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Kritik

Nicht lauter als das Klappern einer Teekanne

Hamburg

Das Urteil Philippe Jaccottets ist stets verläßlich und unbestechlich klar. In einem kleinen Vorwort zur vorliegenden Auswahl spürt man überall die Sympathie, die er den Gedichten des Schweizers Frédéric Wandelère entgegenbringt, sicherlich nicht zuletzt, weil sie seiner eigenen Lyrik in vielem nahestehen. „Kaum sichtbar und nicht sehr laut“ seien sie, sagt Jaccottet, und tatsächlich ist diese Charakterisierung zutreffend, denn nichts ist Wandelère fremder als ein aufdringlicher Ton voller Fallen und Hintertürchen. Kurz und schlicht sind die frühen Gedichte, beinahe demütig in dem Sinne, daß sie nicht um Aufmerksamkeit heischen, sondern sich den einfachen Dingen mit geduldiger Insistenz zuwenden, dabei aber feinsten Humor und eine im Kern lebensbejahende Melancholie zeigen.

„Leçons de simplicité“, Lektionen in Einfachheit, hat Wandelère seinen ersten Band aus dem Jahre 1988 mit programmatischem Gestus genannt. Die im Titel evozierte Einfachheit bezieht sich nicht unbedingt auf die teils frappierende Kürze der Gedichte oder ihren schlichten Tonfall, vielmehr auf die Gegenstände des Alltags, die aus der Zeit herausgelöst und in einem magischen, scheinbar ewig dauernden Moment betrachtet werden. Das erinnert beiläufig an fernöstliche Gedichtformen, ohne daß diese jedoch plump nachgeahmt sind. Als Beispiel sei das „Morgenlicht“ zitiert, das im Original auf dem Wort „terre“ endet, Erde, und noch deutlicher auf den Lehm, den Staub der Vergänglichkeit verweist:

Wie ein Schritt auf der Schwelle des Fensters
schwebender Schatten der Primeln
Schatten des Tontopfs

In Wandelères späteren Gedichten — hier sind wir für die chronologisch angeordnete Auswahl dankbar — tritt zur Melancholie ein weiteres, austarierendes Element, jener bereits erwähnte hauchzarte, verständnisvolle Humor nämlich, der alle Existenzbedingungen lächelnd annimmt, auch und sogar das Mitwesen, die lästige Motte:

Ist’s eine, sind’s viele? An keiner Stelle
stellt sich eine mir vor. Bemerkt
hab ich nur ihr schludriges Werk.
Ein grobes Loch, ein verborgner Geselle!

Wandelère setzt die Metapher nur sehr sparsam ein, er benennt stattdessen die Dinge genau und öffnet gerade dadurch einen weiten Bedeutungsraum. Angesichts der Flüchtigkeit und des immerwährenden Abschieds überzieht Wandelère alles mit einer Patina, und dann geschieht das lyrische Wunder, daß im Moment des Abschieds die Dauer des Augenblicks erst recht präsent wird. So versetzt das Gedicht den Leser in ein Hochgefühl, dessen altgewohnte Nachbarin die Wehmut ist, eine Wehmut jedoch, die das Lob der Dinge seltsamerweise verstärkt. In den besten Gedichten sind all diese Elemente in solchem Einklang, daß die konzentrierte Beschreibung ausreicht, sie isoliert einen Gedanken aus dem Lärm, verrät alles und grenzt sofort danach wieder ans Schweigen.

Münzen aus Licht, Wärme:
jetzt fehlen sie uns.
Die Menschen gehen vorüber, ärmer
denn je. Die Brunnen sind

von Mal zu Mal schöner, doch keiner
beugt sich mehr über sie, keiner
hört mehr den Durst
schwirren an
ihren Schnäbeln.

Die Übersetzung von Elisabeth Edl und Wolfgang Matz macht den Leser beinahe wunschlos glücklich, geschmeidig verfolgt sie die verschiedenen Tonlagen und läßt in der Schwebe, was auch im Original nur locker syntaktisch verbunden ist. Minimale, meist unbedeutende Abweichungen sind fast immer durch die Möglichkeiten und Voraussetzungen der Zielsprache begründet. Nur wenn ein Reim durch Silbentrennungen gewonnen wird, scheinen die Mittel, obwohl durchaus originell, ein wenig deplaciert. Doch das tut dem rundum positiven Eindruck des Bandes keinerlei Abbruch.

Frédéric Wandelère
Hilfe fürs Unkraut
Übersetzung:
Elisabeth Edl und Wolfgang Matz
Vorbemerkung: Philippe Jaccottet
Hanser
2012 · 143 Seiten · 14,90 Euro
ISBN:
978-3-446238688

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