Sprache und Sein
Neu bei Hanser: Kübra Gümüsay: Sprache und Sein.
„Es ist viele Jahre her. In einer warmen Sommernacht am Hafen einer Kleinstadt im Südwesten der Türkei tranken wir Schwarztee und entkernten gesalzene Sonnenblumenkerne in entspanntem Schnelltempo. Meine Tante schaute aufs Meer, in die tiefe, ruhige Dunkelheit, und sagte zu mir: »Sieh nur, wie stark dieser yakamoz leuchtet!« Ich folgte ihrem Blick, konnte aber nirgendwo ein starkes Leuchten entdecken. »Wo denn?«, fragte ich sie. Sie deutete erneut auf das Meer, doch ich wusste nicht, was sie meinte. Lachend schalteten sich meine Eltern ein und erklärten, was das Wort yakamoz bedeutet: Es beschreibt die Reflexion des Mondes auf dem Wasser. Und jetzt sah auch ich das helle Leuchten vor mir in der Dunkelheit. Yakamoz.
Seither sehe ich es bei jedem nächtlichen Spaziergang am Meer. Und ich frage mich, ob die Menschen um mich herum es auch sehen. Auch jene, die das Wort yakamoz nicht kennen. Denn Sprache verändert unsere Wahrnehmung. Weil ich das Wort kenne, nehme ich wahr, was es benennt.“ Kübra Gümüsay
Dieses Buch folgt einer Sehnsucht: nach einer Sprache, die Menschen nicht auf Kategorien reduziert. Nach einem Sprechen, das sie in ihrem Facettenreichtum existieren lässt. Nach wirklich gemeinschaftlichem Denken in einer sich polarisierenden Welt. Kübra Gümüsay setzt sich seit langem für Gleichberechtigung und Diskurse auf Augenhöhe ein. In ihrem ersten Buch geht sie der Frage nach, wie Sprache unser Denken prägt und unsere Politik bestimmt. Sie zeigt, wie Menschen als Individuen unsichtbar werden, wenn sie immer als Teil einer Gruppe gesehen werden – und sich nur als solche äußern dürfen. Doch wie können Menschen wirklich als Menschen sprechen? Und wie können wir alle – in einer Zeit der immer härteren, hasserfüllten Diskurse – anders miteinander kommunizieren?
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