgebiet herauszufinden, bleiben zwei Wege. Erstens unabdingbar die Lektüre der Werke einzelner Autoren, zweitens und nicht einfacher der Versuch, noch lebende Zeitgenossen und Nachfahren Borns selbst zu befragen. Letzteres habe ich bei zwölf Autorinnen und Autoren tun können. Träger des Literaturpreises Ruhr wie Jürgen Brôcan, Jürgen Lodemann, Harald Hartung, Inge Meyer-Dietrich und Werner Streletz, aber auch Andere und Jüngere wie Sigrid Kruse und Christoph Wenzel haben mir aus unterschiedlichen Gründen abgesagt. Werner Streletz und Lütfiye Güzel bekannten, dass sie eher Rolf Dieter Brinkmann oder Jörg Fauser gelesen hätten als Nicolas Born.

Der junge Norbert Wehr

Norbert Wehr aber, auch Literaturpreisträger Ruhr (2010) und seit den 1980er Jahren Herausgeber der Literaturzeitschrift „Schreibheft“ sowie einst als Jungautor im Briefwechsel mit Born, schrieb mir:
„Also: Ja, Born war ein großer Einfluss für mich, vor allem das Seminar im Semester 75/76 [an der Gesamthochschule Essen, GH]. [...] So lang, also mehr als vierzig Jahre, ist es allerdings auch her, daß ich seine Romane, Erzählungen, Essays und Gedichte gelesen habe – mit Ausnahme des Briefwechsels mit Handke, den ich ja später mit-editiert habe, sowie des Features/Hörstücks, das zusammen mit Ulrike Janssen entstanden ist. [GH: Das Feature hieß: „Bleibende Blüten, Vogelstimmen. Nicolas Born, wiedergehört“] Will sagen: Ich habe zwar ein starkes Gefühl, wenn ich an die End-Siebziger, wenn ich an dieses Seminar, wenn ich an diesen Einfluss denke, aber ich habe die Texte heute nicht mehr so präsent, daß ich auf Anhieb etwas Vernünftiges dazu schreiben könnte. [....] Dazu müsste ich mich noch einmal vertiefen. [...] Zu dieser Vertiefung habe ich im Moment aber leider keine Zeit. Außerdem hätte ich auch ein bißchen Angst davor, daß mir Borns Texte heute vielleicht nicht mehr gefallen. Doch auch wenn mir jetzt etwas einfiele, es würde, glaube ich, nichts wesentlich anderes sein, als ich in meiner Dankesrede zum Erhalt des Literaturpreises Ruhr gesagt habe.“24 Norbert Wehr hat das Werk Nicolas Borns, seine Veröffentlichung auf vielerlei Weise gefördert. In den 1970er Jahren stand er auch im Briefwechsel mit Nicolas Born und suchte dessen Rat für seine eigene lyrische Produktion. Borns Kritik an Wehrs frühen Gedichten war immer zugewandt, zunächst vorsichtig-freundschaftlich, später dann auch deutlicher auf die Schwächen in Wehrs Texten eingehend.25 Norbert Wehr hat Charakter gezeigt, Haltung bewiesen und sich dieser Kritik gestellt. Er wurde zu einem großen Herausgeber und renommierten Literaturkritiker. Ob er allerdings noch Lyrik schreibt, welche und wie gut, das weiß man einfach nicht.

Ralf Thenior

Spannende Antworten auf mein Anschreiben erhielt ich u.a. von Ralf Thenior und Ralf Rothmann. Unter dem Titel „Verbissenes Auflachen unter Hutkrempen.26Notizen zu Nicolas Borns Gedichtband ‚Das Auge des Entdeckers‘“schrieb mir Thenior ein kurzes Statement, woraus ich folgende Auszüge zitiere:

