Wolken und blaue Flecken
Der Klappentext von Tanja Dückers neuem Gedichtband „Fundbüros und Verstecke“, erschienen bei Schöffling & Co, verspricht ein sonderbares Mysterium: In diesem Band werde, so heißt es, Einspruch gegen die Schwerkraft erhoben. Was das wohl heißen mag? Kündigt sich hier die Beschwörung einer verkehrten Welt an? „Die Jäger werden dutzendweis / Erschossen von den Schnepfen“? Wohl leider nichts dergleichen. Vielleicht darf man die Erwartung an den Einspruch nicht zu weit spannen und nicht hoffen, dass er sprachmagisch reüssiert. Denn zwar werden in den fünf Kapiteln von „Fundbüros und Verstecke“ Gegenstrebigkeiten aufgerufen, Gegensätze von Leichte und Schwere, Stadt und Land, Leben und Tod – aber nur in Bezug auf das letztgenannte Paar setzt sich diese Lyrik in den gleitenden, intrikaten Zwischenbereichen fest, in denen Gegengewicht und Widerspruch entstehen können.
Dückers’ Sprache, so könnte man sagen, kapriziert sich in ihrer Schlichtheit. Der schmale Grat zwischen Gefühlvollem und Gefühligem lässt sich mit Händen greifen. Dem Verzicht auf Satzzeichen entspricht die recht offene Gliederung der meisten Texte, die Schnelligkeit der kurzen, zumeist sehr kurzen Verse. Es trägt immer deutliche Züge einer Grundsatzentscheidung, ob besonders lange oder besonders kurze Verse die größere emphatische Energie freisetzen: bei Tanja Dückers fällt die Entscheidung auf die kurzen. Besonders das Stilmittel des Einwortverses schätzt Dückers sehr – und erzeugt so einen gewissen Leerlauf. Denn gerade dort, wo Alltagsszenerien mit einer dichterischen Qualität aufgeladen (früher hätte man einschlägig gesagt: romantisiert) werden sollen, überspannen sich die Einwortverse und werden, ganz im Gegenteil, zum Indikator von Leere. So schließt etwa das Gedicht „In etwas Anderes“, das mit der Schilderung eines alltäglichen Morgens beginnt, mit dem zerstreckten Satz: „niemand / geht / einfach / so / heraus / aus dem Rand / der Nacht / hinein / in etwas / Anderes“. Ein weiterer Zug zeigt sich in „Frachtschiff (nächtliches Grübeln)“, wo die Emphase der kurzen Verse Stilmittel hervortreibt, deren Humor durchaus gewöhnungsbedürftig ist: „hin und her / langsam / die Fracht / ist die Fracht ist die Macht“. Da fragt es sich schon, wie viel lyrische Qualität hier auf Grund des Satzbildes unterstellt und nicht aus der Kombination der Wörter erzeugt wird.
Was dem Ganzen allerdings einige Festigkeit gibt, ist die Konzentration auf die Landschaft, die (wenn auch in schwankender Intensität) alle fünf Kapitel durchzieht. Hier wird mit dem Blick des Subjekts auf mediterrane und osteuropäische Szenarien auch ein Rahmen klar, der der Flüchtigkeit der Einwortverse einen größeren Zusammenhang verspricht. Das (um zwei Zitate von Joachim Ritter durch die Gegend zu werfen) „am Ende undeutbare Untenehmen“, durch die Landschaft hindurch am Ganzen der Natur „in freier genießender Betrachtung teilzuhaben“, steuert die Dringlichkeit vieler gelungener Formulierungen. Da spricht deutlich eine Sehnsucht, in eine Natur einzugehen, die niemand begreift, wie in „Insektenleben“: „Über die Heidewiesen / will ich mich verstreuen / nie wieder zusammenfinden“. In dem Emiliy Dickinson gewidmeten „Blauer Zirkus Welt“ findet Dückers ein schönes Bild für die Verletzlichkeit der Hingabe an den Naturraum: „Ich und nur ich / habe mir an Wolken / blaue Flecken geholt“. Die Rätselhaftigkeit der Natur und der historisch überlasteten Orte wird vor allen in den Texten über Frankfurt/Oder, Bukarest und Krakau deutlich. „Auf dem Rücken der Oder“ eröffnet: „Ich kann das Oder-Ufer / nicht verstehen“: und schließt: „Die Spree / verstehe ich doch / auch nicht / (wenngleich aus anderen Gründen)“. Sätze und Zusammenhänge wie dieser stärken das einzelne Gedicht, aber schwächen den Zyklus. Die Unschlüssigkeit des Grenzlandes stärkt zwar nicht nur den Rücken der Oder, sondern den des ganzen Kapitels. Problematisch aber scheint, dass die Gleichsetzung von Oder und Spree im Zeichen des landschaftlichen Nichtverstehens die Auszeichnung der osteuropäischen Orte löscht. Die Besonderheit zieht sich aus den Texten zurück und gründet schließlich entweder in einem opaken Schatz von Erfahrungen, der nicht mitgeteilt wird, oder in den weltgeschichtlichen Markierungen und Grenzläufen, die in anderen Büchern verzeichnet sind. Die Energie der Gedichte reicht hier nicht aus, um einen Lichtbogen in die Historiographie springen zu lassen.
Während die osteuropäischen Landschaften von Verlassenheit, von Graustich und eisiger Zugluft geprägt sind, überlagert sich das Mediterraneum mit Familiengeschichten. Im Getümmel von verschieden großen Kindern geht (und das ist sprachlich der eindrucksvollste Zug dieses Zyklus) der Ton und das Vokabular der Liebesdichtung in fürsorglicher Resignation und Konsequenz unter. Was bleibt, ist die Statik des Häuslichen. Die Gedichte erhalten hier einen gewissen biedermeierlichen Drall und lassen den Leser zuweilen im Unklaren, ob eine satirische Note vorgefunden oder hineingetragen wird, wenn es im Gedicht „Saint Michel“ etwa heißt: „Die alten Freunde aus Berlin / plötzlich Chateaubesitzer / plötzlich drei Kinder“. Hier nimmt die Beschaulichkeit überhand und die Evokation der Landschaft kann sich mit brachialen Neologismen wie „Dunkelhellknallgrün“ nicht dagegen behaupten.
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