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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
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ostra-gehege Zeitschrift für Literatur und Kunst
Kritik

Klinisch genau und sprachlich durchgefeilt

Hamburg

Ein Gedichtband, der ohne jede Angabe über seinen Verfasser auskommt, ist etwas Ungewöhnliches. Der Hanser Verlag setzt offenbar darauf, dass der Autorname Rolf Haufs hinreichend signalisiert, mit was für einer Sorte von Texten man es in dessen neuer Sammlung „Tanzstunde auf See“ zu tun hat und dass eine bio-bibliographische Notiz keinen Zugewinn brächte. Was auf den ersten Blick als etwas gewagt erscheinen mag, trägt eben der Tatsache Rechnung, dass der Verfasser ein klares Renommee als Lyriker hat und Kennern nicht vorgestellt werden muss, eine wohl richtige Einschätzung.

Haufs, 1935 in Düsseldorf geboren und seit Jahrzehnten in Berlin lebend, hat seine Produktion in diversen Bänden vorgelegt, ist vielfach ausgezeichnet worden und gehört zu den festen Größen der Anthologisten, die ihn in ihren „Blütenlesen“ reichlich berücksichtigt haben. Wie ein bewährtes Markenzeichen hängt dem Autor die Kennzeichnung an, dass seine Gedichte „lakonisch“ seien, er wird als Meister des Understatements gerühmt und sein strenger Vorbehalt gegen alles Rhetorische herausgestrichen. All das findet man auch in dem neuen Band, womöglich in noch gesteigerter Weise.

Flacher Klartext ist die Sache dieses Autors nicht, alles ist bei ihm durch das Säurebad der Wortkargheit und der Ausdrucksverkürzung gegangen. Die Erscheinungswelt wird seltsam zerschnipselt und fragmentiert, scheint in den Versen auf andere Weise wieder zusammengesetzt zu sein und wird ausbuchstabiert in einer Weise, die das Vertraute verfremdet und zugleich auf überraschende Art neu kenntlich macht. Auf das biographisch Erfahrene ist in diesen Texten nur unsicher zu schließen, obwohl es an vielen Stellen signalhaft aufzublinken scheint.

Im ersten Abschnitt des dreigeteilten Bandes haben wir es mit jemandem zu tun, der offensichtlich in die Mühlen eines Krankenhausbetriebs geraten ist und davon schauerliche oder leicht amüsierte Kunde gibt. Von Saugnäpfen und verwesten Körperteilen ist die Rede, von kostbarem Blut und dicken Verbänden, von Megakeimen und dem Pfeifen aus dem letzten Loch. Es wird aber nie so drastisch und eklig wie etwa in Benns Krebsbaracke, obwohl gerade dieser Lyriker und Arzt sicher einer der Gewährsleute von Haufs ist. Der Jüngere setzt ein „abgeschnittenes Bein“ aber nicht wie ein Schockmoment ein, sondern fast spielerisch, wenn er „scherzgierig“ fragt, was mit dem amputierten Körperteil geschehen solle.

Haufs nutzt das klinische Vokabular denn auch nicht, um tatsächliche Erfahrungen im  Krankenhaus einfach zu spiegeln, es dient eher dazu, existentielle Momente und bestimmte  Grenzsituationen zu benennen und einfließen zu lassen in Sprachgebilde eigener Art. So verfährt der Autor auch in den beiden anderen Abteilungen seiner neuen Sammlung. Da gibt es etwa verwunderliche „Epiphanien“, worin ein „an Kafka geschulter Autor“ nicht nur seinen Feinden die Beine abbeißt, sondern über einen offenbar berühmten Kollegen abwertend äußert, er sei doch nur ein „besserer Ganghofer“. Eine endgültige Absage an die Liebe mit dem Titel „Ein für allemal“ wartet mit den überraschenden Schlußzeilen auf: „Mach weiter so/Die Lebenden flüstern dich in die Erde.“

Kindheitsgedichte, in denen es keineswegs verklärt zugeht, waren schon immer eine Stärke von Rolf Haufs. Auch im neuen Band finden sich solche Texte, wobei gleich in zweien von ihnen auf den in einem „Gipsverband steckenden Körper“ eines Jungen verwiesen wird, offenbar eine traumatisierende Erinnerung, die sich als lebenslange Beschädigung nicht ruhigstellen lässt und erneut in die Verse vordringt. Neben der Anti-Hymne auf seinen Geburtsort mit dem Titel „Die Stadt Düsseldorf hat mir nichts zu sagen“ bietet  Haufs auch einen ironischen Beitrag zur „Verfußballung des Landes“. Die Verse würden einem „echten“ Fan wohl die Haare zu Berge stehen lassen, denn einen „Brasilianer mit denkenden Füßen“ kann er wohl noch gelten lassen, aber die Knochen sammelnden „Kieper“ (!) oder die „Grätschenhunde“ werden ihm nicht ganz geheuer sein, wie es ganz offensichtlich auch in der satirisch überzogenen Absicht des Autors liegt.

Rolf Haufs
Tanzstunde auf See
Hanser
2010 · 128 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-446206786

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