Jonathan Meese dient, als süße Ameise der Kunst
Das Buch ist völlig zauberhaft, wenn man zunächst versucht, es als Werk der Bildenden Kunst zu sehen. Dass ein Künstler wie Jonathan Meese einen 660 Seiten starken Wälzer unter dem Titel „Ausgewählte Schriften zur Diktatur der Kunst“ in der edition suhrkamp veröffentlicht, ein gravitätisches Ding im schwarzen Schutzumschlag, so nüchtern, ernst und wissenschaftsförmig, gerade dass der Band nicht in der Reihe der schönen schwarzen Wissenschaftstaschenbücher erscheint – das ist schon fulminant. Das zeugt auch von einigem Humor und kontrafaktischem Trieb. Denn mit dieser Ausstrahlung höchster, kohärenter, ja professoraler Sinnhaftigkeit (obwohl natürlich auch bei Suhrkamp in entsprechender Ausstattung Bücher erscheinen, die nicht völlig enthaltsam mit dem Unsinn umgehen) will Meeses Schrifttum freilich nichts zu tun haben. Trotzdem oder gerade deshalb schickt sich dieser Band. So etwas darf im guruesken, prophetischen Habitus nicht fehlen – gerade wenn der Habitus gleichsam die Mehrheitsbeteiligung an den Werken hält.
Felix Stephan hat in seiner Rezension des Bandes in der Süddeutschen (25.4.2012) zurecht auf den schreienden Kontrast zwischen Oeuvre und Auswahl hingewiesen und auch den Grund dieses Umstands betont: die erstrebte Selbsttätigkeit der Kunst. Meese wird nicht müde, die Kunst als unabhängigen, freien und übermenschlichen Aktanten anzupreisen; er ist also im Sinne der Kunstreligion nicht nur fromm, sondern ultramontan. Gleich in den ersten Sätzen des Buches, einem 2006 in den Hamburger Deichtorhallen aufgezeichneten Gespräch zwischen Meese und seiner Mutter, heißt es: „Kunst ist nicht unsere Weltanschauung, sondern ihre eigene und das gilt es in totaler Demut zu akzeptieren. Absolut und unerschütterlich. Wir haben in diesem Spiel überhaupt nichts verloren.“ Der Einpeitscherton, mit dem diese und einige (wenige) andere Grundüberzeugungen immer wieder vorgetragen werden, fängt hier überhaupt erst an, warm zu werden. Das rhetorische Exerzitium, die immergleiche Sache in möglichst vielen möglichst prächtigen Worten zu umschreiben, wir von Meese bekanntlich so intensiv betrieben, dass er, wie es rhetorischen Spielern von selbstbewusstem Format ziemt, neue Wörter prägt, alte Begriffe bis zur Unkenntlichkeit umbesetzt, hoch individuelle Reviere von Sprache absteckt und behauptet. Und wie stets beginnen von diesen Revieren aus die raubritterlichen Streifzüge in andere Reviere der Sprache, die Meese bekanntlich sehr zielsicher als Provokation bescheinigt werden. So heißt es ein paar hundert Seiten später im „Noah-Manifest“: „1. KUNST IST DIE 1., letzte und ultimativste Weltanschauung der Zukunft; Kunst an die Macht. 2. KUNST IST menschenfreie Totalstherrschaft der Sache. Kunst ist kein Mensch, Kunst ist MUMIN. 3. KUNST IST das Totalste Rollkommando: EI. (...) Die Diktatur der Kunst muss menschenmachtsfrei regieren. Die einzige Weltanschauung der Zukunft ist KUNST. NUR KUNST IST ZUKUNFTSFÄHIG. NUR KUNST IST die einzige Autorität. NUR KUNST, also kein Mensch, kann mit MACHT umgehen. (...) Jonathan dient keinerlei Menschenpolitik, keinerlei Religion, keinerlei MenschenICH und keinem Götzen. Jonathan Meese dient, als süße Ameise der Kunst, nur der Totalstkunst.“ Die Wiederholung aber ist das notwendige Vehikel der Einübung und Verbreitung der Revolution hin zur Kunst: „Immer alles tausend Mal zu sagen. Das hab’ ich total verinnerlicht. Da hab ich kein Problem, da kann ich warten. Weil ich will’s wissen.“
Die Entleerung, die den Begriffen und dem Sprachmaterial so widerfährt, ist offenkundig. Deshalb aber schon, wie Felix Stephan in der Süddeutschen, von einer Traditionslinie der Entkopplung von Werk und Subjekt zu sprechen, die im Dadaismus ihren Ausgang genommen haben soll, ist doch zweifelhaft. Abgesehen von der Frage, ob es solche Entkopplungen in Richtung eines semantischen Niemandslandes schon vor dem Dadaismus gegeben hat, ist der Dadaismus nicht traditionsfähig. Der Zürcher Dadaismus verschließt sich jeder Aneignungsbewegung, die irgendwelche Nachgeborenen vollführen wollen. Die Texte und Werke dieser gewaltigen Erscheinung tragen immer den Gestus von letzten Texten und Werken. Die „Letzte Lockerung“ ist das letzte Lehrbuch, Lautgedichte sind letzte Gedichte, die Präsidentschaft des Universums im Sattel des weißen