Hermann Hesse goes Social Web
2012 ist Hesse-Jubiläumsjahr, am 9. August jährte sich sein Tod zum 50. Mal. Hesse ist überall, in Buchhandlungen stolpert man schon am Eingang über ihn, sein Konterfei prangt von Titelseiten, der Suhrkamp Verlag hat kürzlich sogar eine Hesse-iPhone-App („Mit Hermann Hesse durch das Jahr“, 3,99 € bei iTunes) veröffentlicht. Sowas nennt man wohl Hype. Zum Glück hat noch niemand mit „Wir sind Hesse!“ getitelt. So pietätlos scheint die Jubelpresse dann aber doch nicht zu sein. Aber was soll’s? Wenn schon alle Nase lang gehyped werden muss, warum dann nicht Hesse? Vielleicht werden im Zuge der Eventisierung ja neue Lesergruppen erschlossen.
Hinter „Hermann Hesse antwortet … auf Facebook) steckt eine Aktion von Suhrkamp, die auf den ersten Blick gar nicht mal so unoriginell ist. Schließlich tummelt sich in den Social Networks das potentielle Lesepublikum von morgen. Unter facebook.com/hesse.antwortet sollten alle, die es interessierte, Fragen an dem „Steppenwolf“-Autor stellen. Hesse sollte antworten. Und in einer zweiten Runde sollten Leser ihre Eindrücke zu Briefen und Zitaten Hesses widergeben. Das Ergebnis des Experiments liegt nun in Buchform vor.
Es entpuppt sich als Mogelpackung. Statt „Hesse antwortet“ müsste es „Volker Michels antwortet“ heißen. Michels ist langjähriger Lektor und Herausgeber von Hesses Werken. Ein Kenner. Vielleicht der Kenner. Nichtsdestotrotz wirkt das kleine Büchlein wie hingeschludert. Sicher hätte man nicht alle Fragen mit Hesse-Zitaten beantworten können, aber die meisten. Das ist ja das, was Hesse so groß gemacht hat: Seine Zeitlosigkeit, seine universellen Antworten auf elementare Lebensfragen, die zwischen enormer Tiefe und Binsenweisheit schwanken und so den Intellektuellen ebenso ansprachen und ansprechen wie den Bauarbeiter. Hesse, der Autor, der auch bei Schülern immer wieder verfängt, weil die Seele seiner Werke stärker ist, als die Versuche der Germanisten, ihm auf dem Seziertisch der Pseudowissenschaft schreckliche Dinge anzutun.
Hermann Hesses Wortanteil im Buch beträgt gefühlte zehn Prozent. Der Rest sind Michels‘ Antworten auf teils selbstdarstellerische, teils interessante Leserfragen. Lesenswerter sind da schon die im letzten Abschnitt präsentierten Geschichten von Menschen, die berichten, wie sie zu Hesse kamen. Bei vielen war es die Schule, wieder anderen wurde er von Freunden empfohlen oder sie fanden ihn im elterlichen Bücherregal. Einer stieß gar auf Hesse in durchweichten alten Bücherkisten, die Jahre zuvor in einer Scheune vergessen wurden. Klar wird, dass Hesse so ziemlich jede Generation von Neuem berührt, bloß neu ist diese Erkenntnis nicht. Ob Buch und Facebook-Aktion plus App nun wirklich zu neuen Lesern führen, ist zweifelhaft, da sie doch eher jene ansprechen, die mit Hesse längst vertraut sind. Und die brauchen das Brimborium freilich nicht…
Hermann Hesse antwortet … auf Facebook 94 Seiten, 5,00 € Taschenbuch, Suhrkamp Verlag 2012
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