Im Land des Überdrusses
Wo beginnt Literatur und wo das eigentliche Leben? Wie viel der eigenen Biographie findet sich in sogenannten fiktionalen Texten? Ist es möglich, hinter ein Werk zu treten, vielleicht gänzlich dahinter zu verschwinden? Und benötigt ein literarischer (oder jeglicher) Text das Wissen um die AutorInnen und deren Leben? Fragen, die nicht erst seit Barthes und dem Poststrukturalismus in der Literaturwissenschaft omnipräsent, wenn nicht gar bis zum Überdruss grundlegend geworden sind. Fragen, die etwa in der französischen Moderne, bzw. Gegenwartsliteratur hinlänglich und in ihrer ganzen Vielfalt bearbeitet, teilweise sogar gelebt wurden.
Mit ihrem neuen, im Libelle Verlag erschienen Theaterstück Ihre Version des Spiels gesellt sich nun auch Yasmina Reza in die Riege jener AutorInnen (Maurice Blanchot, Christine Angot, zuletzt Michel Houellebecq, etc.), die diesen Fragen nachspürt, denn »Alles, was man schreibt, hat natürlich auch mit dem eigenen Leben zu tun, aber ich finde, es wird erst dann Literatur, wenn man eine gewisse Distanz einnimmt, wenn es nicht mehr um die eigene Erfahrung geht, sondern schlicht und einfach um das Leben.«
Nathalie Oppenheim, Protagonistin des Stücks und preisgekrönte, jedoch medienscheue Schriftstellerin, folgt einer Einladung des Bibliothekars Roland Boulanger in das Provinzstädtchen Vilan-en-Volène (von wo aus Thomas Bernhards »Utzbach wie Butzbach«, nicht weit zu sein scheint). Dort liest sie aus ihrem neuen Roman Das Land des Überdrusses, in dem es um die Schriftstellerin Gabrielle und deren Roman Ihre Version des Spiels geht. Die Kulturjournalistin, »Vertraute der Literatur« und Muse weltbekannter Autoren Rosanna Ertel-Keval wird Nathalie dabei an die Seite gestellt, um ein Interview zu führen. Schnell wird klar, dass sich das Gespräch jedoch weniger um Literatur, als vielmehr um das Privatleben der Autorin und damit einhergehend, um die journalistischen Profilierung Rosannas drehen soll. Immer wieder werden Fragen zu biographischen Bezügen innerhalb des Buchs gestellt, die Nathalie jedoch eloquent zu verweigern und umgehen sucht. Immer insistierender versucht Rosanna etwas über Nathalie herauszufinden, während das eigentliche Gesprächsthema, Literatur und genauer: das Buch Im Land des Überdrusses, mehr und mehr in Vergessenheit gerät, und die Situation schließlich mit einer knappen Bemerkung von Rosanna abgebrochen wird. Auf dem anschließenden Empfang erläutert dann auch der Bürgermeister seine Gedanken zur Kunst, um etwas von dem Glanz der Autorin abzubekommen, und es ist am Ende nur der Bibliothekar Roland, in dem Nathalie eine »verwandte Seele« finden wird.
Zu Grunde liegend erscheint dem Text die gewünschte Trennung von Leben und Schreiben, und die ständige gesellschaftliche Forderung nach Rechtfertigung oder gar Legitimation. »Die zentrale Rolle des Schreibens in seinem Leben zu erkennen bedeutet [aber] auch, die Wirklichkeit als unzulänglich zu erkennen«, heißt es im Stück und so stark die Bezüge zwischen Reza und Nathalie Oppenheim hinsichtlich dieser Problematik auch sind, so offensichtlich ist Rezas intendierte Aussage: Alles, was man schreibt, ist, bleibt und wird gerade durch die Verschriftlichung, Fiktion. Dass die Realität dann etwa so oder so oder doch vollkommen anders (gewesen) sein kann, ist schlussendlich nicht mehr von Bedeutung, wodurch der Frage nach Trennschärfe, oder aber der Möglichkeit einer Trennung, nicht unbedingt ein neuer Aspekt hinzugefügt wird und auch die Figuren in einem mehr oder weniger typisierten Verhalten vorgeführt werden. Einzig wichtig bleibt stets das geschriebene Wort, die Idee, die am Anfang stand, doch ob diese so oftmals aufgeworfene Behauptung ein ganzes Stück trägt, wird sich erst durch eine Inszenierung wirklich beweisen lassen.
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