Des Monitors Wärme
Bella Blu, das Handbuch für den Weltraum des norwegischen Dichters, Bildenden Künstlers, Musikers und Filmemachers Terje Dragseth ist eine Fortsetzung mit anderen Mitteln. Ein Sci-Fi-Poem, das sich zwar direkt an Harry Martinsons Aniara anschließt, aber völlig andere Wege geht. Die bündige Übersetzung von Tone Avenstroup und Bert Papenfuß, die kalt-schöne Gestaltung der Gutleuts macht den Trip aus Logs zu einem schwertourigen, tiefen Erinnerungsfluss. Lyrisch wie aus Betonholz, in kantiger Syntax, voll psychedelischer Welten, die nicht nur am Fenster des Nautikums vorbeiziehen, sondern vor allem in aller Beteiligten Köpfe, natürlich besonders denen der LeserInnen. Das Logmaterial ist stets anschaulich, im freien Fließen begriffen, wie bei Solaris eine Mischung aus hiesig und ganz weit weg. Irgendetwas tut sich, schläft ein, träumt, wird Geräusch, wird schließlich doch sehr konkret verrostete Container, Ölwelten, Schneewachstum oder zwischenmenschlich.
Die beteiligten Gestalten heißen unter anderem das geometrische Mädchen, der Nachtbote, der Hund mit selbstleuchtendem Fell oder der kleine Prinz mit großem Kopf. Sie alle mäandern in der Reise durch Zeit und Raum. Die Logs sind Erkenntnisse, Tätigkeiten, Feststellungen, Chroniken eines durstigen Kopfes. Sie spielen mit der Grenzüberschreitung, sind ernst und melancholisch, was angesichts des Reiseprogramms nicht anders zu erwarten ist. Dragseth baut eine sprachkosmische Welt auf, die ihren eigenen Regeln und Gesetzmäßigkeiten gehorcht. Grafisch erinnert das Log zuweilen an ein Inventar, eine sich kaum wiederholende, wenn als Variationen getarnte, Rindenbibliothek, seltsam ausgeleuchtet von Lichtjahren. Manchmal unterbrochen von Voice-Overs, deren Zeilenumbrüche des Originals verslasht sind, um wie in der Nachbemerkung zu erfahren, eine durchgängig prosaische Textgrafik zu erhalten, sozusagen das Mothership der funky cut-ups der Logs. Denn es sind tatsächlich cut-ups, wie der Autor verrät, aus seinen bisherigen Gedichtbänden (zehn an der Zahl), die sehr neugierig machen auf die Originale. So haben wir es mit einer Komposition, einem visuellen Zustand einer fantastischen Copy-Pastete zu tun, die Ihresgleichen sucht – auf diesem interstellaren Overdrive.
Tag 254 Verschalung und Bretterbau. Wir kooperieren mit dem Schnee, Erklärungen sind nicht genug für Kristalle. Das Fenster hat Kooperationsprobleme mit dem, was drin ist. Auch das noch.
Tag 255 Wir können den Tag sehen, fließend wie blaues Pech ins Mondmeer. Dünnhäutig, und mit den Zähnen zu Berge ist es eine gute Wache gewesen. Schweigen des Nachtboten, damit müssen wir leben.
Tag 256 Wir erwachen erschöpft. Wir verstehen nichts. Nur VO 0011, VO 0012, und das Säuseln der Kopfhörer. Wir rufen demütig nach mehr Brot.
VO 0012: DIE ELEKTROMAGNETISCHE KRAFT / 1.042 MAL STÄRKER ALS DIE GRAVITATION / ALLES WAS WIR AUF DER ERDE HATTEN / ALLES WAS WIR VERLIESSEN / WORTE DIE WIR NICHT HABEN
Tag 257 Wir haben verstohlene Einsicht in das, was man Sterben nennt. Brot gebacken bei eigener Anwesenheit in blauer schlafloser Nacht. So gut, so ausgedacht, so mehlig und vergoren.
Tag 258 Das Übliche hat den Raum verlassen, wir haben nicht mehr den gleichen Begehr.
Tag 259 133 Tage Kupfer sind viel Arbeit. 1.111 Tage Uran machen alles viel leichter.
Tag 260 Nachtbote im sonnenklaren Raum hat alles und alle schon durch. Nachtbote gibt uns den Hauch gelebten Lebens.
Tag 261 Schwarze Schwäne. Sie sind nicht unbedeutend, wie einige glauben mögen. Silber liegt da unten und lauert. Vertauschte Federn schaffen Verwirrung. Das Gleichgewicht im Manne, der singend im Eis einbricht.
Tag 262 Wir navigieren mit der Grammatik, was eigentlich verboten ist.
[...]
Tag 518 Das, was sie Ewigkeiten nennen, trifft Ewigkeiten an einer Kreuzung. Geschlossene Tankstellen, ölige Lappen in der Waschanlage, Bierbüchsen, Plastikeimer mit Frostschutzmittel, Mundschutz und Binden.
Tag 519 Deutliches Gebirge. Am Fuß des Gebirges ein wartendes Heer, in Panik.
Tag 520 Der Wind näht hart. Das geometrische Mädchen wartet auf den Nachtboten. Ein Singvogel hat sich in den Maschinenraum verirrt.
Tag 521 Das Unmögliche ist hiermit ins Log eingetragen.
Bella Blu kann man als hochoriginellen Beitrag zu gleich mehreren Genres sehen. Mysteriös, voll poetischer Gravitation. „Die Arbeit daran war nicht mühelos, aber machte vor allem Freude. Nun sucht sie ihre Freunde“, schreiben die ÜbersetzerInnen. Dem kann man sich direkt anschließen. Eine weitere sehr gelungene, textlich wie grafisch, ansprechende Veröffentlichung bei der reihe staben im Gutleut Verlag.
Fixpoetry 2020
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.
Neuen Kommentar schreiben