„Als der Gedichtband mit dem bemerkenswerten Titel 1972 erschien, mochte das geneigte Publikum an Personen denken wie Lawrence von Arabien, Marco Polo, Alexander von Humboldt oder Gottfried Seume. Das Auge des Entdeckers sieht ferne Welten, exotische Szenerien, fliegende Hunde und eine Dämmerung, die wie ein Fallbeil niederkommt, vielleicht. Nicolas Borns Blickrichtung war eine völlig andere; nicht dem Erkennbaren im Fremden, sondern dem Fremden im Erkennbaren galt seine Aufmerksamkeit. Und er bot damit einen neuen, frischen Blick in einer verfahrenen Lyriksituation. Wohin sollte sich der junge Dichter Anfang der siebziger Jahre des letzten Jahrhunderts wenden, den es in die Welt der Poesie drängte? Das Feld der hermetischen Dichtung war von Größen wie Celan besetzt, die Naturlyriker waren auf dem Rückzug (‚Nüssebewisperer‘ rief Rolf Dieter Brinkmann ihnen hinterher) und die Konkrete Poesie setzte sich mit Sprache auseinander und unterschlug ihren kommunikativen Aspekt und die damit einhergehenden Veränderungen. [...] Unzumutbare politische Forderungen wurden an die Poesie gestellt [...] Und Agitprop, die agitatorische Begleitung des politischen Tagesgeschäfts, konnte ganz sicher keine Lösung sein. Nicolas Born traf mit seinem Titel den, wenn man so sagen kann, Zeitgeist der Dichtung und beschrieb einen Weg, den einige andere unabhängig von seiner Arbeit schon vor ihm beschritten hatten. Es ging um das alltägliche Leben, das ein jeder lebte. Es ging um Betrachtung, Kontemplation und kritische Reflexion des gesellschaftlichen Miteinanders und, wie schon seit Jahrhunderten, um zwischenmenschliche Beziehungen, also Liebesgedichte. [...] Vom Feuilleton [...] zunächst als ‚Neue Subjektivität‘ in die Schublade gepackt, kristallisierte sich dann später der Begriff ‚Alltagsdichtung‘ heraus. Der ‚subjektive Faktor‘, wie ein kluger Kopf es nannte, war ins Sichtfeld gerückt. [...] Ich bin Nicolas Born zwei Mal auf Lesungen begegnet. Ein freundlicher, ruhiger Mann, der sich nicht in den Vordergrund spielte, sondern mit überlegten und klugen Äußerungen auf sich aufmerksam machte. Ich suchte meinen Weg. Er hatte seinen schon gefunden. Gemeinsam waren uns die Neugier und die Aufmerksamkeit für Gegenwart und Umgebung.“27

Nicolas Borns Wirkung auf den jungen Ralf Rothmann

Sehr aufschlussreich war und wurde immer mehr die Antwort von Ralf Rothmann: „Nicolas Born war wichtig für mich, gewiss, meine erste längere Prosa habe ich ganz im Schatten seiner ‚Erdabgewandten Seite der Geschichte‘ geschrieben. Aber die Faszination verblasste dann nach und nach, ohne dass ich eine Erklärung dafür hätte (bei anderen Helden meiner Jugend wie Tschechow, Pavese oder Cortázar nahm sie immer noch zu …). Darüber hinaus ist es so, dass ich einfach keine Zeit habe, etwas zu schreiben, sorry. Ich habe das ganze Jahr ‚getourt‘ und muss nun endlich einmal zu mir und meinem Eigentlichen finden.“28 Selbstverständlich habe ich trotzdem nachgehakt und schrieb zurück: „Auch Born klagte nicht selten darüber, dass z.B. die Arbeit an Rowohlts Literaturmagazin ihn nicht zum Eigentlichen kommen lasse. [...] Darf ich nur kurz noch fragen, welche ‚erste längere Prosa‘ du meinst? Das müsste doch, was veröffentlichte Prosa angeht, ‚Messers Schneide‘ sein? Dort stellst du auch zwei Sätze Borns voran: ‚Hinzusehen ist Gebrechen. Gefühle weiß ich nur.‘“ Ralf Rothmann antwortet noch einmal kurz: „[...] ja, ‚Messers Schneide‘ war’s. Und das Motto (mein Gott, wie kokett das heute klingt) stammt aus einem Gedicht von Born, ich weiß aber nicht mehr, aus welchem.“29

Unterm Strich: In Ralf Rothmanns „Messers Schneide“30, aber auch in seinen frühen Gedichten fand ich die schönste mir bekannte Wirkung Borns auf nachwachsende Autoren längs der Ruhr. Nicolas Born, der aus Essen nach Berlin geflohene Chemigraph und Jungautor inspirierte den jungen Ralf Rothmann, einen gelernten Maurer, Gelegenheits-Koch, -Fahrer und -Krankenpfleger. Auch der türmte wie Born aus dem Revier von Oberhausen nach Berlin, um von da aus dann Jahrzehnte später in einem Punkt ganz sicher weit über Born hinauszugehen. Denn Rothmann schrieb sie aus der Distanz heraus dann doch, die schönsten Erzählungen, vor allem aber die komplexesten, traurigsten, zärtlichsten Romane übers Ruhrgebiet, die es bis heute gibt: „Stier“, „Wäldernacht“, „Milch und Kohle“ und „Junges Licht“.

