Ich wollte mir in diesem Schwertladen hier gerade ein neues Schwert kaufen
Mit der Pfingstrosenlaterne erscheint ein verschachtelter Roman in der Anderen Bibliothek, der eigentlich keiner ist. Sondern ein seit Generationen weitergegebener mündlicher Unterhaltungsmonolog. Sprecher/ Autor Sanyutei Encho galt als Meisterzähler und also Vortragender gegen Ende des 19. Jahrhunderts, dessen Einkommen darin bestand, den Stoff als schauspielernder Barde auf einem Kissen der zahlenden Menge darzubieten. Daraus ergeben sich für die von ihm selbst zu verantwortende Verschriftlichung einige interessante Konsequenzen. Wie Martina Schönbein im Nachwort anmerkt, hat man es mit einer klassischen Geistergeschichte zu tun, die auf der Welle des damalige „Gespensterbooms“ reitet und von der es nur ein kleiner Schritt zum J-Horror unserer Tage sei. Welcher ja bekanntermaßen immer mit Akustik arbeite – so wie auch Encho beim Vortrag das Geräusch der Geta, den Holzsandalen jener zwei Gespenster, perfekt als Spannungssteigerung eingebaut haben soll. Neben dem Verlust der Akustik ist das rasende Tempo und die Gliederung der Verwicklung schier unfasslich. Alle Absätze mischt sich das Blatt neu, die ProtagonistInnen erscheinen in komplett entgegengesetztem Licht, ungerührt schaltet die Erzählstimme in die parallele Quest, schreibt unterdessen am Kapitelende: „Wie mag es wohl weitergehen?“
In einer vorzüglich einfachen, nahezu eigenschaftslosen Sprache, bar von Adjektiven, wickelt sich die karma-reiche Geschichte ab, voller Motive, Morde, Unmoder. Die Dialoge sind zum Teil hochironisch, von brachialer Komik getragen. Man kann sich den Stoff sehr gut als Filmklassiker Kurosawas etc. vorstellen, zusammengehalten von jenen anti-zyklischen Parametern Tragik und Historie vs Tee bei den Fieslingen und sich ständig kratzende Leute am Bildrand, deren Wichtigkeit sich steigert. Die zu Beginn völlig unscheinbaren Kosuke, ein Diener der Verwicklungen seines Samurai-Herrn, der letztlich ziemlich überraschend den Reislöffel abgibt im ersten Drittel und Tomozo, ein Hintergrundschatten, der im letzten Drittel sich als Hauptbengel herausstellt und tatsächlich in einem ungleichen Finale zu voller Bösartigkeit findet, das sind die klug heraus gemeißelten Eckpfeiler dieser anmutigen Fabel aus dem Mittelalter Japans, die sich liest wie der knappste Fortsetzungsroman aller Zeiten und der trotzdem actionreichste (gemessen am Daten- und Hüllvolumen Eugene Sues zum Beispiel).
Ein wenig Einblick in die Kunst des „berufsmäßigen Erzählers“ , nach Martina Schönbein, Sanyutei Encho:
„Glaubt Ihr vielleicht, ich lüge! Wenn Ihr denkt, dass das gelogen ist, dann geht heute Nacht selbst hin und überzeugt Euch!“
„Ich?“ fragte Yusai. „Nein, dazu habe ich keine Lust. Hm ... Aus früheren Zeiten gibt es eigentlich keinen Hinweis darauf, dass Gespenster wie Liebende zum Stelldichein kommen. In einem chinesischen Roman allerdings ist tatsächlich so ein Fall beschrieben ... Trotzdem, so etwas kann es doch nicht geben!“[...]
„So ist das also“, murmelte Shinzaburo. „Dann sind es also tatsächlich Gespenster.“
„Was sagtet Ihr?“ fragte der Mönch.
„Es ist nichts“, sagte Shinzaburo. „Auf Wiedersehen.“[...]
„Es ist uns wirklich peinlich, dass wir Euch jeden Abend besuchen und mit unseren Bitten belästigen“, sagte die Frau. „Aber heute Abend ist das Amulett wieder nicht abgerissen worden, und wir können wieder nicht ins Haus gelangen. Die junge Herrin ist schon ganz ungehalten. Ich weiß mir überhaupt keinen Rat mehr. Bitte, habt Mitleid mit uns und reißt dieses Amulett ab!“
[...]
„Doch ich werde mein Vergehen sühnen. Gleich hier werde ich mir den Bauch aufschlitzen.“
„Unsinn!“ entgegnete Iijima. „Ich habe dies alles nicht getan, damit du dir jetzt den Bauch aufschlitzt! Sag nicht so etwas und geh jetzt schleunigst fort!“[...]
Kaum war Genjiro verschwunden, kam Shijo aus dem Wandschrank gekrochen.
„Geschickt hast du das gemacht!“ sagte er. „Man kann dich nur bewundern. Wie hast du gleich gesagt? Als wäre es Wassertrinken oder Waffelessessen. Einfach bewundernswert! Das heiße ich einen wahren Verbrecher!“
Die Übersetzung von Ingo Böhm fließt. Es gibt neben jenem Nachwort ein umfangreiches Wortregister und übers ganze Buch verteilt hübsche Holzschnitte von Franziska Neubert, die auch die sehr gelungene Buchgestaltung besorgt hat. Die Pfingstrosenlaterne ist ein alles andere als angestaubtes Erzählkunstwerk, das bei aller Verschmückung bescheiden bleibt und trotz seiner Notation von einer lang gehegten, originellen Mündlichkeit in Entstehung und Abwicklung lebt.
Fixpoetry 2019
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben