bang im Fenster, friert im Dämmerwind
Im Projekt Engelers Blacklist, Vergriffenes wieder aufbereitet und zugänglich gemacht, erscheint als 002 der spannende Auswahlband Love is not all der amerikanischen Dichterin Edna St. Vincent Millay (1892-1950). Sie, die in der ersten Hälfte des Zwanzigsten Jahrhunderts entgegen der grassierenden Moderne beinahe ausschließlich auf handwerklich enorm subtil verfertigte Sonette setzte, war zu Lebzeiten äußerst erfolgreich mit ihren Dichtungen. So sehr, dass ihre Texte in Soldatenertüchtigungsbüchlein während des 2. Weltkrieges erschienen, wie aus dem Nachwort Ina Schaberts zu lesen.
„I have a winter reason / Ich kann nur Winter denken“ schreibt sie. In der Tat fühlt sich einiges Material von Edna St. Vincent Millay an wie jenes Konstatat. Klar und in alle Richtungen verwoben, an seinem Platz jedes Wort.
Übersetzer Günter Plessow hat eine vierteilige Zyklusauswahl komponiert und zu einem gut laufenden Band zusammengestellt (zuerst 2008 erschienen), außerdem mit einem recht umfangreichen Handapparat versehen, der einige mythologische Bezüge und Schachtelmechanismen der Versvirtuosin aufdeckt. Wie auch konsequenterweise an vielerlei Stellen zugegeben: dem perfekten Sprachstil der Autorin kommt man schwer bei in der Übersetzung, viele Verkürzer oder Dehner, Ausweichungen, Verschiebungen mussten in Kauf genommen werden, um die reimlich-metrische Wortverhaftung hinüberzuretten. Bisweilen wirkt Plessows Ansatz etwas verkrampft, aber besonders im dritten Teil, den Sonetten aus unveredeltem Holz / Sonnets from an ungrafted Tree fließt es und die Seelenlandschaften breiten sich Perspektive für Perspektive aus.
13
Aus düsterm Traum, in dem sie täglich wach
herumlief, übern Boden hin getragen
ohne zu wollen, ob nun fliehend, ach,
reglos, gebundne Füße, die versagen,
ob lautlos laufend durch das stille Haus,
genau bekannt aus früherm Traum, dabei
treppauf hier, dort treppab, um nichts heraus-
zufordern, nur kein leeres Angstgeschrei
– ein Fremder schläft in feindseligem Bett –
und allzeit ungewiss: tat sie das da?
Sie oder eine, die ihr ähnlich sah? . . . .
aus diesem düstern Traum, dem täglich Brot,
erwachend, nachts gewöhnlich, wars, als hätt
sie Seifenblasen wie ein Kind und nichts, dass sie bedroht.
In Interim, einem der beiden spätjugendlichen Zyklen der Dichterin, schreibt sie:
Das Zimmer, wie du es verlassen hast:
dein letzter Handgriff – achtlos, ahnungslos,
wie heilig jetzt – er heiligt jedes Ding,
verherrlicht es und glüht, als glömme zwischen
den grauen Staubesfingern schwach ein Licht.[...]
Ah, ich bin aufgenommen – ausgelaugt –
es ist zuviel – ich bin nur Fleisch und Blut,
muß schlafen. Und auch wenn du wieder stürbest:
ich bin nur Fleisch und Blut, und ich muß schlafen.
Millays enigmatische Lyrik steht wie ein geheimes Konto im Gegensatz zu ihrem früh unkonventionellen Lebensentwurf inklusive einer (gelungenen) offenen Ehe mit Jan Boissevan, die sich gegenseitig alle Bohème-Freiheiten zugestanden. In ihren Gedichten aus Love is not all geht es vornehmlich um völlig andere Dinge, beziehungsweise Chiffren aus Haus und Mythos, Pflanzen und Bindungsvorstellungen zu Gräbern und Nacht, bei denen sich die Sprachen des lyrischen Ichs zu wandeln scheinen, bei denen die Dichterin in Sonettsequenzen direkt in die Schuhe einer hunderte Jahre alten Tradition tritt, um sie unter ihre eigene mystische Gestaltungssicht zu lenken.
Wie Schabert schreibt, ist „die Feststellung, ihr Oeuvre gehöre zu den verkanntesten Werken des vergangenen Jahrhunderts, inzwischen zum Klischee geronnen [...] in den Zwanziger Jahren ließen ihre frischen, manchmal frechen Gedichte und ihr unorthodoxer Lebenswandel Millay zu einer Kultfigur werden; in den Dreißigern nahm die Popularität ab“. Denn zu sehr stand sie wohl für eine zeitgedeckelte Moderne mit ihrer selbstbewusst (widerständigen) Fixierung auf Patterns und Tänze der Antiken.
Das eigenständige Werk von Edna St. Vincent Millay bleibt jedoch interessant und als genial gewerkter Beitrag zu Recht sichtbar durch die Re-Aufnahme in Engelers Blacklist. Dennoch nicht ganz offen oder einfach zugänglich, für Sonettaficionados aber ganz gewiss eine hundertprozentige Gemme.
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