Kleine Parallelwelten – zu einigen Gedichten Borns und Rothmanns

Dass auch Nicolas Borns Gedichte Ralf Rothmanns frühe Poeme beeinflusst haben dürften, darf als sicher gelten, auch wenn sich Rothmann dazu nicht äußerte. Manch Ähnliches in Ton und Thematik könnte zwar Zufall sein, weil sich beide stofflich auf die Wirklichkeit des Ruhrgebiets beziehen, wenn auch auf eine aus unterschiedlichen Jahrzehnten; doch Borns Gedicht „Bergschäden“31 etwa findet sich variiert in Rothmanns Gedicht „Bergschäden, Familienbild“32. Borns Einfluss kann deutlicher noch in Rothmanns Gedicht „Die Männer von morgen“33 abgelesen werden. Es beginnt mit den Zeilen: „Ihr Frauen, allein mit dem Eisschrank,/ans Staubtuch gebunden, an ein liebloses Leben,/nehmt euch der Jünglinge an,/die sich in Seitenstraßen langweiln/und euch beim Fensterputzen zusehn, verstohlen/eure Busen bewundernd, eure himmlischen/Hüften – schenkt ihnen ein Lächeln, denn sie träumen von euch./Lindert die Qualen des Sommers in ihnen:/schält sie aus ihren Lederjacken [...]“. Bei Born hieß das einst ähnlich erotisch aufgeladen im Gedicht „Fensterputzen“: „Immer wenn sie die Fenster putzt/sich bückt auf dem Trittbrett der Wohnung/macht sie den Jungen unruhig./Sonst eigentlich nie/nur beim Fensterputzen/wenn sie das Leder wringt/und ein bißchen vor sich hinsummt.“34 Und Borns Kritik an der „Welt der Maschine“35, der alles verschlingenden Megamaschine, findet ihren Widerhall in einem Gedicht Rothmanns mit dem Titel „Maschinenkunde“36. Daraus nur die ersten acht Zeilen: „Was soll ich reden von mir (wie könnte ich)/ich rede von der Maschine./Ich weiß nicht wie sie heißt/oder für wen sie arbeitet./Sie ist Luft für mich (ich atme sie ein)/sie hat mich im Griff (ich begreife sie nicht)./Täglich gehe ich durch die Maschine/täglich geht sie mir durch und durch.“

Rothmanns Erzählung „Messers Schneide“

Aber noch einmal zurück zu „Messers Schneide“ und „Die erdabgewandte Seite der Geschichte“. Rothmanns frühe Erzählung“ „Messers Schneide“ ist fast wie ein Palimpsest zu lesen, eine Überschreibung; wenn man nur lange genug schabt, kommt unter Rothmanns Schrift der Text Borns zum Vorschein.

In Rothmanns „Messers Schneide“ heißt der Protagonist Manfred Assen und ist – wie der Autor damals selbst – Lyriker. Einen einzigen Gedichtband gibt es von ihm, gelegentlich bricht er auf zu Lesungen, ansonsten verdient er sein Geld als Taxifahrer. Assen lebt in einem Berliner Abbruchhaus, das saniert wird. Mit dem Hauseigentümer führt er einen Kleinkrieg, dessen Grabenkämpfe in bizarren Szenen erzählt werden. Sein Freund Lauter ist Kneipier und hat früher selbst einmal Erzählungen geschrieben. Mittlerweile philosophiert er lieber als misogyner Frauenliebhaber über deren Attraktivität und vermeintliche Hohlheit.
Assen wurde als Kind von seiner Mutter schwer misshandelt, vielleicht auch ein Grund dafür, dass er sich die Frauen vom Leib hält, obwohl er der Verlockung ihrer Leiber nicht entgeht. Eine Iris wird in „Messers Schneide“ zu seiner Geliebten, nachdem sie den sturzbetrunkenen Assen auf einer Party in ein kleines Zimmer manövriert und – überraschenderweise – doch Sex mit ihm hat. Iris will Assen an sich binden, obwohl der sich immer wieder sperrt. Es folgt eine On-Off-Beziehung pendelnd zwischen Berlin und einem Ort nahe Florenz. Auch Sprache ist immer wieder Thema der Erzählung, „verbaler Flitterkram“37 der Verliebten, die Kritik der Polit- und Medien-Sprache, die Sprache von Touristen. Assens Schreiben wird problematisiert, sein gelegentliches Schreiber-Pathos, seine Egozentrik, seine Schreib-Blockaden.

