Profane Neuigkeiten und hohe Neuigkeiten
Die gesamte Lyrikentwicklung lässt sich im Gröbsten dem profanen, zugänglicheren und dem grandioseren, verschlüsselteren Ton zuordnen.
Das Profane bezieht sich dabei auf den Gegenstand, im weitesten Sinne, der Betrachtung, des benutzten Worts, des ertönenden Klangs, der Geschwindigkeit, genauso wie sich die Verschlüsselung auch auf jene Gegenstände bezieht.
Beide Töne gehen ineinander und existieren kaum für sich alleine, liegen meistens als Gemengelage beider Töne sowie als deren Untergliederungen oder Ableitungen vor.
Ein prägender Unterschied, dass diese Weggabelung im poetischen Sinne bedingt, ist die Inbezugnahme, nämlich die Inbezugnahme des Individuums und nämlich die Inbezugnahme des Kollektivs.
Mit Individuum ist beispielhaft, unter anderem, gemeint das konkrete dichtende Individuum oder ein ausgedachtes Individuum oder ein echtes anderes Individuum. Diese Inbezugnahme bedingt meistens, nicht zwingend, aber meistens, den profanen sowie zugänglicheren Ton. Ein Verschlüsselungsanteil ergibt sich in diesem Fall aus der Wahrnehmung des Abgetrenntseins des Individuums von einem größeren Bezugspunkt, sei es eine transzendierende Instanz, namentlich ein Ideal, ein Glaube, eine erstrebenswerte Idee oder eben profan, wie so eben komplex, ein anderer Mensch, der diese Instanz sein kann.
Die Inbezugsnahme des Kollektivs ist naturgemäß eine hymnische oder verschlüsselte, das heißt ein grandioser Ton: Jeder Religionstext, jeder ‘Agitproptext’, jeder Aufruf an eine Freiheitsbewegung usw. ist nämlich der Aufruf einer Symbolik, weil nur die Symbolik das Große und Ganze anzusprechen vermag, die Summe des Individuellen, der Welt und Epochen. Grandios, weil das Große und Ganze in Bezug genommen wird, durch die Mittel des Hymnischen, also des Lieds, also die Instanz des ersten Gedichts, also die Mündlichkeit, das Lied am Lagerfeuer, die Epik und das epische Lied. Sowie grandios, weil das Große und Ganze angesprochen wird, durch das Wenige, aber Hohe, das Symbolische.
Die Trennung ist gewiss auch eine Artifizielle und die Besinnung auf den individuellen Ton eine naturgemäß wirkendere Besinnung, weil, was kennt man denn wirklich außer das Eigene, den eigenen Alltag, die subjektive Wahrnehmung ?
Die Besinnung auf den hymnisch oder kryptischen Ton hingegen befremdet oder entfremdet auf den ersten Blick oder beim ersten wahrnehmenden Hören. Denn der religiöse Text spricht die Religionsgemeinschaft an und nicht mein mir bekanntes Eigenes, denn der epische Text spricht von einem Schlachtenepos und nicht von dem Ich und den eigenen höchstpersönlichen Erfahrungen und Gefühlen, ebenso der große politische Aufruf und ebenso sogar das vermeintlich anarchische oder nihilistische Manifest. Ferner entfremdet und befremdet es das Eigene aufzulösen, in einer Vielzahl der Stimmen, für die eine Hymne, eine Ode, das Dithyrambische steht, die Angst von der Masse verschluckt zu werden.
Allerdings transportiert der hohe Ton zugleich das Urmenschliche, was uns alle verbindet, mehr als es eine Besinnung nur auf die eigene abgetrennte Stimme tun kann. Das Lied, das Hohelied, der Überreale Archetyp gibt das Gefühl des Verbundenseins mit der Conditio Humana. Wie wenn man Dostojewskij oder Kafka liest und die geäußerten Geschichten stehen für abermilliarden Geschichten sowie stellen die Fragen nach dem ‘Großen und Ganzen’ - danach ist man oft ein Anderer.