Pferdes Dada ist ein letztes politisches System. Hier von einer Tradition zu sprechen, bescheinigt dem Dadaismus Scheitern, denn die hohe Reinheit der leeren Menge beschäftigt sich nicht mehr mit Zellteilung. Hier von einer Tradition zu sprechen, unterstellt, dass sich an der anderen Front der attackierte Sinn von diesen Schlägen je erholt hätte oder das auch nur könnte; auch würde sich Stephans Überschrift „Spannendes Kasperltheater“ verbieten. Denn so sehr Meeses Texte von den Texten des Dadaismus unterschieden sind (letztere zertrümmern gegebene Zusammenhänge, während Meese ameisig emsig eigene aufbaut), so sind doch auch diese kein Kasperltheater: wohl sind sie ausgesprochen lustig, aber enden die Gemeinsamkeiten auch schon. Die Etikettierung des Buches als wie auch immer grandioses Schauspiel der Sinnlosigkeit reicht nicht zu – abgesehen davon, dass es, ich wiederhole mich gern, kein Erbe des Dadaismus geben kann. Wie die bildnerischen Werke Meeses mit Schrift kontaminiert sind, erschöpft sich auch seine Schrift nicht in den Buchstaben. Weil die Texte mit dem Gestus des gesprochenen Wortes (etwa im Interview) oder der Performance (wie bei all den Performance- und Theatertexten des Bandes) überschwemmt sind, erscheint das vorliegende Buch immer auch als Reduktionsform der Texte: die Seiten werden zu den durchlöcherten Eimern der Danaiden, in denen die Wiederholungen des immergleichen Ablaufs nicht aufhören. Das Buch gewinnt in dem Maß als sinnliches Erlebnis wie es versäumt, die Lesehaltung zu erfüllen, die die „Ausgewählten Schriften“ nun möglich machen.
Ist diese Distanznahme einmal vollzogen, tritt der Herausgeber der „Ausgewählten Schriften“, Robert Eikmeyer, vermeintlich noch weiter in den Hintergrund. Aber ganz im Gegenteil. Um die Leistung und die Nervenstärke Eikmeyers zu umreißen, bedarf es zunächst eines Blicks auf den Korpus, aus dem er ausgewählt und arrangiert hat. Auch abgesehen davon, dass Text von Meese in verschiedenen Gattung gebraucht wird, ist bereits das keine leichte Aufgabe. Denn die Schrift überzieht alles, fließt und wuchert aus dem Körper heraus, dass man fast an den späten Clemens Brentano denken könnte, vervielfältigt sich in jeder Spiegelung und Wiederholung und dokumentiert sich zugleich, das improvisatorische Sprudeln des Textes hält niemals inne, in ihm ist Meese im Urelement des unbegrenzten Pnigos, aus dem seine öffentliche Präsenz besteht. Entsprechend muss der Band ohne Textnachweise auskommen und versammelt nur eine Liste von Meeses Publikationen in Katalogen, Künstlerbüchern und dergleichen, erweitert um eine Liste einschlägiger Vorträge und Performances; das ist der sperrige Teil des Apparats. Grund genug gibt es. Eikmeyer schätzt die Seitenstärke des Textgletschers, den es bisher aus Meese herausgehagelt hat, (Gletscher auch deshalb, weil die Texte unbeweglich sind, bis zur Grenze der Edierbarkeit verstreut, redundant, undatiert und zum Großteil in der Festplatte von Meeses fleißig tippender Mutter (!) verborgen) auf reichliche 50.000 Seiten (zum Vergleich: die Frankfurter Ausgabe der Werke Goethes, 40 in 45 Bänden in 2 Abteilungen, beläuft sich auf etwas über 55.00 Seiten). Wohl bekomm’s, wenn über die „Ausgewählten Schriften“ hinaus jemals auch „Schriften“ erscheinen sollen.
Zudem hat Eikmeyer ein schlankes, aber instruktives Nachwort verfasst, das sich in angemessener Weise von allzu klaren Bedeutungszuschreibungen und Interpretationen fernhält. Vielmehr gibt er einen gerafften Nachvollzug der Textwerkphasen, zeigt die inhärente Dynamik der „verdauenden“ Spracharbeit und streut nur eine dünne Schicht akademisches Vokabular wie Sägespäne in die Arena des meese’schen Diskurses. Das Nachwort spricht gleichsam die gleiche Sprache wie der Haupttext, nur unter veränderten Vorzeichen. Die Spielmarken des Privatlexikons (Erz, Getreide, Salz, Saal, Führung, Diktatur, Kunst, Total, Totalst und so weiter und natürlich all die Eigennamen) werden eingereiht in Ansätze einer kernig reformulierten, wenn auch nicht mehr taufrischen poststrukturalistischen Semiotik- und Theoriesprache. Das ist freilich nicht mehr so lustig, aber ebenso wenig völlig ernst. Allerdings ist es, mit Verlaub, in diesem Zusammenhang durchaus schäbig, den Kernsatz „il n’y a pas d’hors-texte“ nach einem Katalogbeitrag von Homi Bhabha aus dem Jahr 1997 zu zitieren.
