Nicht Vergangenheit
Ursula Krechel erhält den Deutschen Buchpreis 2012 für ihren Roman „Landgericht“
Ursula Krechel, die sich als Lyrikerin und Essayistin einen Namen gemacht hat, legt nun nach Shanghai fern von wo mit Landgericht im Verlag Jung und Jung ihren zweiten, um es gleich vorweg zu nehmen, ihren zweiten großartigen Roman vor.
Landgericht erzählt die Geschichte des jüdischen Juristen Kornitzer, der kurz nachdem er in der Weimarer Republik zum Richter berufen wurde, von den Nazis mit Berufsverbot belegt und ins Exil getrieben wird. Seine Frau, die keine Jüdin ist, bleibt in Deutschland. Verschiedenste Versuche gemeinsam zu fliehen, missglücken. Der Krieg macht ein Auswandern unmöglich. Die Kinder werden gerettet, indem sie von der Familie getrennt und mit der Unterstützung von Hilfsorganisationen nach England gebracht werden.
Erzählt wird aus einer Situation nach der Rückkehr Kornitzers nach Deutschland heraus oder vielmehr aus einer Situation einer scheiternden Rückkehr .Mit dieser Rückkehr der jüdischen Emigranten scheitert zugleich die Wiederherstellung der deutschen Kultur. Eindringlich steht hierfür das Schicksal des Architekten Mendelsohn, dessen Bauten im Buch eine wichtige Rolle spielen. Denn die Kornitzers wohnen vor der Vertreibung in einem Berliner Mendelsohnbau und müssen später nach ihrer Rückkunft in eine Mainzer Spießerhütte ziehen. Auch die Nachkriegsarchitektur in Deutschland hat sich vom Faschismus nicht erholen können.
Richard Kornitzer findet in einem kleinen Nest am Bodensee seine Frau wieder, die aus Berlin fortgegangen war. Sie hatte bei einer Bauersfamilie Zuflucht gefunden. Die Eheleute versuchen zunächst an eine mehr oder weniger glückliche Zeit vor Kornitzers Flucht anzuknüpfen, allein der Faschismus hat ein Land hinterlassen, in dem nicht nur die Häuser Ruinen sind. Die Gesellschaft ist bis in ihre moralischen Grundfesten zerstört, ein Leben in Freiheit geradezu unmöglich. An allen Ecken und Enden begegnen Kornitzer und seiner Frau Zerstörung. Auch der Versuch die eigene Kleinfamilie wiederherzustellen scheitert. Einerseits daran, dass es unmöglich ist, in Mainz, wohin Kornitzer ans Landgericht berufen wird, angemessenen Wohnraum aufzutreiben, aber auch daran, dass die Kinder, die in England zehn Jahre in verschiedenen Heimen und bei Gastfamilien lebten, keinen Zugang zu der ihnen fremden deutschen Umgebung finden. Auch die Eltern bleiben ihnen fremd. Nicht zuletzt deshalb, weil sie sich selbst nicht mehr vertraut sind.
Später gelingt es Kornitzer, der misstrauisch beäugt von seinen entnazifizierten Kollegen, am Landgericht Karriere macht, ein neugebautes Haus zu erwerben, in dem die Familie notdürftig zusammenfindet. Die Kinder zum Beispiel kehren nicht nach Deutschland zurück und ziehen aber auch nicht dauerhaft ein, sondern besuchen die Eltern lediglich in den Ferien.
Man kann also nicht von einer Wiederherstellung der Familie sprechen. Genauso wenig aber kann man von einer Wiederherstellung Deutschlands und seiner Kultur sprechen, die zivilisatorischen und sozialen Standards, die in der Weimarer Republik geherrscht haben mögen, scheinen rettungslos verloren. Frau Kornitzer zum Beispiel, war vor dem Krieg Geschäftsführerin einer Werbefirma, selbstständig und selbstbewusst und ernährte die Familie nach der Entlassung ihres Mannes aus dem Staatsdienst allein. Eine solche Position der Frau war unter der Herrschaft des Nationalsozialismus nicht vorgesehen, auch nach der Befreiung von den Nazis scheitert sie mit dem Ansinnen ein eigenes Unternehmen in Form eines Kinos aufzuziehen. Sie scheitert nicht zuletzt auch am neuen Konservativismus ihres Mannes, der es für unschicklich hält, dass die Gattin des Chefs des Landgerichtes ein Kino betreibt.
Hier wird ersichtlich, dass Deutschland sich selbst auf steinzeitliche Positionen zurückgebombt hat, Positionen übrigens, von denen wir uns noch immer nicht vollständig gelöst haben.
Dass Ursula Krechel gerade einen Juristen zu einer Hauptperson ihres Romans gemacht hat, ist mehr als nur ein genialer Schachzug. Es gelingt ihr, die Genesis der Bundesrepublik und des Nachkriegsdeutschland, bis hin zu Elementen, denen wir uns im vereinigten Deutschland nach wie vor konfrontiert sehen, gleichzeitig in der Hinsicht eines persönlichen Erlebens, als auch in formaler Hinsicht darzustellen, bis hin zum Zynismus der in bestimmten juristischen Formulierungen, zum Beispiel zur Staatszugehörigkeit oder zur Freiwilligkeit und dem Zwang zur Flucht liegen.
Wie schon in Shanghai fern von wo rückt sie damit auch unseren heutigen Umgang mit Flüchtlingen in den Blickpunkt.
Krechels Roman ist aber weit entfernt von einem Thesenroman. Er ist große Literatur. Fesselnd anschaulich und klug. Es gibt kaum ein Buch seit der Ästhetik des Widerstands von Peter Weiss, das soziale historische und literarische Konzeption in sich auf derart überzeugendem sprachlichem Niveau vereint, wie die Romane Ursula Krechels. Und immer findet sich auch die Referenz zur Literatur, wenn im Shanghai Roman zum Beispiel am Ende der jüdische Heimkehrer auf Hans-Werner Richter, den Begründer der Gruppe 47 trifft, der sich der Situation der Emigranten gegenüber als vollkommen ignorant erweist oder in Landgericht ein Zeitungsartikel zitiert wird, in dem eben jene bedeutende literarische Gruppe 47 begründet, warum sie auf die Erfahrung der Emigranten zu verzichten gedenkt.
Sehr eindringlich stellt Krechel dieser Position eine Begegnung des Juristen, der gerade seine Tochter zum Zug Zurück nach England gebracht hat, mit dem Emigranten Döblin gegenüber.
Als er sich nach dem Winken abwendet und zurückgeht, sieht er zwischen der Geschäftigkeit der Reisenden in der zugigen, rauchigen Luft einen zusammengekauerten, kleinen und offenbar kranken Mann in einem für die Jahreszeit zu warmen Tweedmantel sitzen. Er hat ein spitzes Gesicht und dicke Brillengläser wie der Boden eines Cognacglases. Er kräht etwas, das Kornitzer nur so ungefähr versteht. Etwas wie: So helfen Sie doch. Aber niemand hilft ihm, und es ist auch unklar, wie man ihm grundsätzlich hätte helfen können. Dann kommen Träger mit einer Bahre auf den Bahnsteig. Als Kornitzer die Treppe zur Unterführung der Gleise betritt, hört er jemanden sagen: Das warDöblin, der Vizepräsident unserer Akademie. Und es klang nicht sonderlich respektvoll.
Dies alles bestärkt mich in der Annahme, dass die Geschichte der deutschen Literatur der Hälfte des 20. Jahrhunderts noch nicht geschrieben ist und das wir selbst noch tiefer in diesem Jahrhundert stecken, als es uns lieb ist.
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