Intuitiver Flow
Mark Twain hat einmal gesagt, die deutsche Sprache sei eine phonetisch sehr schwache Sprache, das stärkste Wort, das er kennen würde, sei „Zahnbürste.“ Mag dieses Diktum auch dem der Unterhaltung verpflichteten Kulturjournal-Stil eines touristisch reisenden Großschriftstellers geschuldet sein, der Blick von außen auf die Lautgebung deutscher Sprache ist dennoch bemerkenswert interessant.
Liest man die Gedichte der im polnischen Wroclaw geborenen Dagmara Kraus, kommt man zu einem ganz anderen Ergebnis: Für sie scheint das Deutsche ein Kraftquell der Phonetik zu sein, ihre Lust an der Sprache bewegt sich oft jenseits syntaktischer Zwänge und gedanklicher Logik. Sie fühlt sich dem „Wallungswert“ eines Wortes verpflichtet, einem Begriff, mit dem schon Benn operierte und der die Kraft eines Wortes jenseits des Bedeutungs- und Informationsgehaltes taxiert. Traumwandlerisch sicher folgen die Gedichte von Dagmara Kraus dem Faszinosum des Klangs, dabei werden sie oft selbst zu einer Worterfindungsmaschine: „befodsiges gegenrupflein/vonfözen erongbar!/abschwymter/obenpubslein sonderstöpslich!/söser schnades/ unterbubster abquörtling!/ blörscher songser/anstörtzling/entlördtling!/“ Was sich in dem Gedicht „vermotzling“ zunächst wie eine krude Mischung aus lyrischer Flatulenz und obskuren Waldpilz-Sorten anhört, entpuppt sich bei näherem Hinlesen als eine Hommage an den deutschen Umlaut „ö“. Im Grunde hat man an keiner Stelle das Gefühl, dass solche Neologismen reiner Willkür entspringen, sie folgen einem unterschwelligen poetischen Strom, einem intuitiven Flow. Einer Stringenz übrigens, die Bedeutung nicht von vornherein ausschließt. In dem Gedicht „ausdruck, saure wiesen“ lohnt es sich, einmal auf die Adjektive zu achten: „grell trotzt ein kleerot/dem brastigen Krachen/ der mokkagapf gegenüber/lüpft seine serbelnden schatten/an straubigen hängen webt/ginsterersatz müden blust/um hurstige katen.“ Bei diesen Neuschöpfungen hat man durchweg das Gefühl, sie treffen die sinnliche Eigenschaft der benannten Landschaft weitaus besser als konventionelle Adjektive.
„Komplexe Fachsprachverkettungen“ werden den Gedichten von Kraus von der Kritik gern bescheinigt. Das stimmt, aber im Unterschied zu vielen zeitgenössischen Dichter/innen, die sich selbst so gern einen hohen artistischen Anspruch bescheinigen und zur zeitgenössischen poetischen Avantgarde zählen, dienen Neologismen und Fachsprachen bei ihr nicht dazu, den Gedichten mit Vokabeldoping auf die Sprünge zu helfen. Es ist eher eine geradezu lexikalische Lust an Sprache, als gehe sie mit einem Metalldetektor darüber, um Worte und Wortbestandteile mit entsprechender Legierung aufzuspüren. Dass dabei oft nicht nur ein phonetischer, sondern auch gedanklicher Mehrwert herausspringt, ist für den Leser eine beglückende Erfahrung. Das titelgebende siebenseitige Gedicht „kummerang“ ist dafür bestes Beispiel. Die Verknüpfung der Bedeutung eines exotischen Wurfgeräts mit dem Phänomen wiederkehrender Sorgen – und das in einem einzigen Wort – ist eine artistische Glanzleistung. Dagmara Kraus führt diese Verbindung weiter aus: „ – doch wer warf dich,/kummerang,/ganz sicher mein arm nicht,/bestimmt diese Hand nicht,/sie vermochte es nicht,/dich so zu werfen, dass du/zurückkommst“. Wer in diesen Gedichtband hineinliest und die Gedichte auch vor sich hinspricht, wird mit einem anderen Blick auf die deutsche Sprache als Kraftquell wieder herauskommen – Dagmara Kraus sei Dank.
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