Zu uneingeschränktem Jubel gibt aber Eikmeyers Glossar Anlass, das auch ein ganzes Stück länger ausfällt als das Nachwort. Hier gerinnt nicht nur Meeses ausuferndes Eigenuniversum ist eine knappe Form, die ebenso erheitert, wie sie die Reflexion auslöst, die seine Überwältigungsästhetik der Lautstärke und Massierung zu ersticken pflegt. (Zudem, so lässt es sich zumindest lesen, wird hier den Kulturwissenschaften und ihren fortlaufend verflachenden Beschäftigungen mit Mythen des Alltags, die längst keine mehr sind, mit einer gehörigen Portion fel et mel Konkurrenz gemacht.) Es finden sich so zauberhafte Einträge wie: „Currywurst: Diktatorische Speise. Eine durchschnittliche Currywurst darf nicht serviert werden - nur die geilste.“ oder „Scarlett Johansson: Amerikanische Schauspielerin. Maul auf, Lolly rein, Revolution raus. Scarlett Johanssons Mund ist immer neutral, ist eine Tierschnauze. Diktatorin der Schönheit.“ In diesem Glossar kann man auf kleinstem Raum zusehen, wie aus dem wahllosen Nonsens ein schüchterner Keimling Deutung auflebt, um sogleich wieder von der Alberei überdeckt, aber auch entschärft zu werden, etwa: „Hagen von Tronje: Erschlug der Sage nach den Helden Siegfried. Eine Figur, die einfach dasteht und die Dinge passieren lässt und das macht, was notwendig ist. Immer geradeaus, kein Niederknien, kein Beten, keine Kapitulation, kein Schritt zurück, keinen Rückspiegel. Hagen von Tronje ist immer totale Zukunft. Diese Figur ist eigentlich mit die wichtigste überhaupt und hat eine wahnsinnig tolle Uniform an.“ Auch wird im Glossar in aller Schnelle deutlich, dass Meese, obwohl sein kombinatorischer Spieltrieb bereits nicht von Vielem redet, auch von dem nicht redet, wovon er zu reden scheint. Der private Wortgebrauch und die konsequente Nivellierung des Inhalts in utopischer Idiosynkrasie beginnen, wo ihm „Caligula“ nicht mehr ein Mensch, sondern ein Film ist, und münden dort, wo die sogenannte Provokation entsteht, im Pomp der nationalsozialistischen Wortfetzen.
Den Texten Jonathan Meeses sind Überwältigung und Betörung in keinem Falle abzusprechen. Die mantrischen Beschwörergesten, die sich nur mit den größten Wörtern zufriedengeben, reißen in gewissem Sinne mit. Entlang der Grundüberzeugungen, die Meese in den Texten zu Anschauung bringt, dass die Kunst das souveräne Subjekt sei, nicht der Künstler, formuliert sich auf diesen Seiten ein gesichtsloses Sprechen. Man erfährt nichts aus diesen Wörtern über diese Wörter: im besten Falle durch die Wörter etwas über sich selbst. Nämlich, wann man nicht mehr mitspielen möchte, wann es überschnappt. Diesem Knacken des Gelenkes kann man richtiggehend zusehen. Der dicke, ernste Band eignet sich natürlich auch zum Verzehr als scherzhaftes Lesebuch, in dem man schlendern und sich amüsieren kann. Wo der Band auf einem Tisch herumliegt, formiert er sich als großartiger Ironiedetektor. Seine Form ist der totalst schmale Grat zwischen Ernstnehmen und Reinfallen. Es ist schließlich zudem ein seltsames Gebetbuch, es bietet zwar dem Volk nicht Opium feil, aber irgend etwas vom selben Kaliber. „Dieses liebliche Licht belebt die ultrabrutale Einheit der Existenzform Mensch. Das scheue TIER Mensch möge in dieser Gegenwelt spielen, um hier in lieblichster Antirealität den politischen Tanz der Freiheit zu tanzen. ein VOODOOBALLETT der ureigensten Körperformationen möge stattfinden, als Gymnastik des lieblichen Märchenstaates der Liebe, mit Gesten der Liebe, Macht, Kindheit und der wichtigen Angst, gepaart mit LIEBESREDEN der Selbstverantwortung.“ Wohlan denn.
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