Von „Aussicht, Fliegenschiß“ und „Flamingoflirt“
Die Känguunruh
Der springende Punkt aber ist
Sich selbst von sich selbst immer wieder um einen weiteren Satz zu ver-
Rücken –
Wenn Sie bisher noch keine Gedichte von Mikael Vogel kannten, so ist das heute eventuell noch zu entschuldigen. Morgen wird es das schon nicht mehr sein. Mit Massenhaft Tiere präsentiert Mikael Vogel einen äußerst vielfältigen Gedichtband. Sowohl das breite Themenspektrum als auch die Verschiedenartigkeit der Gedichte sind bemerkenswert. Manche Gedichte zeichnen sich gerade durch ihre pointierte Prägnanz aus, andere wiederum durch ihre vage Unbestimmbarkeit. Glanzstücke des Bandes sind die bezaubernden kürzest-Gedichte:
Mein Kater hat das Stockholmsyndrom
Der Gedichtband beginnt mit einigen Gedichten, die ganz offen über alltägliche Tierquälerei sprechen, welche Labor- und Masttiere erleiden müssen. Die Gedichte schildern das Leid der Tiere aus ihrer eigenen Sicht und verzichten auf direkte Anklage. Gerade dadurch werden sie aber besonders eindringlich. In einigen Gedichten gelingt es den Tieren jedoch sich durchzusetzen und selbstbewusst Widerstand zu manifestieren:
Im schleppenden Fellmantel der Orang Utan
Suchte seine Zooeinsamkeit hinter dem Felsen –
schriftlos mit den schweren Schriftzügen der Verneinung.
Tiere sind ein wichtiges Thema des Gedichtbandes. Die Leser seien jedoch gewarnt: es geht in den Gedichten keineswegs ausschließlich um Tiere. Ganz im Gegenteil. Schon der Titel macht dies deutlich, denn in Massenhaft Tiere stecken die „Massen“. Hinter den Tieren, manchmal mehr, manchmal weniger versteckt, liegt oft rein Menschliches. Das Überstülpen der Maske des Tierischen ermöglicht es, zutiefst menschliche Probleme ganz offen anzusprechen und zugleich zu ironisieren. Was für ein bemerkenswerter Dichter Mikael Vogel tatsächlich ist, wird auch daran ersichtlich, dass er sich diesem sich-hinter-Masken-Verbergen seiner Gedichte vollkommen bewusst ist und es selbst in einem eigenen Gedicht – Jährliche Notfallübung im Metaphernzoo des Dichters – thematisiert. Darin heißt es z.B.: „[...] unter dem Nashorn trippeln Beschuhte Füße. [...]“ Die Anmerkung zu dem Gedicht erklärt, dass bei der jährlichen Notfallübung im Tokioter Zoo Tierpfleger in Tierkostüme schlüpfen um Ausbruchversuche vorzutäuschen. Die Gedichte von Mikael Vogel unternehmen ebensolche Ausbruchversuche, die menschlichen Füße sind aber immer noch zu entdecken. Ganz wenigen Gedichten ist die Flucht tatsächlich gelungen. Zurück lassen sie nur den lapidaren Vermerk „vernichtet“ und einen Titel. Doch einen Titel von solch faszinierender Poesie, dass man noch lange über das entschwundene Gedicht nachsinnen wird:
„Kollidierende Vögel der Vision“
Ein Thema, das sich durch den gesamten Gedichtband zieht ist das der menschlichen Beziehungen. Sie schimmern ebenso bei der Trennungsszene im Giraffengehege wie bei einem Streit zwischen einem Elefantenpaar durch, oder werden schon im Titel des Gedichts angesprochen:
Obwohl du längst fort bist flüstern die nächtlichen Dachrinnen des Hauses in dem du wohntest noch immer deinen Namen, deine Schwärzen
Auch starke politische Aussagen sind in den Gedichten zu finden. Das Wirtschaftspornogedicht beispielsweise kann wohl sicherlich als eine der treffendsten Antworten auf die heutige Wirtschaftspolitik gesehen werden. Unsere Konsumgesellschaft wiederum wird ad absurdum geführt, wenn ein verliebter Schimpanse den „süßen roten Hintern“ seiner Angebeteten mit einer Handtasche von Gucci vergleicht.
Erbarmungslos halten uns diese Gedichte einen Spiegel vor das Gesicht. Kaum jedoch blickt man den schockierenden Wahrheiten ins Auge, schon folgen einige sehr verschmitzte Gedichte. Der außerordentliche Humor, welcher immer wieder in den Gedichten hervor blitzt scheint ein weiteres Markenzeichen von Mikael Vogel zu sein. Überrascht und überrumpelt wird man immer wieder, lässt man sich erst auf Massenhaft Tiere ein. Denn wer hätte wohl Trost für Nasenspraysucht erwartet?
Bei den Gedichten von Mikael Vogel in Massenhaft Tiere lohnt es sich wahrlich, zweimal hinzusehen. Die Verbindung von scharfer Beobachtungsgabe und humorvoller Gelassenheit schafft einen ausgewogenen und abwechslungsreichen Gedichtband, der zugleich schockiert und unterhält.
An das regenfaule Katerchen
Deine roten und blauen Launen und Bälle müssen
Liegenbleiben und warten – weil du heute so schwer-Fellig bist
Fixpoetry 2013
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