Als Iris von Assen schwanger wird, beginnt ein verbissener Kampf um das ungeborene Kind. Iris will es, Assen möchte die Abtreibung. Assens Ängste vor einer Zurichtung zum Vater, vor genormtem Leben stehen auf der einen Seite, auf der anderen Iris‘ Vorwürfe an den „Bücherwurm“38 wegen dessen Angst vor Verantwortung, seiner Lebensunentschiedenheit, seiner durchaus neurotisch-kindischen Egozentrik. Assen selbst hadert mit seiner Scham darüber, will sich – weiteren Dilemmata vorbeugend – sterilisieren lassen; letztlich fehlt ihm auch dazu der Mut. In der Schlussszene kommt es – wie oft bei Rothmann – zu einem Gewaltausbruch. Vier amerikanische Soldaten verprügeln in und vor einem Café einen harmlosen Gast. Die anderen Gäste sehen weg, auch Assen bleibt feige. Doch schließlich lassen ihn lange angestaute Wut und Scham zu einem Steakmesser greifen, mit dem er auf Distanz die Soldaten verfolgt. Die wiederum stoßen in strömendem Regen auf eine bewusstlose Frauen-Schnapsleiche, in deren Handtasche einer der Soldaten pinkelt. Als Assen auf ihn zugeht, um ihm das Messer an den Hals zu setzen, hat er es durch ein Loch im Mantel verloren. Der betrunkene Soldat zieht einfach weiter. Assen kniet neben der wieder halbwegs zu Bewusstsein kommenden, sich nun übergebenden Frau, wo er weint, „doch nichts fühlte von seinen Tränen“39.

Borns „Die erdabgewandte Seite der Geschichte“

Auch in Nicolas Borns Roman „Die erdabgewandte Seite der Geschichte“ war der Ich-Erzähler ein Berliner Jungautor, ein noch müderer Fatalist allerdings als bei Rothmann, ein geschiedener Mittdreißiger, der seinem „absterbenden Daliegen“40 nachsinnt, apathisch, gefangen in exzessiver Introspektion, ein Zuschauer des eigenen und des öffentlichen Lebens in Berlin, in Wohnungen, Kneipen und Straßen: „Ich hatte Lust, mir alles gleichgültig werden zu lassen.“41 Auch Borns Erzähler ringt um Vaterschaft, hier allerdings um sein Verhältnis zu seiner jungen Tochter Ursel. Borns Erzähler ist immer in Geldnot, der zynisch-boshafte Freund mit seinem ironischen Lamentieren und seinen frauenfeindlichen Ausfällen heißt hier Lasski. Auch Borns Roman reflektiert ausgiebig die Dilemmata des Sprechens und Schreibens. Wie später Rothmann kritisiert Born den Kulturbetrieb als Industrie. Auch Borns Ich-Erzähler lebt in einer On-Off-Beziehung. Seine Geliebte Maria ist bei einer Schallplattenfirma beschäftigt, reist viel, was der Erzähler auch nutzt, um mit ihrer Schwester Linda zu schlafen. Vieles deutet auch bei Born auf Gewalt hin, auf Selbstzerstörerisches, auf Beziehungskrieg, sexuelle Gewalt und auf die Gewalt der herrschenden Verhältnisse sowieso. Bei einem Besuch im Ruhrgebiet prügelt der Ich-Erzähler seine Ex-Frau, aber auch die Gewalt rund um den Schah-Besuch im Juni 1967 und die Studentenunruhen werden sichtbar: „Alle Anzeichen deuteten auf Mord hin. War das nur meine Verfassung, mein Gesetz?“42