Da das Gedicht im Ursprung das Lied und die Epik gewesen ist, in Vorzeiten, behaupte ich, sind die kräftigsten Gedichte, stets jene die das Hymnische und Kryptische in der Symbolik bewahrt haben. Ein Pindar, der den indiviuellen Athlet, in seine Schicksalsgebundenheit einbettet, in die Gipfel des Olymps. Ein Hölderlin, der aus seiner Empfindung heraus antikes Glauben mit dem Monotheismus verband.
Ein Hart Crane, eine Sylvia Plath, ein René Char, ein Paul Celan, ein Desnos …
Mit dem Anbruch der Moderne und der diffusen Zeit der Postmoderne oder Post-Postmoderne, den Erfahrungen der Weltkriege, den Diktaturen der Kalten Kriege, erfolgte eine Rückbesinnung auf den profanen Ton, auf den Ton des abgetrennten Einzelnen, mit einer Verdrängung des sogenannten ‘hohen lyrischen Tons’, als zu pathetisch und reaktionär. Etwa mit der Beat Generation und ihrer Rezeption daraufhin in Europa, Ginsberg und Rexroth, im deutschsprachigen Raum die sogenannte ‘Neue Subjektivität’ um Brinkmann, Mayröcker etc. Alltagssprache, die Einlass findet. Montagetechnik, Kleinschreibung, Stream of Consciousness etc.
Der Zeitgeist der Beat Poets, der San Francisco Renaissance, der Neuen Subjektivität propagierte einen unkonventionellen, modernen, pluralistischen Impetus und die Abkehr von dem vorgenannten ‘hohen Ton’.
Die Alt 68er Bewegung und später die Postmoderne School of Thought hat die Gesellschaft in vielerlei Hinsicht vorangebracht, viel hinterfragt und liberalisiert, neue Strömungen zur Emanzipation von unterdrückten Schichten und Menschen hin zum Kampf und zur Erhebung der Stimme ermutigt, allerdings hat sie in der Poetik mehr Schaden angerichtet, als Nutzen.
Denn das Profane, abgetrennt vom Hohen, ist selber reaktionär, da es dem Marktdenken entspricht. Es hat keinerlei Potential zur Erneuerung, es setzt Trends, es ändert nicht, es löst keine Katharsis aus, kein Hinterfragen wie etwa Brechts episches Theater, kein Unbehagen wie surreale Szenen eines Buñuel, keine Spontandemonstration wie hymnische Gesänge (seien es leider auch oftmals reaktionäre, wie in der Hooliganszene usw.).
Die Profane Poetik abgetrennt von der sogenannten Hohen Poetik dient einer Gesellschaftsstruktur, die keine Freiheitsräume für ihre Bürger erarbeiten will, etwa im Gedicht, sondern produziert Waren zum Konsum. Interessante Sprachspiele, die ein Individuum mit seinem individuellem Geschmack zeichnen. Wir kommen zusammen in Poesiefestivals, hören uns diese Konsumgüter an, es gefällt uns, und danach gehen wir nach Hause, um neues zu konsumieren, wie die neueste Netflixserie.
Die Profane Poetik in Zusammenarbeit mit der Hohen Poetik, mit einem neuen Pathos von Links hingegen könnte viel bewegen. Hohe Lyrikepik der Frauenbewegungen, Surreale Langpoeme über den Niedriglohnsektor, Oden und Dithyramben gegen den institutionalisierten Rassismus – warum nicht ?
Der sogenannte hohe Ton alleine mag das Individuum in einer einheitlichen Masse verschlucken und das Autoritäre fördern. Aber ein profaner Sound, der zwar innovativ klingt, aber nichts beschreibt, außer Alltagsbeschreibungen sowie Liebesbeziehungen, ohne ein Ideal der Erneuerung zu haben, also zugleich einen ‘hohen’ Sound, verschluckt die Möglichkeiten des Kampfes gegen Rechts und das Hoffen auf ein menschlicheres Zusammenleben.
Gerade in Zeiten, wo die Neue Rechte ihren neuen hohen rechten Ton gefunden hat, im Parlament und zuletzt beispielhaft in Thüringen. Eine profane Antwort genügt da nicht. Ich wünsche mir Epen und Hymnen herbei dagegen:
Einen grandiosen Ton !
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