Anzeige
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
x
Das Meer und der Norden     Streifzüge von Küste zu Küste     von Charlotte Ueckert
Kritik

Die Schrecken des Meeres und der Finsternis

Hamburg

Ursprünglich 1938 erschien Richard Hughes‘ Roman „In Hazard: A Sea Story“ in London. Dass es nun, übersetzt von Michael Walter, erstmals auch auf Deutsch vorliegt, ist ein Gewinn und eine Entdeckung. Den Vergleich zu Joseph Conrad, der mehrfach bemüht wurde, braucht Hughes nicht scheuen, ebensowenig zu hochkarätigen „Sea Stories“ neueren Datums, allen voran Christoph Ransmayrs „Die Schrecken des Eises und der Finsternis“ oder Dan Simmons‘ Mammutwerk „Terror“ – beide befassen sich mit der Franklin-Expedition, die Mitte des vorletzten Jahrhunderts die Nordostpassage suchte und dabei im Eis verschwand. Erst kürzlich wurde wieder eine Expedition entsandt, um Franklins Schiffe HMS Erebus und HMS Terror zu suchen, die bis heute als verschollen gelten.


Foto: © Bruno de Hamel

Aber auch an Edgar Allan Poes „Bericht des Arthur Gordon Pym“ erinnert „In Bedrängnis“ bisweilen, auch wenn der Frachtdampfer Archimedes weder ins ewige Eis noch in die Finsternis der Hölle aufbricht. Kapitän Edwardes soll bloß von Virginia nach Panama schippern, an Bord Tabak, Reis, Baumaterial. Ein Routinetrip für den erfahrenen Seebären. Es beginnt idyllisch: Gemächlich nimmt das Schiff Fahrt auf, die aus Briten und Chinesen bestehende Crew beobachtet die Delphine im Wasser, der alte Haudegen Ramsay MacDonald hält unter Deck die Kessel unter Feuer, der erste Offizier kontrolliert, ob die Fracht auch ordnungsgemäß verladen ist und sieht bereits dem nächsten Landgang entgegen.

Doch natürlich kommt es anders. Ein Sturm zieht auf und überrascht die Besatzung. Zum Ausweichen ist es zu spät, also steuert Edwardes mitten hinein, in der Hoffnung, das tosende Ungetüm binnen weniger Stunden unbeschadet durchfahren zu können. Dass er mitten in den heftigsten Hurrikan seines Lebens geraten ist, begreift er erst, als Sturm und See die Schotten zerpflücken, die Laderäume sich mit Wasser füllen, die Naturgewalten den Schornstein fällen und in der Folge das Schiff nahezu manövrierunfähig der See ausgeliefert ist. Immer höher türmen sich die Wellen auf und spülen über das Deck hinweg, reißen alles mit sich, was sich dort befindet. Siebzehn Stunden dauert es, bis sie im Auge des Sturms landen, wo sie kurz verschnaufen können, einen Moment der trügerischen Stille erleben, und sie wissen: Der Weg aus dem Hurrikan hinaus wird weitere siebzehn Stunden dauern. Mindestens. Dabei ist der Dampfer schon jetzt kaum mehr als ein Wrack mit Schlagseite und ohne Antrieb…

„In Bedrängnis“ ist ein klassischer Spannungsroman, ein Pageturner, der von den ersten Seiten an einen immensen Sog entwickelt. Wie das Schiff in den Sturm wird der Leser ins Buch hineingezogen, während Hughes eindrucksvoll und minutiös die Abläufe an Bord beschreibt, die Verzweiflung und schließlich den Wahnsinn, in den die Crew abgleitet, die ohne Schlaf oder Nahrung ums Überleben kämpft. Ein Spektakel. Welch ein Glück, dass es nun auch auf Deutsch vorliegt.

Richard Hughes
In Bedrängnis
Übersetzung:
Michael Walter
Dörlemann
2012 · 256 Seiten · 19,90 Euro
ISBN:
978-3-908777823

Fixpoetry 2012
Alle Rechte vorbehalten
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Fixpoetry.com und der Urheber
Dieser Artikel ist ausschließlich für den privaten Gebrauch bestimmt. Sie dürfen den Artikel jedoch gerne verlinken. Namentlich gekennzeichnete Beiträge geben nicht unbedingt die Meinung der Redaktion wieder.

Letzte Feuilleton-Beiträge