Spannend wäre es, genauer zu untersuchen, wo die inhaltlichen und ästhetischen Differenzen zwischen den beiden Romanen Borns und Rothmanns liegen. Deutlich ist jedenfalls, dass Rothmann – anders als Born – die existentielle Verunsicherung seines Ich-Erzählers immer wieder durch ironische Distanz, durch Situationskomik und groteske Szenen bricht. Hinzu kommen Rothmanns Musikalität und Poesie in der Prosa, während Borns Erzähler – ohne dies werten zu wollen – sich mal selbstzerstörerisch in Gefühlen verstrickt, mal zwischen Denkzwang und Zwangsgedanken kühl reflektiert, etwa über die Spannung zwischen „Flucht in die Innerlichkeit“ und „Gefangenschaft in der Äußerlichkeit“43. Anders als Rothmann erzählt Born nicht nur in Details, wie das Private ins Politische driftet, sondern auch, wie das Politische tief ins Private eingreift und es zersetzt, fast auslöscht.

Born wider das „subjektivistische Aufheulen“

Nicolas Born selbst distanzierte sich später angesichts der Arbeit an seinem dritten Roman „Die Fälschung“44 entschieden von seiner Schreibweise in „Die erdabgewandte Seite der Geschichte“: „Meine Geschichte wächst sich aus. Sie muss einfach werden, d.h. auskommen soll sie ohne literarische Machenschaften, ohne das subjektivistische Aufheulen, ohne Stilpose, also es darf auch nicht wieder ein manisches Reflexionskarussell werden wie mein letzter Roman. Das ist schwierig, vor allem, es zu vermeiden, keinen Anspruch mehr zu haben, wenn man einige durchschaute Ansprüche aufgegeben hat.“45

Und 1979, zum Ende seines Lebens wird Nicolas Born noch weiter gehen, jede voreilige Fixierung auf ein selbstgewisses Autoren-Ich aufgeben, eine fast schon zen-hafte Haltung der Ich-Überwindung zeigen und aufs Tonband sprechen: „Vielleicht ist der Popanz in mir gestorben, das, was sich aufgebaut hat als Schriftsteller, als Nicht-Schriftsteller und Schriftsteller, als Proseur, als Stilhabender, als Besserwisser und Mehrwisser. Diesen Popanz – mag sein – hab‘ ich mit der Gesundheit verloren.“46 Dieser so schmerzhaft erfahrene mögliche Selbst-Gewinn im Ich-Verlust findet leider keinen literarischen Ausdruck mehr. Leben und Werk Nicolas Borns enden kurz vor der Vollendung seines 42. Lebensjahrs.

P.S.: Lütfiye Güzel

Vielleicht hat Nicolas Born aber doch eine weitere wahlverwandte Wiedergängerin gefunden. Vielleicht ist es Lütfiye Güzel, obwohl sie mir sagte, sie habe von Born überhaupt erst gehört, als ich sie nach ihm gefragt habe. Auch Lütfiye Güzel wurde in Duisburg-Hamborn geboren, 1972, als Tochter türkischer Einwanderer. Auch sie pendelt mittlerweile zwischen Duisburg und Berlin. Sie veröffentlicht Gedichte, Notizen, Anti-Romane, Novellen und Selbstgespräche im Eigenverlag „Go Güzel“. Vielleicht versteht man, dass sie mich an Nicolas Born erinnert, wenn man zwei ihrer kurzen Texte liest. Auch sie scheint eine zu sein, die in der sogenannten Wirklichkeit lebt, sie genau anschaut, durchschaut, erkennt, aber nicht anerkennt:

„wenn einer tot ist

ich sah einen mann/im park liegen/& blieb stehen/& schaute ob er/noch atmete/& als ich sah/dass sich/sein brustkorb/hob und senkte/lief ich beruhigt weiter/& unterwegs/dachte ich:/komisch/dass man weitergeht/wenn einer atmet/und stehen bleibt/wenn einer tot ist“.47

„echo
ich öffne beide/fäuste/& lasse los/& pessoas worte/schreien/sich-selbst-gegenüber gleichgültig-sein/& ich begreife/dass all das gucken auf sich/& festhalten/nur noch mehr/gucken auf sich/& festhalten/bedeutet/& das ist das/gegenteil/von glück.“48

 

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Erschienen in:
Hrsg. von Jan-Pieter Barbian / Erhard Schütz
Die »Utopie des Alltäglichen«
Nachdenken über Nicolas Born (1937–1979)
Wehrhahn Verlag 2019

 

  • 1. Nicolas Born: Briefe 1959 - 1979. Hg. von Katharina Born, Göttingen 2007, S. 112.
  • 2. Mehr dazu u.a. im Nachwort zu: Nicolas Born: Gedichte. Hg. von Katharina Born, Göttingen 2004, S. 603-647.
  • 3. https://de.wikipedia.org/wiki/Donald_Winnicott
  • 4. Nicolas Born: „Mein Widerstand ist meine Krankengeschichte – Krankheit, Stadtwiese, Gorleben.“ Tonbandprotokoll. Saarländischer Rundfunk, Erstausstrahlung 26.12.2017.
  • 5. Nicolas Born: Gedichte. Hg. von Katharina Born, Göttingen 2004, S. 7-46.
  • 6. Nicolas Born: Der zweite Tag. Roman, Köln/Berlin 1965. Reihenfolge der Montage: S. 87, S. 49, S. 78, S. 81.
  • 7. Nicolas Born: Die erdabgewandte Seite der Geschichte. Roman, Rowohlt Taschenbuch Verlag, Reinbek bei Hamburg 1979, S. 30-31.
  • 8. Born: Briefe, S. 249, S. 250, S. 252.
  • 9. Nicolas Born: Die Welt der Maschine. Aufsätze und Reden. Hg. von Rolf Haufs, Reinbek bei Hamburg 1980, S. 191.
  • 10. Born: Briefe, S. 34.
  • 11. Ebd., S. 22
  • 12. Born: Die Welt der Maschine, S. 9
  • 13. Born: Briefe, S. 32.
  • 14. Hannelies Taschau: Verworrene Route. Gedichte, Stierstadt im Taunus 1961 (nicht 1959, wie oft angegeben).
  • 15. https://loomings-jay.blogspot.com/2013/08/hannelies-taschau.html
  • 16. Born: Gedichte, S. 613.
  • 17. Born: Briefe., S. 217.
  • 18. Ebd., S. 311.
  • 19. Werkkreis Literatur der Arbeitswelt: Lauter Lohnabhängige sehen ihre Chefs. Hg. von der Werkstatt Tübingen, München 1971, S. 179.
  • 20. Ebd., S. 178-179
  • 21. Born: Die Welt der Maschine, S. 48.
  • 22. Born: Briefe, S. 151.
  • 23. Ebd., S. 152.
  • 24. Aus einer Mail an den Verfasser vom Herbst 2018
  • 25. Born: Briefe, S. 195-196, S. 202-203.
  • 26. Diese Zeile stammt aus Borns Gedicht „Donnerstag, fünfzehnter Juli“, in: Born: Gedichte, S. 101.
  • 27. Ralf Theniors Mail (und Anhang) an den Verfasser vom 31.1.2019
  • 28. Ralf Rothmanns Mail vom 22.10.2018 an den Verfasser.
  • 29. Ralf Rothmanns Mail vom 24.10.2018 an den Verfasser. Das besagte Motto fand ich in einer Zeile des Gedichts „Boulevard Reaumur/Sebastopol“, in: Nicolas Born: Gedichte, S. 208-209.
  • 30. Ralf Rothmann: Messers Schneide. Erzählung, Frankfurt am Main 1986
  • 31. Nicolas Born: Gedichte, S. 26.
  • 32. Ralf Rothmann: Kratzer und andere Gedichte, Frankfurt am Main 1987, S. 11-12.
  • 33. Rothmann: Kratzer, S. 14.
  • 34. Born: Gedichte, S. 22.
  • 35. Born: Die Welt der Maschine, S. 12-29.
  • 36. Rothmann: Kratzer, S. 37.
  • 37. Rothmann: Messers Schneide, S. 27.
  • 38. Rothmann: Messers Schneide, S. 113.
  • 39. Rothmann: Messers Schneide, S. 133.
  • 40. Born: Die erdabgewandte Seite, S. 14
  • 41. Ebd., S. 27
  • 42. Ebd., S. 31.
  • 43. Ebd., S. 51
  • 44. Nicolas Born: Die Fälschung. Roman, Reinbek bei Hamburg 1979.
  • 45. Born: Briefe. S. 240-241.
  • 46. Born: „Mein Widerstand ist meine Krankengeschichte“ (Tonbandprotokoll).
  • 47. Lütfiye Güzel: Faible? Best of Go-Güzel-Publishing, Duisburg 2017, S. 86.
  • 48. Ebd., S. 77.

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